Touristensiedlung auf Sardinien:Bauer gegen Goliath

Die Dorfbewohner träumen von einem gewinnbringenden Rimini an der Costa del Sud auf Sardinien, doch ein starrköpfiger Nachbar wehrt sich gegen die Ausbeutung der traumhaften Landschaft: In Teulada kämpft ein 81-jähriger Bauer ganz allein gegen eine riesige Touristensiedlung - er könnte Erfolg haben.

Henning Klüver, Cagliari

Eine der schönsten Straßen Italiens führt in Südsardinien, rund 40 Kilometer von der Regionalhauptstadt Cagliari entfernt, längs der Costa del Sud zum Porto di Teulada. Sanft rollt ein Vorgebirge dem Meer zu. Kleine Buchten mit traumhaften, vom Massentourismus weitgehend unberührte Stränden schließen sie ab.

Hinter jeder Kurve öffnen sich neue Blicke auf prächtige Landschaftbilder mit buschigem Rosmarin, wilden Olivenbäume und kleinen Wäldern aus immergrünen Steineichen, die bis an das glasklare Meer heranreichen, das blaugrün in der Herbstsonne blinzelt. Einige alte, in traditioneller Lehmbauweise errichtete Bauernkaten stehen hier, und von einer Landzunge bei Capo Malfatano grüßt ein Wachturm aus den Zeiten der aragonischen Besatzung.

Architektonische Dutzendware so weit das Auge reicht

Dann, der Schock: Hinter der nächsten Kurve, wo sich das Flüsschen Tuerredda Richtung Meer schlängelt, stechen halbfertige Bungalows und Reihenhäuser ins Auge. Sie sind die Vorboten einer riesigen, kaum 300 Meter vom Meer entfernten Anlage mit Wohn- und Ferienhäusern, einem Hotelkomplex und Serviceeinrichtungen auf insgesamt 700 Hektar Bodenfläche.

Architektonische Dutzendware so weit das Auge reicht. Mit einer Ausnahme: Vor einem vereinzelten Forriadroxiu, wie die alten Katen in der sardischen Sprache heißen, steht ein alter Mann, stützt sich auf seinen Stock und schimpft wie ein Rohrspatz.

Der Bauer Ovidio Marras, 81 Jahre alt, wohnt nur wenige Schritte vom Strand entfernt allein in der Kate, in der schon Vater gelebt hat. Anders als seine Nachbarn hat Ovidio sein Land nicht an das Konsortium verkaufen wollen, in dem sich italienische Großunternehmer wie der Bauriese Caltagirone aus Rom, der Benetton-Konzern aus Venetien oder das Bankhaus Monte die Paschi aus Siena zusammengeschlossen haben.

"Ich bin unbequem, deshalb will man mich hier weghaben", schimpft der alte Marras. Einen Hund und eine Katze habe man ihm schon vergiftet. Und wer? "Na wer wohl?", schnaubt er. Der kleine Mann, krumm wie eine sardische Eiche, brummelt unverständliche Sätze im Dialekt und zeigt auf die braunen Bungalows vor seiner Kate, an deren Platz noch vor wenigen Monaten ein Orangenhain leuchtete.

Ovidio Marras ist in wenigen Wochen zu einer bekannten Persönlichkeit geworden: ein sardischer David, der den italienischen Goliath herausgefordert hat. Zeitungen wie der Mailänder Corriere della Sera haben über ihn berichtet, auch ein Journalist des Guardian aus London hat ihn besucht.

"Sardischer Schafhirte bringt umstrittenes Tourismusprojekt ins Wanken", stand über dem Artikel. "Von wegen Hirte", poltert Marras. Er sei Bauer, kein Hirte. Aber es stimmt. Das Konsortium hatte wohl gedacht, es könne den Kleinbauern, der eine Schule nur bis zur 4. Klasse von innen gesehen hat, einfach über den Tisch ziehen. So hat man einen Weg überbaut, dessen Besitz sich Marras mit der Baugesellschaft teilt. Und ihm dafür einen neuen Weg angelegt.

"Die Leute verstehen nicht, dass die Natur ihr Reichtum ist"

Doch der Starrkopf will seinen alten Weg wieder haben. Er hat geklagt und bereits in zwei Instanzen Recht bekommen. Wenn jetzt das Kassationsgericht, wie zu erwarten, die beiden Urteile bestätigt, muss das Konsortium einen Teil seiner Häuser wieder abreißen und den Bauplan ändern.

Der Umweltschutzverband Italia Nostra unterstützt den bäuerlichen David in seinem Kampf gegen den Goliath Konsortium. Er hat außerdem eine Klage gegen das Bauprojekt, das eine der schönsten Landstriche Sardiniens verschandelt, vor dem Verwaltungsgericht eingereicht. Der Komplex verstoße gegen eine ganze Reihe von Naturschutzbestimmungen und Gesetze, erklärt Maria Paola Morittu von der sardischen Sektion des Verbandes. Und er würde, von Saisonarbeitern abgesehen, keine neue Beschäftigung in die bitterarme Gegend bringen.

Es gab auch schon mal handgreifliche Auseinandersetzungen

In der Gemeinde Teulada (3800 Einwohner), zu der die Traumlandschaft bei Capo Malfatano gehört, liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei mehr als 50 Prozent. "Doch die Leute hier verstehen nicht, dass die Natur ihr eigentlicher Reichtum ist", sagt Morittu. Mehr als 600 Wohnungen würden in der Gemeinde leer stehen, da sei jeder Neubau eine Verschwendung. Es ginge darum, einen sanften Tourismus zu entwickeln, indem man etwa die Forriadroxius restauriere und zu Ferienwohnungen umbaue. Dann würden auch die Gewinne auf der Insel bleiben und nicht wie bei dem Konsortium aufs italienische Festland fließen.

Der Bürgermeister von Teulada, Gianni Albai, steht indes zum Projekt des Konsortiums. Er glaubt, dass seine Gemeinde keine andere Wahl hat, um Arbeit und ein bisschen Wohlstand in diesen Landstrich zu bringen. Viele Einwohner von Teulada halten Ovidio Marras, den sturen alten Bauern, für einen Querkopf, der ihre Zukunft bedroht. Mit Vertretern von Italia Nostra gab es auch schon mal handgreifliche Auseinandersetzungen.

Die Menschen würden von einem Rimini an der Costa del Sud träumen, sagt der Schriftsteller Giorgio Todde aus Cagliari, der mit Italia Nostra zusammen arbeitet, aber auch Verständnis für die Kritiker zeigt. Dieses Projekt sei nur eines von vielen auf Sardinien, bei denen Gelder vom Festland investiert werden, welche die Schönheit der Natur ausbeuteten, ohne sich um lokale Begebenheiten zu kümmern. Und wenn jemand nach Rimini wolle, würde er in den Original-Ort fahren und nicht an eine Kopie in einem abgelegenen Landstrich Sardiniens.

In Ovidio Marras' Kate knistert das Kaminfeuer. Ein Spieß mit einem Spanferkel steht bereit. Das will seine Nichte Consolata, die bei ihm ab und zu nach dem Rechten sieht, heute noch über den Flammen braten. Consolata zeigt Solidaritätsbriefe aus Sardinien, aber auch vom italienischen Festland. "Ovidio, halte durch", steht da etwa zu lesen.

Der Alte sitzt derweil auf einem Schemel vor dem Feuer und reibt sich die von der Gicht knorrig gewordenen Hände. "Warum", fragt er immer noch brummig, "müssen wir gehen, damit hier Leute vom Festland Platz bekommen?"

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