Tourismusprojekte im Nordosten von Australien:Aborigines in Queensland - Traditionen auf Augenhöhe

Didgeridoo-Folklore werden Touristen hier nicht finden: Ureinwohner im Nordosten Australiens zeigen ihre Bräuche und ihr Wissen auf ganz andere Art.

Reportage von Fabian Herrmann, Queensland

Mit Schlangen hat es Skip nicht so sehr. Die sind einfach nicht sein Spezialgebiet. "Wenn es die ist, von der ich denke, dass sie es ist, könnte sie ziemlich giftig sein", sagt er über das vielleicht einen Meter lange, grau-braune Geschöpf, das gemächlich über den lehmig-schotterigen Weg kriecht. "Ich glaube, es ist eine Rauschuppenotter. Aber meistens machen Schlangen eh genau das. Sie kriechen weg. Die sind nicht sehr angriffslustig", sagt er und wartet, bis sich das Tier in aller Ruhe zurück in den Regenwald trollt. Dann geht es weiter durch den Daintree-Nationalpark.

Skip ist einer der Tour-Führer im "Mossman Gorge Besucher- und Ausbildungszentrum", das nördlich von Cairns im Bundesstaat Queensland liegt. Es ist eines der Vorzeigeprojekte im Nordosten Australiens.

Im tropischen Norden zogen sich die Ureinwohner bei der europäischen Besiedlung ab dem Ende des 18. Jahrhunderts in die schwer erreichbaren Regenwaldregionen hinter der Küste zurück. So konnten sie viel von ihrer Kultur bewahren. Jetzt gewinnen die Aborigines den Tourismus für sich - als Möglichkeit, ihre Heimat zu schützen und ihre Selbständigkeit auszubauen.

Mit Kuku-Yalanji-Aborigines durch den ältesten Regenwald der Welt

Etwa 350 000 Touristen kommen jedes Jahr zum Mossman-Gorge-Centre. Viele von ihnen, um von dort den ältesten Regenwald der Welt zu entdecken - etwa 100 bis 150 Millionen Jahre soll er bereits existieren. Geführt werden die Touren von Aborigines des Kuku-Yalanji-Stammes, durch dessen Gebiet sich die Canyon-Landschaft von Mossman Gorge zieht. Kleinere Führungen bietet ihre Gemeinde schon seit Langem an, vor drei Jahren hat das Angebot durch die Eröffnung des Besucherzentrums professionelle Strukturen bekommen.

"Das Schöne ist: Es ist eine Idee aus der Gemeinde und für die Gemeinde. Da hat keine Gruppe von Geschäftsmännern um einen Tisch gesessen und sich etwas ausgedacht, sondern die Leute stehen komplett dahinter", sagt Geschäftsführer Ben Pratt, der stolz ist auf das Konzept, auch wenn er selbst kein Aborigine ist. Jedes Jahr werden sechs neue Auszubildende aus der Region eingelernt, gut 90 Prozent der mehr als 100 Mitarbeiter sind Aborigines. Ben Pratt zählt damit bei der Belegschaft zur Minderheit, Skip zur Mehrheit.

Tourismus-Projekte von Aborigines Queensland / Australien

Routiniert bringt Skip Besuchern die Bräuche seiner Ahnen näher.

(Foto: Fabian Herrmann)

Mit seinen Dreadlocks, dem dunklen Teint, dem dünnen Vollbart und dem Leinenhemd sieht der 38-Jährige aus wie Bob Marley in seinen Glanzzeiten. Skip heißt eigentlich gar nicht Skip, der Name gefällt ihm aber besser: "Mein Aborigine-Name ist Yangandah. In unserer Sprache heißt das Beschützer des Wasserfalls. Und mein englischer Name ist Robert - aber am liebsten mag ich meinen Spitznamen".

Rauchzeremonie aus Respekt vor den Ahnen

Bevor Skip die Besucher mitnimmt in den Wald seiner Vorfahren, müssen alle an einer Rauchzeremonie teilnehmen - um böse Geister zu vertreiben und aus Respekt vor den Ahnen, erklärt Skip. Also zündet er ein kleines, qualmendes Feuer an und schickt die Gäste durch den Rauch. Dann geht es los - auf Aborigine-Kräuterwanderung.

