Tourismus auf dem Mount Everest:Am Problemberg

Wenn die Hoffnungen der Bergsteiger und Abenteurer auf die Probleme des Massentourismus und der Einheimischen treffen: Nach dem tödlichen Lawinenunglück rücken die Schwierigkeiten am Mount Everest in den Blick. Eine Bestandsaufnahme.

Von Carolin Gasteiger

9 Bilder

Mount Everest Nepal Himalaya

Quelle: dpa

1 / 9

Auf dem höchsten Berg der Welt prallen die Hoffnungen jedes einzelnen Kletterers auf die Probleme des Massentourismus und der Einheimischen. Nach dem tödlichen Lawinenunglück rückten die Schwierigkeiten am Mount Everest in den Blick. Eine Bestandsaufnahme.Von Carolin Gasteiger

Anziehungskraft

Natürlich gibt es auf der Welt viel schwierigere Gipfelrouten, natürlich könnten Bergsteiger sich an den benachbarten Gipfeln in Nepal versuchen, die auch noch für viel weniger Geld zu erklimmen wären. Und etliche auch unproblematischer. "Es gibt dieses riesige Himalaya-Gebirge, und trotzdem rennen nahezu alle Bergsteiger auf den Annapurna oder Everest", kritisiert Peter Edmund Hillary, Sohn von Sir Edmund Hillary, dem ersten Menschen auf dem Gipfel des Mount Everest. Aber man kann es drehen und wenden, wie man will: Höher als auf den Mount Everest geht es nur mit dem Flugzeug oder wie für Felix Baumgartner mit einem Heliumballon. Viele wollen eben nicht auf irgendeinen Achttausender, sondern auf den einzig wahren - obwohl sie mit dieser Erfahrung längst nicht mehr allein sind.

Yuichiro Miura Mount Everest Nepal Himalaya

Quelle: AFP

2 / 9

Denn nicht nur Profisportler und Extrem-Alpinisten unternehmen die Tour, sondern auch weniger erfahrene Bergsteiger - oder Sportler mit Handicap, blinde, junge, alte Alpinisten. Sie alle rühmen sich damit, auf dem höchsten Berg der Welt gestanden zu haben. Wenn auch nur kurz, wenn auch ohne den Ausblick genießen zu können, wenn auch auf allen Vieren oder mit letzter Kraft. Was zählt, ist nicht nur die Erfahrung oder das Naturerlebnis, sondern vor allem der Titel.

Im Bild: Yūichirō Miura aus Japan ist 2013 mit 80 Jahren der älteste Mensch auf dem Gipfel des Mount Everest.

Basislager Mount Everest Nepal Himalaya

Quelle: Reuters

3 / 9

Selbstüberschätzung

Viele, die eine Expedition auf den Mount Everest unternehmen, kommen an den Rand ihrer Kräfte. Sie werden langsamer, verzögern den Aufstieg, verursachen Wartezeiten, die in mehr als 8000 Metern Höhe lebensbedrohlich sein können. Zudem brauchen sie im Extremfall die Unterstützung und Ausrüstung anderer Bergsteiger. Und nach idealerweise jahrelanger Vorbereitung und kurz vor der Erfüllung des großen Traums scheint im Notfall die Entscheidung zur Umkehr ungleich schwerer als bei jeder anderen Bergtour. Auch wenn ein Abbruch vernünftig wäre.

Im Bild: Alpinisten verlassen nach dem Lawinenunglück vom Karfreitag das Basislager am Mount Everest, nachdem alle Touren abgesagt wurden.

Mount Everest Hillary Step Nepal Himalaya

Quelle: AFP

4 / 9

Um den Aufstieg zu erleichtern und die gefährlichen Verzögerungen zu minimieren, sind auf der Route zum Gipfel Fixseile installiert, an denen sich die Bergsteiger wie Ameisen entlangziehen. An schwierigen Passagen wollen Expeditionsführer künftig zusätzlich Seile anbringen, am Hillary Step (im Bild), einer zwölf Meter hohen Felsstufe kurz vor dem Gipfel, sollen Leitern befestigt werden. Aber das ist ein Teufelskreis: Denn durch die zusätzlichen Erleichterungen trauen sich immer mehr Bergsteiger die Tour zu, was wiederum das Geschäft mit dem höchsten Berg der Welt weiter ankurbelt. Viele Profis kritisieren diese Entwicklung: "Man hat den Berg in Ketten, in Seile und Leitern gelegt, und deshalb ist er für alle zugänglich. Es hat mit klassischem Alpinismus nichts zu tun", sagte etwa Bergsteiger Reinhold Messner im Deutschlandfunk.

