Süddeutsche Zeitung

Tourismus und die Proteste in Ägypten:Alles außer Kairo

Zwar warnt das Auswärtige Amt noch nicht explizit vor Reisen in die ägyptische Hauptstadt, doch einige Veranstalter sagen ihre Kairo-Ausflüge vorsichtshalber ab - und überdenken ihre Rolle im Touristenland Ägypten.

Johanna Bruckner und Katja Schnitzler

Die Gewalt ist auf den Tahrir-Platz zurückgekehrt: Bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und dem Militär sollen dort bereits Dutzende Menschen getötet und fast 2000 verletzt worden sein. Doch die neuerlichen Unruhen destabilisieren knapp eine Woche vor den ersten Parlamentswahlen nicht nur die ohnehin unsichere politische Lage. Sie schwächen das krisengeschüttelte Land auch wirtschaftlich: Das Wiederauflammen der Gewalt fällt mit der für Ägypten so wichtigen Hauptreisezeit zusammen.

Am Montag reagierte das Auswärtige Amt auf die Auschreitungen: Auf der Webseite des Ministeriums wird unter Bezug auf die jüngsten "gewalttätigen Auseinandersetzungen" empfohlen, "Menschenansammlungen und Demonstrationen weiträumig zu meiden". Insbesondere gelte dieser Hinweis "für die urbanen Zentren, und derzeit ganz besonders für das Gebiet um den Tahrir-Platz und das Fernsehgebäude (Maspero) in Kairo." Urlauber sollten die lokale Medienberichterstattung verfolgen.

Die Behörde rät jedoch nicht explizit von Reisen in die ägyptische Hauptstadt ab: "Reisen nach Ägypten sollten bis auf weiteres auf Kairo, die Urlaubsgebiete am Roten Meer, die Touristenzentren in Oberägypten (...) und auf geführte Touren in der Weißen und Schwarzen Wüste beschränkt werden", heißt es weiter - noch ist die Hauptstadt nicht aus dieser Empfehlung gestrichen worden. Etliche Reiseveranstalter haben dennoch reagiert und angesichts der blutigen Unruhen Tagesausflüge nach Kairo vorerst abgesagt.

Alltours werde am Dienstag nicht nach Kairo fahren, sagte eine Unternehmenssprecherin. Die Rewe Touristik GmbH - zu der die Marken ITS, Jahn Reisen und Tjaereborg gehören - hatte schon am Sonntag den Ausflug aus Hurghada in die ägyptische Hauptstadt ausfallen lassen. Ob in den kommenden Tagen Abstecher nach Kairo angeboten werden, entscheide man von Tag zu Tag neu, erklärte eine Sprecherin.

Studiosus verzichtet vorerst darauf, Urlauber zum Ägyptischen Nationalmuseum zu bringen, das am Tahrir-Platz liegt. Reisende, die in Hotels in der Nähe des Platzes gebucht waren, würden in anderen Stadtteilen untergebracht, erklärte eine Unternehmenssprecherin. Grundsätzlich werde Kairo aber nicht aus den Rundreisen gestrichen.

Ob das Ministerium den Sicherheitshinweis zu einer Reisewarnung für Kairo, einzelne Teilregionen Ägyptens oder das ganze Land heraufstufe, hänge von den weiteren Entwicklungen ab, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes zu sueddeutsche.de. Eine Reisewarnung wird nur ausgeprochen, wenn "aufgrund einer akuten Gefahr für Leib und Leben vor Reisen in ein Land oder eine bestimmte Region eines Landes gewarnt werden muss".

Auf den Tourismus - eine der Haupteinnahmequellen Ägyptens - dürften sich die neuerlichen Unruhen abseits aller politischen Folgen schon jetzt negativ auswirken.

Nach dem Einbruch der Reisezahlen durch die Revolution im Frühjahr dieses Jahres erholt sich die Branche nur langsam: "Die Gäste müssen erst wieder Vertrauen in das Land gewinnen", sagt Sibylle Zeuch von Deutschen Reiseverband sueddeutsche.de. Statt Urlaub im politisch instabilen Ägypten zu machen, waren Reisende lieber in die Türkei oder auf die Kanarischen Inseln geflogen.

Wer dennoch eine Ägyptenreise gebucht hat, darf nun aber nicht kostenlos Stornieren oder Umbuchen, solange es noch keine konkrete (Teil-) Reisewarnung für Ägypten gibt. Reisende, die angesichts der aktuellen Lage ihren Urlaub lieber woanders verbringen möchten, müssen die Kosten dafür derzeit selbst tragen.

Werden wegen der Unruhen Ausflüge nach Kairo abgesagt, müssen die Kunden ihr Geld dafür zurückerhalten: Reiseveranstalter können sich in diesem Fall nicht auf höhere Gewalt berufen und die Zahlung mit diesem Argument verweigern.

Während der Ägypten-Krise am Jahresanfang hatten sich größere Veranstalter wie die Tui, Thomas Cook/Neckermann und die Rewe-Pauschaltouristik (ITS, Jahn Reisen, Tjaereborg) kulant zeigen können: Sie ermöglichten kostenlose Umbuchungen für bestimmte Touren lange über die Aufhebung der Reisewarnung hinaus bis Mitte April. Kleinere Veranstalter, die auf Ägypten spezialisiert sind und keine anderen Länder im Katalog haben, konnten das nicht und verlangten oft Stornogebühren, erklärte Reiserechtler Ernst Führich.

Verantwortung der Reiseveranstalter

Mit dem Wiederaufflammen der gewaltsamen Proteste gegen die Militärs rückt auch wieder die Frage in den Vordergrund, ob mit Reisen in solche instabilen oder nicht demokratischen Länder die herrschenden Machthaber weiter gestärkt werden. Bereits im Februar 2011 hatte Heinz Fuchs, Leiter des Projektes "Tourism Watch" für sozial- und umweltverträglichen Tourismus des Evangelischen Entwicklungsdienstes, gewarnt: "Touristengeld stützt Militärs."

Schon vor dem Umsturz hätten Mitglieder der Armee eine sehr starke Rolle im ägyptischen Tourismus gespielt, "sie kontrollieren die Halbinsel Sinai". Ranghohe Militärs seien Investoren oder besäßen selbst Hotelanlagen. Da nun trotz des politischen Umsturzes das Militär weiterhin an der Macht sei, habe sich daran auch nichts geändert. Fuchs hatte Urlauber dazu aufgerufen, lieber in kleine familiengeführte Hotels zu reisen, statt mit den Billigangeboten der großen Hotels auch Niedriglöhne der Angestellten und vorhandene Besitzstrukturen zu verfestigen.

Doch für internationale Reiseveranstalter lohnt sich das Investieren in Kleinbetriebe meist nicht. "Wer also derzeit eine Reise nach Ägypten anbietet, wird nicht umhin kommen, mit dem Militär zusammenzuarbeiten", sagt Fuchs. Dessen müssten sich die Unternehmen bewusst sein.

Immerhin eine positive Entwicklung sieht der Tourismusexperte seit Jahresbeginn: Die Lage in Ägypten habe die Diskussion über die Verantwortung von Reiseanbietern bei der Wahrung der Menschenrechte angestoßen, denn die Veranstalter seien "ernsthaft bestürzt gewesen, in welcher Rahmensituation Tourismus dort stattfindet - obwohl es die Anbieter hätten wissen müssen". Inzwischen würden einige Unternehmen Ziele auch danach analysieren, ob dort Menschenrechte eingehalten würden, ob man dort mit den richtigen Partnern zusammenarbeite oder ob einige Länder vorübergehend oder dauerhaft gar nicht bereist werden. Zwar gebe es für dieses vielschichtige Problem keine schnelle Lösung, "aber diese gute Diskussion lässt hoffen".

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