Skip zeigt essbare Früchte und giftige Pflanzen. Er erzählt von "Wait-a-while-Lianen", die deshalb so heißen, weil man eine Weile festhängt, wenn man sich in ihren Stacheln verfangen hat - und von Blättern gegen Kopfweh. "Die binden wir uns um den Kopf, wenn wir Kopfschmerzen haben. Die Blätter haben kleine Nadeln, die bei jedem Schritt die Schläfen massieren. Das ist wie Akupunktur", sagt er, zupft ein paar Stängel vom Baum und rollt sie bedächtig zwischen den Fingern.

Die Wege durch den Wald sind neu und gut angelegt, Skips Erklärungen routiniert - er hat das schon oft gemacht. Trotzdem wirkt die Verbundenheit zum Wald seines Stammes echt. Alles, was er über den Wald weiß, hat er von den älteren Stammesmitgliedern gelernt. Und er gibt es an die jüngeren weiter.

Supermarkt, Haushaltswarengeschäft und Apotheke

"Der Regenwald ist für uns der Boss. Gleichzeitig ist er Supermarkt, Haushaltswarengeschäft, Universität und Apotheke. Und dieses Wissen nutzen wir heute noch", sagt er. In den Schulen lernten die Kinder etwas über Kultur und Sprache seines Stammes - und in den Ferien kämen sie dann her und schauten sich die Praxis an. "Dann brauchen sie kein Smartphone und kein Facebook oder Computerspiele. Hier ist es doch viel schöner."

Nach knapp zwei Stunden endet die Heimat- und Sachkunde-Runde. Während Skip mit seinen Gästen auf den Elektrobus zurück zum Besucherzentrum wartet, fängt auf einem der Holztische nebenan ein Handy an zu krächzen. Am Klingelton erkennt Skip, welcher Kollege es vergessen hat. "Die App mit den Truthahn-Lockrufen, die er da hat, ist ziemlich gut." Da fielen die Tiere echt drauf rein, sagt er und lächelt verschmitzt. Ganz ohne Smartphone geht es also bei aller Traditionspflege auch nicht.

Ist das alles Show, wirtschaftliche Notwendigkeit oder echte Liebe zu Natur und Heimat? "Ich sehe es als Möglichkeit, unsere Kultur zu schützen, unser Erbe und diesen sehr alten Regenwald für künftige Generationen vor der Zerstörung zu bewahren. Seit es das Centre gibt, haben wir den Verkehr im Nationalpark und die Zerstörung, die er mit sich bringt, deutlich reduziert", sagt Skip. Jetzt seien sie es, die die Leute mit Shuttle-Bussen herbringen und durch den Wald führen, statt dass diese kreuz und quer durch das Gelände trampelten.

"Wir wollen kein Disneyland aus der Aborigine-Kultur machen"

Das klingt ehrlich und kann ein Weg sein, um wirtschaftliche Interessen, Umweltschutz und Tradition sinnvoll zusammenzubringen. Denn auch, wenn es für die etwa 700 000 Aborigines in Australien vorwärts geht: Vielerorts haben sie es noch immer schwer, viele führen ein Leben am Rande der Gesellschaft. Bei der Arbeitslosigkeit, dem Alkoholmissbrauch und der Suizidrate stehen sie deutlich schlechter da als die Weißen.

Zumindest hier im Norden von Queensland haben sie aber offenbar eine Lösung gefunden, die Einheimischen und der Tourismusindustrie gleichermaßen nützt. Geschäftsführer Pratt sagt: "Ich denke, der Ureinwohner-Tourismus wird nicht nur in Nord-Queensland, sondern in ganz Australien zu einem Hauptreisegrund für Besucher aus der ganzen Welt und auch aus Australien. Das ist die älteste Kultur der Welt. Dass wir das jetzt in den Tourismus integrieren können, ist für alle von Vorteil." Gleichzeitig sei es wichtig, der Kultur und den Einwohnern mit Respekt zu begegnen. "Wir wollen kein Disneyland daraus machen."

Mit Brandon auf Speerfischtour

Zehn Kilometer weiter östlich an der Küste stapft Brandon Walker durch den Mangrovensumpf. Lange, zum Zopf gebundene Haare, grau melierter Bart, verspiegelte Sonnenbrille, ausgewaschenes Shirt mit dem Logo einer Brauerei aus Melbourne und Badehose - statt des Speers könnte er genauso gut ein Surfbrett unterm Arm tragen. Aber Brandon ist Fischer. "Wir versorgen die Familie - und einen Großteil der Gemeinde. Wenn es Hochzeiten, Beerdigungen oder Geburtstage gibt, sorgen wir fürs Essen", sagt er.

Tourismus-Projekte von Aborigines Queensland / Australien

Besitzer, Betreiber, Tourguide und Speerfischer: Brandon Walker

(Foto: Fabian Herrmann)

Schon als kleines Kind sei er mit seinem Großvater losgezogen. "Der hat uns gezeigt, wie man Speere macht und damit jagt. Er hat gesagt, dass es wichtig für uns ist, unser eigenes Land zu kennen." Mittlerweile kann Brandon Walker Geld mit seinen Ausflügen in die Natur verdienen, denn er ist nicht mehr nur Fischer. "Besitzer, Betreiber und Tour Guide" hat er sich auch auf die Visitenkarte drucken lassen. Zusammen mit seinem Bruder Linc hat er sein eigenes Unternehmen gegründet und bietet Speerfisch-Touren an der Mangrovenküste an, Motto: "Protecting, practicing and sharing our culture."

Tradition und Moderne trennt nur ein Fliegengitter

Die Touren sind gefragt. Ein gutes Dutzend Touristen watschelt Brandon schnatternd hinterher, die meisten von ihnen sind mehr damit beschäftigt, ihre Hosen hochzukrempeln als ihre Speere nach Krabben und Fische zu werfen. Denn die Südsee macht heute mehr auf Nordsee - im trüben, unruhigen Wasser hat selbst der Profi wenig Aussicht auf Erfolg. Ein paar kleine Austern und andere Muscheln kratzt Brandon von den Baumwurzeln.

Damit trotzdem niemand hungrig bleibt, macht Brandon anschließend Ernst mit dem Teilen seiner Kultur. Auf dem Balkon seines Elternhauses direkt hinter dem Strand tischt er frittierte Meeresschildkröte in einer Zitronengras-Sauce auf. Die hatte er noch von seiner Feier zum 40. Geburtstag letzte Woche im Kühlschrank.

Auch in Australien stehen Schildkröten unter strengem Schutz. Für einige Aborigine-Stämme gelten aber Sondergenehmigungen. "Die fangen wir wirklich nur zu besonderen Anlässen. Die Regierung erlaubt unserer Gemeinde, 75 im Jahr zu fangen. Wir belassen es aber meistens bei etwa 20, wenn's hoch kommt vielleicht 25", sagt Brandon.

Tradition und Moderne trennt im Hause Walker nur ein Fliegengitter. Drinnen schauen die Eltern Telenovela, draußen serviert der Sohn zwischen Jagdspeeren, Boomerangs und Schwertfischflossen Schildkröte.

Alte Bräuche ohne billige Didgeridoo-Folklore

Oft sind es gerade die jungen Aborigines, die die alten Bräuche wieder aufpolieren und neu in Szene setzen. Einprägsam, aber mit so wenig Kitsch wie möglich. Der Gast bleibt Gast, der als Kurzzeit-Lehrling am Wissen einer uralten Kultur teilhaben kann und gleichzeitig erfährt, wie das Leben der Aborigines heute funktioniert. Didgeridoo-Folklore halbnackter Ureinwohner für ein paar Dollar gibt es weder bei Skip noch bei Brandon - und auch nicht bei Sonya Jeffrey.

In Tully, etwa zwei Autostunden südlich von Cairns, versucht sie zusammen mit ihrer Familie aus dem Jirrbal-Stamm gerade auch, ein Besucherzentrum aufzubauen, deutlich kleiner allerdings. Sonya hat wie Skip eigentlich einen Aborigine-Namen, aber dass sie auf den nicht unbedingt besteht, ist verständlich. Der bedeute nämlich "nach Opossum riechende Blume" sagt sie und schüttelt sich vor Lachen.

Ihre Familie hat gerade den alten Bahnhof von Tully gepachtet. Ein Bahnhof, wie er in Zigtausenden Dörfern auf der ganzen Welt steht: Zwei Gleise, dazu ein langgestrecktes Bahnhofshäuschen. Und das richtet die Familie unter Sonyas Führung gerade wieder her.

Überall wird gebohrt, gehämmert und gestrichen. Es soll die neue Basis für ihr Familienunternehmen werden. "Bisher haben wir von zu Hause aus gearbeitet. Aber unser Unternehmen wächst und jetzt haben wir wirklich einen Platz gebraucht, an dem wir uns niederlassen können", sagt Sonya und schaut stolz über das Gelände. Dort komme das Büro hin, hier müssten sie noch das Café ausbauen, ein kleines Kulturmuseum soll es auch geben. "Wir wollen so schnell wie möglich eröffnen", sagt sie und lacht schon wieder markerschütternd.