Müll Basislager Mount Everest Nepal Himalaya

Quelle: AFP

5 / 9

Massentourismus

Aus einer Expedition zum Mount Everest ist schon längst ein Geschäft mit den Massen geworden. Viele professionelle Bergsteiger wie Reinhold Messner ("Everest-Betrug ist Selbstbetrug") oder Gerlinde Kaltenbrunner ("Das hat dieser Berg nicht verdient") schreckt ab, was sich auf dem Dach der Welt inzwischen abspielt. Allein das Umweltproblem ist immens: Je mehr Menschen zum Mount Everest kommen, desto mehr Müll lassen sie zurück. Menschen, die ihre Kräfte zum Überleben aufsparen müssen, ist die Umwelt meist egal. Unterm Schnee liegen daher tonnenweise leere Sauerstoffflaschen oder Zelte. Bislang mussten alle eine Kaution von 4000 Dollar hinterlegen, die nur zurückbekam, wer alles, was er mitgenommen hatte, wieder ins Basislager brachte. Das nachzuprüfen war jedoch schwer. Seit April sollen Bergsteiger mindestens acht Kilogramm Abfall wieder zurück ins Basislager bringen - und so eine weitere Vermüllung verhindern, verkündete das Tourismusministerium in Kathmandu. Aber der Müll ist nicht das einzige Problem im Basislager des Mount Everest.

Basislager Mount Everest Nepal Himalaya

Quelle: Pemba Dorje Sherpa/AFP

6 / 9

Das Camp auf gut 5000 Metern Höhe entwickelt sich zum gesellschaftlichen Mikrokosmos. Je mehr Menschen sich dort tummeln (es sind im Mai inzwischen Hunderte), desto mehr Erwartungen und Emotionen treffen dort aufeinander, oft liegen die Nerven blank. Im schlimmsten Fall kommt es zur Schlägerei, wie vor einem Jahr zwischen drei europäischen Bergsteigern und einheimischen Bergführern. Soldaten und Polizisten sollen künftig im Basislager nicht nur überwachen, dass jeder seinen Müll mitnimmt, sondern auch, dass es friedlich bleibt.

Bergsteiger Mount Everest Nepal Himalaya

Quelle: Tshering Sherpa/AFP

7 / 9

Situation der Sherpa

Ohne die nepalesischen Bergsteiger aus dem Stamm der Sherpa könnten viele Teams die Expedition auf den Mount Everest nicht bewältigen. Die einheimischen Bergführer bereiten Routen vor (den prekären Khumbu-Eisfall, den Touristen nur einmal passieren müssen, begehen sie pro Tour etwa 30 Mal), und bis zu 40 Kilogramm Ausrüstung und Gepäck für die Touristen. Viele Bergführer beklagen sich jedoch seit Jahren, an ihrer gefährlichen Arbeit zu wenig zu verdienen. Und sollten sie verunglücken, sei auch die Absicherung für ihre Familien zu gering.

Trauer um Sherpa nach Lawinenunglück am Mount Everest

Quelle: REUTERS

8 / 9

Angesichts dessen lässt sich der Streik der Sherpa nachvollziehen. Aber ihre Situation ist zwiespältig: "Es ist, als hätte ich alle Energie zum Bergsteigen verloren", zitiert die nepalesische Zeitung Républic einen der Bergsteiger, die dem Unglück knapp entkamen. Chhedar Sherpa sagte zunächst, er werde nie wieder auf den Mount Everest steigen, auch, weil seine Familie ihn darum bitte. Die Entscheidung überdenkt er inzwischen, denn die Sherpa leben von den Massenexpeditionen zum Mount Everest - auch wenn von den Einnahmen nur wenig bei ihnen ankommt. Nach dem Lawinenunglück fordern sie von der Regierung einen Entschädigungsfonds und, dass die Höhe ihrer Lebensversicherung verdoppelt wird (bislang beträgt sie etwa 7240 Euro).

Basislager Mount Everest Nepal Himalaya

Quelle: Reuters

9 / 9

Trotz all dieser Probleme und moralischer Bedenken dürfte das Lawinenunglück nur kurzzeitig zum Innehalten geführt haben: Zwar machen sich alle Bergsteiger auf der Südseite zum Rückweg auf. Aber von der chinesischen Nordseite her wollen weiterhin mehrere Teams aufsteigen. Andere hoffen, dass sich Regierung und Bergführer bald einigen und damit noch in der eben angelaufenen Saison Expeditionen stattfinden können. Die Anziehungskraft des Mount Everest bleibt ungebrochen.

© SZ.de/kaeb/leja
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: