Süddeutsche Zeitung

Tourismus:Urlaub nach Gefährdungslage

  • Die Anschläge in Ägypten, Paris und Tunesien haben Auswirkungen auf den Tourismus.
  • Viele Urlauber buchen derzeit Reisen ans westliche Mittelmeer, davon profitieren besonders Spanien und Portugal.
  • Die Branche diskutiert über die Konsequenzen aus dem Terror - und will falsche Signale vermeiden.

Von Michael Kuntz, Lissabon

Die Reise geht zurück in die 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. Seinerzeit landeten die deutschen Urlauber mit riesigen Tristar-Jets in Spanien. Sie besetzten Orte von Malaga bis Torremolinos so zahlreich, dass entlang der Küste bald viele Bettenburgen aus Beton entstanden. Für die Reisekataloge entstanden Begriffe wie "seitlicher Meerblick" oder "verkehrsgünstige Lage" für die zweite Hotelreihe ohne Ausblick, aber mit Schnellstraße unter den Balkonen.

Da wollte dann irgendwann kaum noch jemand hin. Die Spanier kaschierten zwar ihre Bausünden durch Modernisierungen und weniger hässliche Neubauten, doch die Neckermänner als Pioniere des Pauschaltourismus waren längst unterwegs zu anderen Ufern des Mittelmeeres, wo sie für weniger Geld mehr geboten bekamen.

"Die Zeiten sind äußerst unruhig geworden"

Tunesien, Ägypten, die Türkei standen alsbald für neue komfortable Hotelanlagen mit vier oder fünf Sternen, Sonne und Strand, Essen und Trinken - alles inklusive. Ein solches Paket suchen viele Urlauber, die nicht auf eigene Faust reisen, sondern die Dienste der Reiseveranstalter nutzen, bis heute. Von den siebzig Millionen Urlaubsreisen, die länger als fünf Tage dauerten, gingen im vorigen knapp 40 Prozent ans Mittelmeer. Spanien ist vor Italien und der Türkei das beliebteste Urlaubsland der Deutschen. Während die spanischen Inseln dank starker Nachfrage und eng getakteter Flugpläne mindestens so gut aus der Luft zu erreichen sind wie Hannover oder Leipzig, taten sich die Hoteliers an der spanischen Festlandsküste zunehmend schwer, ihre in die Jahre gekommenen Betonklötze zu füllen. Doch nun steht ihr Comeback an.

Denn der Arabische Frühling und die Terroranschläge des "Islamischen Staates" in Tunesien und Ägypten leiten die Urlauberkarawane gerade um. Verstärkt wird die Rückbesinnung auf europäische Mittelmeerziele auch durch die Flüchtlingsströme durch Griechenland. Viele Leute schauen vor einer Buchung nicht so genau auf die Landkarte und merken daher nicht, dass das Krisenland auch Ferienorte zu bieten hat, die fernab der Routen der Flüchtlinge liegen, bedauert ein deutscher Reisemanager.

Die Veranstalter bemerken aktuell nicht nur verhaltene Buchungen für Griechenland, sondern auch für die Türkei, wo der Anschlag in Ankara und die Situation an der Grenze zu Syrien Erholungssuchende davon abhält, an die Mittelmeerküste zu reisen. Beide Länder hatten 2015 bei den Buchungen zugelegt. Griechenland hatte sogar das Rekordniveau von 2014 erreicht.

Vor allem der Tourismus in Spanien und in Portugal profitiert derzeit von dieser neuen Entwicklung. "Im westlichen Mittelmeer gibt es ja kaum noch freie Betten", sagt dieser Tage ein Touristik-Topmanager, der jedes Jahr viele Millionen Deutsche in den Urlaub befördert. Er fragt sich: "Wo sollen denn die Leute hin?"

"Tourismus basiert auf Offenheit, Menschlichkeit und kultureller Neugier"

Die jüngsten Anschläge in Paris und der Terror von radikalislamistischen Gruppierungen in Frankreich und westlich orientierten Ländern werden die Welt und damit auch das Reiseverhalten verändern. Vertreter von Hotels und Reiseveranstaltern rechnen mit einem deutlichen Einbruch für Paris, bislang eines der beliebtesten Ziele für Städtereisen weltweit. "Die Zeiten sind äußerst unruhig geworden", sagt Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbands, bei der Jahrestagung seines Branchenverbandes in Lissabon. Reiseländer zu meiden, wäre für ihn in dieser Zeit der Verunsicherung das falsche Signal: "Der Tourismus basiert auf Offenheit, Menschlichkeit und kultureller Neugier. Er beruht nicht auf Abschottung, Fremdenfeindlichkeit und Kulturkampf."

Fiebig bekräftigt, was er bereits nach dem Attentat in Port El-Kantaoui in Tunesien im Sommer gesagt hatte: "Wir werden einstweilen leider mit dieser Bedrohung leben müssen und sind sicher gut beraten, uns und unsere Art zu leben hierdurch nicht allzu sehr einschränken zu lassen." Die großen Reiseveranstalter haben sich seit Ereignissen wie dem Tsunami im Indischen Ozean 2004 oder der Aschewolke des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull im Jahr 2010 darauf einstellen müssen, dass Reisen nicht immer so ablaufen wie geplant.

Mit 550 Gästen hatte DER Touristik, Spezialist für Baustein-Reisen, am vergangenen Wochenende wohl so viele Urlauber in Hotels in der Pariser Innenstadt untergebracht wie kein anderes deutsches Reiseunternehmen. Sie konnten über ihre Mobiltelefone erreicht werden. Der Versand von SMS-Nachrichten hat sich als probates Mittel erwiesen, da die Mobilfunknetze in solchen Notfallsituationen oft überlastet und anfällig sind. Eine SMS erreicht den Empfänger auch, wenn ein Telefonat nicht möglich ist. "Das haben wir damals beim Tsunami gelernt", sagt ein DER-Sprecher. Marktführer Tui hat gerade ein neues Krisenzentrum in seiner Zentrale in Hannover fertiggestellt.

Entscheidend für eine schnelle Hilfe im Krisenfall ist, dass die Reiseveranstalter ihre Kunden per Handy erreichen können. In den mittlerweile aufgerüsteten Krisenzentren ermöglicht eine spezielle Software, Tausende Urlauber rasch zu kontaktieren, um zu erfahren, ob sie Hilfe benötigen. Reisebüros reichen die Telefonnummern jedoch oftmals nicht an die Veranstalter weiter. Sie befürchten, dass ihnen mit der Weitergabe der Daten Kunden abgeworben werden.

Krisen und Katastrophen ereignen sich aber häufig außerhalb der Geschäftszeiten, sagt Tui-Krisenmanager Ulrich Heuer. Urlauber sollten bei der Buchung im Reisebüro deshalb darauf bestehen, dass ihre Handynummer an den Veranstalter weitergegeben wird, empfiehlt der Experte.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2015
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