Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Ende der Reise":Verkehrte Welt in Venedig

Viele Städte leiden unter zu vielen Touristen. Wenn diese dann aber endlich wegbleiben, zum Beispiel wegen eines Naturereignisses, heißt es schnell: Wo seid ihr denn alle?

Von Hans Gasser

Was gibt es Schöneres, als dem eigenen Chef - gerne auch der Chefin - mal eins auf die Klappe geben zu dürfen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden? Der Tausch der Rollen zwischen Herr und Knecht, zwischen Frau und Mann, zwischen Mensch und Tier wird nun wieder in aller Welt zelebriert.

Verkehrte Welt - dieser Grundgedanke des Karnevals, der ja durchaus eine wichtige Ventilfunktion erfüllt, scheint sich in dieser Saison irgendwie in das reale Leben geschlichen zu haben. Insbesondere, was viel besuchte, manche sagen auch: heimgesuchte Städte betrifft. Venedig zum Beispiel.

Die Serenissima ächzt seit Jahren unter der Last von Millionen von Tagestouristen. Aus diesem Grund soll nun, nach Jahren der Ankündigung, ab dem Sommer eine Art Eintrittsgeld für Tagesbesucher erhoben werden: günstige sechs Euro. Dafür gibt's noch keinen Cappuccino am Markusplatz. Doch derselbe Bürgermeister, der dies mit Vehemenz gefordert hat und vom drohenden Untergang der Stadt durch die vielen Besucher sprach, schlug kurz vor Beginn des Karnevals ganz andere Töne an: Gäste sollten doch bitte nach Venedig kommen, es gebe noch genügend freie Hotelzimmer. "Ohne Touristen stirbt die Stadt."

Der Grund: Nach dem extremen Hochwasser im November und den Bildern davon war die Zahl der Touristen rapide zurückgegangen. Zurzeit, so der Bürgermeister, sei Venedig noch schöner als sonst.

Hallstatt entspannt ein bisschen

Ein anderer Bürgermeister, der von Hallstatt im Salzkammergut, hatte noch Mitte Januar gesagt: "Wir halten das nicht mehr aus. Die vielen Touristen sind eine enorme Belastung für die Bevölkerung." Nun bleiben wegen des Corona-Reiseverbots die chinesischen Gäste aus, und der Bürgermeister lässt sich vom Radiosender Ö3 zitieren mit den Worten: "Es sind sehr wenig unterwegs. Das gefällt uns nicht, weil wir den Grund, diese Viruserkrankung, nicht mögen." Er fügte dann aber ehrlicherweise hinzu: "Für die Hallstätter ist es aber eine kleine Entspannung, weil nicht so große Massen an chinesischen Touristen kommen."

Von solchen, den Overtourismus limitierenden Naturereignissen wurde Amsterdam bisher verschont, weshalb die Bürgermeisterin nun zu anderen Mitteln greifen will: Der Zugang zu den Coffeeshops - und damit der Kauf von Cannabis - soll Ausländern verwehrt werden.

Bei einer Befragung von 18- bis 35-jährigen Touristen sei nämlich herausgekommen, dass für 57 Prozent Coffeeshops einer der wichtigsten Gründe seien, weshalb sie nach Amsterdam reisten. Jetzt folgert die schlaue Bürgermeisterin, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der 17 Millionen Touristen jährlich dann nicht mehr in ihre Stadt kommen würde, wenn es kein Dope mehr für sie gibt.

Falls das wirklich beschlossen wird, sollte man den Karneval in einem Jahr abwarten, bevor man Bilanz zieht. Wenn es dann heißt: Bürgermeisterin gibt Gratis-Joints an bis zu 35-jährige Ausländer, dann werden wir wissen, dass die Maßnahme gut, etwas zu gut funktioniert hat.

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Quelle:
SZ vom 20.02.2020/kaeb
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