Tourismus und Menschenrechte:Fährt man hin, fährt man nicht hin?

Tourismus und Menschenrechte: Illustration: Alper Özer

Illustration: Alper Özer

Auf nach Istanbul? Oder die Türkei boykottieren? Eine Reise in Länder, die Menschenrechte missachten, kann eigene Ansprüche auf die Probe stellen.

Von Monika Maier-Albang

Dieses Jahr wäre die Türkei so ein Wackelkandidat gewesen. Fährt man hin, fährt man nicht hin? Solch ein schönes Ziel bei der Reiseplanung außen vor zu lassen, ist nicht leicht.

Die Menschen sind gastfreundlich, die Reisebusse bequem und das Fremde dort ist auf eine angenehm vertraute Art fremd. Aber irgendwie muss man dem Land doch zu verstehen geben, dass man nicht versteht, warum es sich einem so selbstherrlichen Präsidenten wie Erdoğan unterstellt, dass einem der übersteigerte Nationalismus missfällt, dass man die Politik im Osten des Landes, der sich gerade erholt hatte und wo nun der falsche Krieg geführt wird, unsäglich findet.

So wägt man also hin und her, bis zum Anschlag von Istanbul. Mit ihm ist alles Makulatur: Diesen Sommer werden so viele aus Sorge um ihre Sicherheit nicht in die Türkei reisen - da fällt gar nicht auf, wenn noch eine nicht kommt - aus politischen Erwägungen.

Boykott-Aufrufe seien nicht nützlich, sagen die etablierten Organisationen. Stimmt das?

Der Boykott im Tourismus ist ein alt gedientes Debattenthema. Bis vor einigen Jahren noch diskutierte man leidenschaftlich über die Frage: Darf man, soll man in Länder fahren, die Menschenrechte nicht achten? Nein, weil man dadurch ein Zeichen setzt und im besten Fall Machthaber zu Zugeständnissen zwingt. Ja, weil die Menschen im Land doppelt gestraft sind, wenn man ihnen Geld und Begegnung vorenthält.

Wie wir Urlaub machen wollen

Jedes Jahr sind etwa eine Milliarde Touristen unterwegs. Das bietet riesige Chancen für die besuchten Länder. Und einige Probleme.

Die Experten etablierter Organisationen wie Tourism Watch, der "Studienkreis für Tourismus und Entwicklung" oder Amnesty International raten mittlerweile zum Hinfahren - ebenso wie es die Reiseveranstalter tun, die nicht frei von Eigeninteressen sind. Verbunden ist das Ja zum Hinfahren in der Regel mit dem Appell an den "mündigen Touristen", der Veranstalter wählt, die ethisch verantwortlich handeln, die beispielsweise keine Kinderarbeit unterstützen und ihre Angestellten gerecht entlohnen. Lediglich kleinere NGOs halten noch fest am Instrumentarium des Boykott-Aufrufs - vielleicht, weil sie weniger desillusioniert sind.

Boykott-Aufrufe hätten sich als "nicht nützlich" erwiesen, sagt Verena Haan, Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International. Ein gutes Beispiel dafür ist Myanmar. Dort hatte seinerzeit die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest heraus gebeten, ihr Land nicht zu bereisen. Die Devisen, so ihre Argumentation, stützten das Militär, das an Hotelketten verdient. Allerdings fand Suu Kyis Aufruf seinerzeit schon nicht nur Befürworter. Die Menschen wollten den Kontakt zu den Urlaubern. Nicht nur, weil er Geld bringt; sondern weil er anregend ist und die Tür zur Welt öffnet. 2015 gewann Suu Kyi die Wahl, seit Februar ist ihre Partei an der Macht, und das Land entwickelt sich schnell.

Illustration Reiseserie GUTE REISE Wie wir Urlaub machen wollen Aung San Suu Kyi Myanmar

Aung San Suu Kyi, Kämpferin für eine gewaltlose Demokratisierung Myanmars, hatte einst zum Reise-Boykott aufgerufen. Aber die Zeiten ändern sich.

(Foto: Alper Özer)

In Bagan, am Inle-See, in Yangon und überall sonst, wo auch Individualreisende hinkommen, vermieten Einheimische Zimmer, entstehen kleine Guest-Houses. Bewirkt hat den Wandel allerdings nicht Suu Kyis Forderung nach einem Tourismus-Boykott. Die Myanmaren selbst haben sich durch ihren hartnäckigen Protest der Junta ansatzweise entledigt. Höchstens noch bei der Abschaffung des Apartheid-Systems in Südafrika dürfte ein internationaler Boykott tatsächlich zum Regimewechsel beigetragen haben. Allerdings gab es hier ein Bündel an Sanktionen. Ein Land muss schon um sein Ansehen fürchten und es muss viel Geld im Spiel sein, bis die Machthaber reagieren.

Was heißt denn nun "genau hinsehen"?

Es sei "Privatsache", wohin man reisen wolle, sagt Haan, aber natürlich begrüßenswert, wenn die Menschen "genau hinsehen". Und das kann man ja. Auf den Internetseiten von Organisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch finden sich Angaben dazu, wie frei Menschen in ihrer Heimat leben können. In vielen der Länder, die besonders schlecht abschneiden, macht ohnehin kaum jemand Urlaub. In Pakistan, Nigeria oder Somalia ist die Lage so gefährlich, dass höchsten noch Entwicklungshelfer hinreisen. Es gibt aber durchaus beliebte Urlaubsländer, deren Bewohner Repressalien zu fürchten haben, von denen Gäste kaum etwas mitbekommen: Thailand zum Beispiel, wo die Militärregierung mit harter Hand gegen Oppositionelle vorgeht, Kambodscha, wo Fabrikarbeiterinnen ausgebeutet werden, China, wo Menschenrechtsaktivisten schnell im Gefängnis landen.

Was heißt denn nun dort "genau hinsehen"? Und welchen Schluss zieht man dann daraus? Die Welt ist nun mal so verflixt komplex! Ja, die Menschen in Iran freuen sich über Besucher aus Europa, weil die Gäste ihnen das Gefühl geben, in die Normalität zurückzukehren. Aber hofiert man nicht die Theokratie durch einen Besuch? Oder ändert mein Besuch irgendetwas in einem Land wie Oman, das zwar nicht von so verrückten Machos wie Saudi-Arabien regiert wird, wo Frauen aber trotzdem allein kaum das Haus verlassen?

Vielleicht ist die Hoffnung schlicht illusorisch, dass man etwas verändern kann, wenn man ein Land bereist, in dem Menschen nicht unser Maß an Freiheit leben dürfen. "Das Gesehene heimzutragen ist oft wichtiger als das Einmischen vor Ort", sagt Haan. Aber reicht das wirklich? Viel zu lange spielte die Lage in autokratisch regierten Urlaubsländern keine Rolle - vor allem, was die Diktaturen im Nahen Osten anging. Wie es dort wirklich aussieht, ist vielen erst durch den Arabischen Frühling ins Bewusstsein gedrungen. In Ägypten unter Mubarak und in Tunesien unter Ben Ali hatte die stets hilfsbereite Tourismuspolizei den Weg gewiesen und die Urlauber hatten vor lauter Begeisterung über das gute Essen und den warmen Sand hingenommen, dass derselbe Staatsapparat seine Kritiker foltert. Diktaturen sind ja oft ein besonders angenehmes Reiseziel. Sie bieten dem Reisenden ein Gefühl von Sicherheit, nur ist die häufig blutig erkauft.

Und der "mündige Tourist" - wie verhält er sich nun? Es gibt Zertifikate wie TourCert, die Veranstalter danach bewerten, ob sie soziale und ökologische Kriterien erfüllen. Über das "Forum anders reisen" findet man zudem Reiseunternehmen, die sich darüber Gedanken machen, was mit dem Geld passiert, das Touristen in ein Land spülen. Aber eine Liste von unbedenklichen Hotels, Transportunternehmen und sonstigen Dienstleistern am Urlaubsort gibt einem niemand an die Hand. Ein politischer Vorstoß, Reiseveranstalter zu verpflichten, anhand der Informationen des Auswärtigen Amtes über die Menschenrechtslage in Reiseländern zu informieren, scheiterte vor vier Jahren am Widerstand der Reisebranche.

Man muss sich also über andere Quellen schlau machen. Und wichtig ist auch, Menschen in autokratisch geführten Ländern nicht durch unbedachte Gespräche in Gefahr zu bringen. In Iran beispielsweise hat man schnell Leute an seiner Seite, die ihren Frust und ihren Ärger über das Mullah-Regime mitteilen wollen. Der eigene Reiseleiter oder ein unbekannter Tischnachbar kann für sie zur Gefahr werden. Und was die Türkei betrifft: Sollte man als erprobter Gast nicht gerade jetzt den Mund aufmachen, wenn unsere Politiker leisetreten, weil sie das Land als Zuwanderungsverhinderungs-Partner brauchen?

Den Menschen dort wird die offene Rede ja zunehmend schwer gemacht. Die Meinungsfreiheit in der Türkei sei im Laufe des vergangenen Jahres deutlich eingeschränkt worden, sagt Marie Lucas, Türkei-Expertin von Amnesty International. Wer sich öffentlich - etwa über die sozialen Medien - kritisch über die Regierungspartei AKP äußere oder Praktiken der Sicherheitsbehörden im Osten des Landes kritisiere, könne wegen angeblicher Beleidigung der Nation angeklagt werden oder, schlimmer noch, unter Terrorismus-Verdacht geraten. Das sollte man mit bedenken, wenn man übers Internet kommuniziert. "Die meisten Einheimischen wissen allerdings, unter welchen Bedingungen sie leben", sagt Lucas.

Ethisch verantwortlich zu reisen heißt in letzter Konsequenz, bereit sein zum Verzicht

Ethisch verantwortlich zu reisen heißt in letzter Konsequenz aber auch, bereit zu sein zum Verzicht. Man bucht in Ländern, in denen die Besitzverhältnisse undurchsichtig sind, dann halt nicht ein Hotel mit Pool. Und verzichtet so auf Bequemlichkeit. Und wer in die Türkei reist und das, was ihn stört, nicht einfach weglächelt, sondern ausspricht, der verzichtet ganz sicher auf Entspannung. Aber er gewinnt auch. Selbstachtung nämlich.

Was die Gastgeber zumindest erwarten dürfen ist, dass die Reisenden den Versuch unternehmen zu verstehen, wie das Land außerhalb ihres Wohlfühl-Resorts tickt. Und es gibt tatsächlich immer mehr Menschen, die ihr Urlaubs-Verhalten hinterfragen. Der Schutz der Menschenrechte sei "in den letzten Jahren stärker ins Bewusstsein gerückt", sagt Claudia Mitteneder vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung. Die Länder bekommen das zu spüren. Indien zuletzt. Viele Urlauberinnen meiden das Land - nicht, weil sie sich unsicher fühlen. Sondern weil dort Männer, die Frauen wie Dreck behandeln, nach wie vor gesellschaftlich nicht konsequent geächtet werden. Boykott-Aufrufe gegen Indien hat es nicht gegeben. Wozu auch? Es braucht keinen Boykott mehr, weil es den mündigen Touristen längst gibt.

Alle bisherigen Folgen der Serie "Gute Reise" finden Sie unter sz.de/gutereise

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: