Süddeutsche Zeitung

Tourismus in Ägypten:Gegen den Strom

Ägypten nach der Revolution: Der Tourismus steckt erneut in der Krise. Während die Bade- und Wassersportziele zaghaften Optimismus verbreiten, leidet das Kernland am Nil darunter, dass die Besucher ausbleiben.

Von Monika Maier-Albang

Da wäre beispielsweise die Geschichte der geplatzten Nilkreuzfahrt. Symptomatisch ist sie für dieses Land im Zwischenzustand, in dem es ein Auf und ein Ab gibt. Aber kein Vorwärts.

Seit diesem Frühjahr können Kreuzfahrtschiffe den Nil zwischen Kairo und Luxor wieder befahren. Seit Ende der neunziger Jahre, nach dem Massaker an Touristen am Hatschepsut-Tempel, hatte die Mubarak-Regierung Teile der rund 700 Kilometer langen Passage gesperrt, da entlang der Route Orte wie Assiut oder Minia liegen, die als Islamisten-Hochburgen galten. Die neue ägyptische Regierung unter dem Islamisten Mohammed Mursi sah darin kein Problem. Den offiziellen Grund für die Streckensperrung - Versandung - hatte ohnehin nie jemand geglaubt. Die Route ist kulturell besonders interessant, führt sie doch nach Dendara, wo der Hathor-Tempel steht, der als einer der besterhaltenen Ägyptens gilt. An der Route liegen das Rote und Weiße Kloster bei Sohag, lebende Zeugnisse der christlichen Kultur des Landes. Und Abydos, die Wallfahrtsstätte des alten Ägypten. Ein neues, attraktives Ziel also, sollte man meinen. Nur: Gebucht wurde die Reise so zögerlich, dass deutsche Veranstalter sie mangels Teilnehmern absagen mussten.

"Die Touristen sind informiert und reagieren besonnen"

Ägypten im Jahr zwei der Revolution: Das ist nicht die Zeit für touristische Innovationen. In Assuan, tief im Süden, haben sie das Old Cataract Hotel aufwendig saniert, mussten aber die Zimmerpreise senken. Und auch die Sphingenallee am Karnak-Tempel ist ein Beispiel für die Stagnation im Land. Jahrtausende war die fast drei Kilometer lange Prachtstraße, die einst die Tempel von Karnak und Luxor verband, unter Sand begraben. 2006 hatte die ägyptische Altertümerverwaltung damit begonnen, sie freizulegen. Bereits 2010 hätte die Allee restauriert und wieder zu sehen sein sollen, doch der Zeitplan ließ sich nicht einhalten. Seit 2011 stehen die Arbeiten still. Das alte Regime hatte die Bewohner der Häuser, die über der Allee stehen, enteignet. Den Rechtsstreit muss jetzt die neue Regierung austragen. Pech für Luxor, das ohnehin zu den Verlierern der Revolution zählt. Denn Orten wie Luxor, die auf Kultur- und Kreuzfahrttouristen angewiesen sind, geht es nicht gut dieser Tage. Nur das Ägypten der Badeurlauber hält sich über Wasser. Bislang zumindest.

Fragt man Anja Braun, wie sich der Tourismus in Ägypten bis zu Beginn der neuerlichen Demonstrationen entwickelt hat, lautet die Antwort der Tui-Sprecherin: ein Auf und Ab, seit zwei Jahren. Ein bisschen abwärts geht es immer dann, wenn demonstriert wird. Aber sobald es ruhig ist, buchen die Badeurlauber, und sie buchen nicht wenig. Die Nachfrage für den Sommer 2013 war bei der Tui größer als im Sommer 2012. Zwischen all den Aufs und Abs ließ sich eine Tendenz ausmachen - und die war positiv.

Und nun? Hat das Militär zu verstehen gegeben, dass es einer weiteren Eskalation der Kämpfe zwischen Gegnern und Unterstützern Mursis nicht tatenlos zusehen wird. Steht am 15. und am 22. Dezember das Verfassungsreferendum an. Sind wieder Demonstranten in Kairo gestorben. Und die Urlauber? Buchen sie trotzdem?

Ja, sie buchen, sagt Kai Krämer, Orient-Experte beim Bonner Veranstalter Phoenix-Reisen. Zwar seien die Buchungen in der vergangenen Woche etwas zurückgegangen, aber es habe keinen dramatischen Einbruch gegeben - und keine Stornierung. "Die Reisenden reagieren besonnen", sagt Krämer. "Sie sind gut informiert, sie wissen, dass man in den Badeorten und sogar in 95 Prozent der Straßen von Kairo nichts von den Demonstrationen mitbekommt." Wer jetzt nach Ägypten reise, dem sei aber bewusst, "dass die Lage im Land nicht unbedingt normal sein muss". Viele Urlauber haben sich offenbar arrangiert mit dem Unwägbaren. Und auch die Reiseleiter hatten in den letzten Monaten eine Revolutions-Routine entwickelt. Demonstriert wurde in Kairo bis zur neuen Eskalation vor allem freitagnachmittags - "da können Sie die Uhr danach stellen", sagt Krämer. Also führte Phoenix seine Gruppen freitagvormittags ins Ägyptische Museum. "Business as usual."

Es gibt eben nicht das eine Ägypten, es gibt Kairo und die Großstädte, in denen die Zukunft des Landes entschieden wird. Und es gibt das Retorten-Ägypten, Traum der Badeurlauber, Taucher, Schnorchler, sonnenbeschienen und ruhig. Das ist das Ägypten, mit dem sich nach wie vor Geld verdienen lässt. Die Fluglinie Sun-Express hatte Ägypten erst vor eineinhalb Jahren ins Programm aufgenommen. Angeflogen wurden Luxor, Hurghada, Scharm el-Scheich und Marsa Alam am Roten Meer. Die Flüge nach Luxor hat Sun-Express nach neun Monaten gestrichen, mangels Nachfrage. Die Badeorte indes seien gut gebucht, sagt Werner Claasen, Sprecher der Fluglinie. "Wir haben die Entscheidung für Ägypten nicht bereut."

In Küstenorten wie Scharm el-Scheich, Hurghada, Dahab wird nicht nur nicht demonstriert. Die Menschen setzen alles daran, dass die Urlauber nicht von der Politik behelligt werden. Die Frage, ob Gäste kommen oder nicht, ist für viele Familien eine existenzielle. Jeder sechste Ägypter lebte vor der Revolution vom Tourismus; 15 Millionen Gäste, die 12,5 Milliarden Dollar ins Land trugen, zählten die ägyptischen Behörden damals. 2011 sank die Zahl der Urlauber um mehr als ein Drittel. 2012 zogen die Buchungen in den Küstenorten wieder deutlich an. Nach Angaben des Ägyptischen Fremdenverkehrsamtes stieg die Zahl der Übernachtungen von deutschen Urlaubern in Ägypten zwischen Januar und September 2012 im Vergleich zu 2011 um 38 Prozent, das sind sogar knapp vier Prozent mehr als im Rekordjahr 2010. Mit 934 000 Urlaubern in den ersten zehn Monaten 2012 sind die Deutschen nun nach den Russen die zweitwichtigste Besuchergruppe für das Land. Doch ob das so bleibt, ist fraglich.

Busausflüge nach Kairo gestrichen

Zuletzt machte sich in den Badeorten zaghafter Optimismus breit. Momentan allerdings wünschen sich viele, die im Tourismus arbeiten, vor allem eines: Stabilität. "Der Ruf nach einem Eingreifen des Militärs ist schon laut bei uns", sagt Hans Lange, ein Deutscher, der in Dahab eine Tauchbasis betreibt. Der Sinai, das ist noch einmal ein anderes Ägypten. Der Sinai ist Beduinenland. Nach dem Machtwechsel, sagt Lange, hätten die Beduinen sofort das Machtvakuum in ihrem Territorium gefüllt. "Sie haben die Straßenkontrollen übernommen. Sie fühlen sich für die Sicherheit ihrer Touristen verantwortlich." Und trotzdem ist Dahab, das einstige Aussteigernest, zur Zeit eher ausgestorben. Zur instabilen Lage im eigenen Land kommt der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Seine Stammkunden, sagt Lange, kämen weiterhin. Aber spontane Buchungen hat er seit Wochen kaum. "Wenn ich als Taucher die Wahl habe zwischen den Malediven oder Ägypten, warum soll ich mir Sorgen machen?"

In das alte Ägypten, in das Kernland am Nil, fahren zwar weiterhin die Busse. Die Nachfrage bei den Tagesausflügen nach Luxor sei auch "recht stabil", sagt Tui-Sprecherin Braun. Doch wer von Hurghada aus die Pyramiden sehen möchte, muss das Flugzeug nehmen. Seit das Auswärtige Amt von nächtlichen Überlandfahrten abrät, hat die Tui Busausflüge von Hurghada nach Kairo gestrichen. Schon vor den neuerlichen Demonstrationen sei Kairo wenig nachgefragt gewesen, so Braun. Der Grund kann ein trivialer sein: Der Flug nach Kairo ist teurer, als es die Busvariante war.

Eine Ägypten-Krise spüren vor allem Reiseveranstalter, die vorrangig ein kunstinteressiertes Publikum ansprechen. Der Münchner Anbieter Studiosus etwa, der im Jahr 2010 noch 3000 Gäste durch Ägypten führte, hatte 2012 nur noch 400 Buchungen. Es half nicht einmal, dass Studiosus Ägypten buchungstechnisch auf eine Stufe mit Iran und Sudan gestellt hat: Wer eine Ägyptenreise bucht, kann bis vier Wochen vor Reiseantritt kostenfrei umbuchen. "Damit die Kunden in der politisch instabilen Situation ihre Entscheidung frei von wirtschaftlichen Überlegungen treffen können", wie Unternehmenssprecher Frano Ilic erklärt. Aber die Kunden buchen erst gar nicht. "Wer zu den Königsgräbern will, verschiebt seine Reisepläne", vermutet Geschäftsführer Peter-Mario Kubsch. Dass das Interesse an Ägypten ungebrochen ist, davon ist auch der Phoenix-Experte Krämer überzeugt. "Die Leute wollen hinfahren. Das merkt man."

Phoenix hat die lange Nilkreuzfahrt übrigens durchführen können. Später zwar als geplant, aber am Ende hatten sich Kunden gefunden. Stromaufwärts waren sie gefahren und stromabwärts. Nur momentan ruht das Schiff. Der Nil hat Niedrigwasser, bis Ende März. "Bis dahin werden wir sehen, was kommt", sagt Krämer.

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SZ vom 13.12.2012/dgr/rus
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