Alle paar Meter stutzt Caroline eine Liane zurecht

Die Tour leitet diesmal ihre Nichte Caroline. Etwa eine halbe Stunde steuert sie den Transporter über holprige Forstwege durchs Gelände, dann geht es hinein in den Wald der Jirrbal. Der schmale, lehmige Pfad ist uneben und an einigen Stellen rutschig. Die Besucher müssen umgefallene Bäume umkurven und durch Bachläufe waten.

Alle paar Meter stutzt Caroline eine Liane zurecht oder klopft mit ihrer Zuckerrohr-Machete laut gegen einen Baum, um Schlangen zu vertreiben, die möglicherweise durchs Unterholz kreuchen. Dreimal pro Woche mache sie die Tour, sagt Caroline, wenn es Sonderanfragen gebe, auch zweimal am Tag. "Es sind Schulgruppen, Uni-Seminare - und mittlerweile vor allem internationale Touristen", erklärt sie.

Tourismus-Projekte von Aborigines Queensland / Australien

Früher hat Caroline auf einer Bananen-Plantage gearbeitet, jetzt ist sie Tourguide im Familienunternehmen.

(Foto: Fabian Herrmann)

Die Touren leiten sie oder Sonyas Mann - und bald hoffentlich auch Warren. Der wird gerade ausgebildet; noch braucht der höfliche, etwas schüchterne Mann mit den krausen Locken und der Brille aber Nachhilfe. Caroline muss ihm bei seinen Erklärungen oft kleine Ergänzungen einflüstern. Das wirkt nicht so professionell durchstrukturiert wie andernorts - und gerade deshalb sympathisch und echt.

"Ich mag das, was ich jetzt tue"

Früher habe sie in der Bananen-Industrie gearbeitet, erzählt Caroline. Harte Arbeit sei das gewesen. "Ich mag das, was ich jetzt tue, viel lieber. Hier sind wir aufgewachsen, das war unser Spielplatz, unsere Natur. Ich genieße jede Minute", sagt sie. Auch Warren hat früher auf den Feldern in der Gegend gearbeitet. Schweißtreibende Jobs, schlecht für den Rücken. Aber eben das, was es in der landwirtschaftlich geprägten Region an Arbeit gibt - auf einer der riesigen Zuckerrohr- oder Bananen-Plantagen, die hier zwischen Pazifik im Osten und hügeligem Regenwald im Westen die meiste Fläche füllen. Die Muskeln hat er behalten, den Job hat er gewechselt.

Der Tourismus bringt Sonya und ihrer Familie ein wichtiges Stück Selbständigkeit. Für Aborigines ist die umso wichtiger. Denn auch wenn sie längst die gleichen Bürgerrechte genießen wie die Weißen und sich die Regierung mittlerweile für zwei Jahrhunderte Unterdrückung entschuldigt hat, auch wenn Selbstvertrauen und Selbstverständnis der Ureinwohner ständig wachsen - viele Probleme in der australischen Gesellschaft sind noch lange nicht gelöst. So fehlt etwa bis heute die Anerkennung der Aborigines als erste Einwohner Australiens in der Verfassung.

"Wir werden immer stolz sein auf unser Erbe"

Wenn es darum geht, verschwindet auch kurz das Lächeln aus Sonyas dauerfröhlichem Gesicht: "Wir führen heute ein sehr modernes Leben, aber wir vergessen nie, wo unsere Wurzeln sind - unsere Kultur, unsere Sprache", sagt sie. Es bewege sich schon einiges und der Wandel komme mit jedem Einzelnen hier. Mit ihrem Vater, Caroline, ihr selbst. "Mein Vater sagt immer: Der Tag, an dem wir alle sagen können, dass wir Australier sind, das ist der Tag, an dem wir gemeinsam in die Zukunft gehen können. Und so ist es. Wir werden nie unsere Identität vergessen. Wir werden immer stolz sein auf unser Erbe und das jedem zeigen, der sich dafür interessiert. Aber erst wenn es nicht mehr heißt, du bist das und du bist jenes, können wir gemeinsam vorankommen", sagt sie.

Lange kann Sonya nicht schwermütig und ernst sein. Ein kleiner Scherz genügt und es ist wieder da, ihr vermutlich seismologisch messbares Lachen. Einige in der australischen Gesellschaft mögen noch nicht so weit sein, aber bis alle mitziehen, gehen ein paar Aborigines schon mal voraus. Für ihre Selbständigkeit setzen sie nicht auf Anpassung, sondern auf die eigenen Wurzeln.

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