Tourismus:Venedig wehrt sich

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Die üblichen Touristenhorden auf der Rialto-Brücke. Neue Verordnungen sollen nun dafür sorgen, dass sich keiner mehr daneben benimmt. (Foto: Reuters)

Mit neuen Verboten will die Stadt rüpelhafte Touristen bändigen - und Urlauber, die trinken, picknicken oder sich einfach ohne Stuhl niederlassen.

Von Oliver Meiler

Ach, Venedig, du Prächtige und Geschundene. Unter dem Druck des Massentourismus verliert die Serenissima gerade ein ganzes Stück ihrer Gelassenheit. Wer kann es ihr verdenken?

Gemacht wäre die Stadt für höchstens 7,5 Millionen Besucher im Jahr, so hat es eine Studie ermittelt. Zuletzt aber waren es mehr als 28 Millionen. Und längst nicht alle Gäste zollen der zerbrechlichen Schönheit den gebührenden Respekt. Die Italiener sprechen von "Decoro", Dekorum. Das ist ein alter, aus der Mode gefallener Begriff, der die Begegnung von Ort und Mensch fasst. Passen sie zusammen, ist alles gut und das Dekorum intakt. Mangelt es aber am Anstand, fällt das vor allem in den schönen Kunststädten besonders stark auf. In Venedig, Rom, Florenz.

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Venedig hätte es verdient, dass seine Besucher nicht in die Kanäle sprängen, geschweige denn sich im hohen Bogen darin erleichterten. Dass sie auch nicht halb nackt durch seine Calli, die alten Gassen, zögen, egal, wie heiß es gerade ist. Oder dass sie nicht auf der Piazza San Marco picknickten, als wäre der Platz eine ordinäre Autobahnraststätte. Solche Dinge ziemen sich nicht.

Nun aber hat Venedigs bürgerliche Stadtregierung eine neue Polizeiordnung ausgearbeitet, die den eingeforderten Respekt noch viel weiter steckt, zwecks Wahrung des "Decoro".

Eine Verschnaufpause in der Bar kommt künftig billiger, sogar in Venedig

Im Artikel 35 heißt es zum Beispiel, dass es künftig verboten ist, sich einfach mal so auf den Boden zu setzen, auf die "Masegni" etwa, wie die typischen Pflastersteine der Stadt heißen, oder auf Brückenböden, Kirchentreppen, Denkmalsockel. Eine Verschnaufpause nach langem Rundgang? Macht man besser in einer Bar, zum caffè und zahlend.

Überlebt die neue Norm auch die nun fällige Diskussion im Gemeinderat, dann können Polizisten gegen Herumsitzer bald Bußgelder verhängen, je nach Schwere des Falls und heiliger Pracht des Ortes: zwischen 50 und 500 Euro. Besonders uneinsichtige Herrschaften können dann auch stante pede aus der Stadt geworfen und mit einem Besuchsverbot belegt werden.

Artikel 37 regelt das öffentliche Trinken neu, und zwar umfassend. Er verbietet nicht nur den Spontanaperitif in der Gasse, bei dem man ja auch mal in flagranti erwischt werden könnte. Zwischen 19 Uhr und acht Uhr früh ist selbst das Herumtragen von Alkohol "ohne gute Gründe" untersagt. Gute Gründe fürs Saufen?

Nun, das Feiern eines Universitätsabschlusses gehört nicht dazu, so wenig wie ein Junggesellenabschied. Den besorgten Einheimischen musste versichert werden, dass sie weiterhin Alkohol in Einkaufstüten nach Hause tragen dürfen, ohne dafür Bußgeld zahlen zu müssen. Verboten werden auch Skateboards und Segways. Und Musik aus Lautsprechern.

Ob sich Venedig so retten lässt? Die Opposition wirft der Stadtregierung vor, sie schlage viel Schaum, während die wirklich großen Fragen offenblieben. So etwa der Umgang mit den gigantischen Kreuzfahrtschiffen, die ihre Schwemme an Passagieren über Venedig entladen. Oder das Problem mit der schier zügellosen Zunahme von Touristenwohnungen, Hotels, B&Bs.

Vor fünfzig Jahren zählte Venedigs Altstadt 116 000 Einwohner, nun sind es noch 53 000. Tendenz abnehmend, im Gleichschritt mit der Versehrung des Dekorums.

© SZ vom 27.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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