In Nordkorea zählt das Individuum wenig. Es sei denn, es geht um den Obersten Führer Kim Jong-un. In diesem speziellen – um nicht zu sagen: individuellen – Fall liegen die Dinge ein wenig anders. Ansonsten sind Menschen in Nordkorea jedoch nur als Masse denkbar. Jedenfalls aus Sicht von Kim und ein paar Konsorten, die für alle anderen zu denken vorgeben.
Nun hat sich Kim Jong-un vor geraumer Zeit offenkundig gedacht, wie schön es doch sein müsste, in seinem schönen Land Urlaub zu machen. (Und wie schön für ihn all die Devisen-Einkünfte wären.) Wobei hochpreisiger Individualtourismus natürlich aus ideologischen Gründen ausscheidet. Wenn alles Masse ist, dann auch der Tourismus. Abgesehen davon, dass Individualreisende zu viel zu sehen bekämen, was sie gar nicht sehen sollen, wenn sie sich so frei durch Nordkorea bewegen würden wie Backpacker durch Lateinamerika. Am Ende ließe sich nicht einmal der Kontakt mit Einheimischen verhindern.
Nein, die ausländischen Urlauber sollen unter sich bleiben. An einem Stück Strand in der Nähe der Hafenstadt Wonsan an der Ostküste des Landes. Sie sollen dort alles vorfinden, was Sommerurlauber nicht missen mögen: Sand, Sonne und Wasser, Vergnügungsparks, Freizeitgelände, Restaurants, Hotels. Der Weg vom Flughafen in diese „Wonsan-Kalma Coastal Tourist Zone“: ein Katzensprung. Deshalb lässt Kim Jong-un fleißig bauen. Nach einem strengen Plan. Pläne sind der große Fetisch von Staatenlenkern seines Zuschnitts, die es lieben, wenn alles nach – ihrem – Plan läuft. Unlängst hat Kim Jong-un Wonsan-Kalma besucht und sich davon überzeugen können, dass alles zu seiner Zufriedenheit voranschreitet in dem Retortenort. Kommendes Frühjahr sollen die ersten Feriengäste anreisen.
Eine bislang nicht letztgültig geklärte, jedoch wesentliche Frage ist: Woher werden die Urlauber kommen? Nordkorea ist stark abgeriegelt. Vor Corona stammten 90 Prozent der ausländischen Besucher aus China, der Rest überwiegend aus Russland. Viele davon Geschäftsreisende. Während der Pandemie hat sich das Land dann vollkommen abgeschottet und weicht davon nur zögerlich wieder ab. Das deutsche Auswärtige Amt schreibt aktuell auf seiner Webseite: „Nordkorea ist eines der für Ausländer am schwersten zugänglichen Länder.“
Doch wer weiß: Vielleicht lockert Nordkorea seine Einreiseregelungen; dann wird ein Urlaub dort womöglich sogar für jenen Teil der Deutschen interessant, dem es egal ist, ob er die Ferien in der Türkei, Bulgarien, Ägypten oder eben Nordkorea verbringt. Hauptsache, es ist warm, billig, das Essen schmeckt und das Personal spricht ein wenig Deutsch.
Wer übrigens glaubt, die Idee zu diesem nordkoreanischen Urlauber-Getto, das strickt getrennt vom Rest des Landes existiert, sei eine sehr nordkoreanische Idee, irrt. Verschiedene Medien berichten, vor Jahren habe eine Delegation aus Nordkorea auf der Suche nach Inspiration die Costa Blanca besucht und sei dort fündig geworden. Eine Art exterritoriales Gelände, auf dem sich in hässlichen Hochhaushotels viele Urlauber stapeln lassen, schön separiert von den Einheimischen: Die Delegation hat das Vorbild für Wonsan-Kalma in der spanischen Touristenhochburg Benidorm entdeckt.