Totenkult in Vietnam:Seelen auf Papier gebannt

Handgefertigte Porträts waren in Vietnam einst wichtiger als Fotos. Heute muss man die letzten Maler lange suchen. Dabei bewahren sie die Gesellschaft vor bösen Geistern.

Jochen Temsch

Wie, das ist er auch nicht? Der Fremdenführer versteht die Welt nicht mehr. "Das gibt es doch nicht!", sagt er in akzentfreiem Deutsch, das er sich zu DDR-Zeiten beim Studium in Ostberlin angeeignet hat. Seit Jahren zeigt er ausländischen Besuchern Hue, die alte Königsstadt am Parfümfluss in Zentralvietnam. Aber so etwas ist ihm noch nie passiert: Dass er den Weg zu einer Sehenswürdigkeit nicht findet.

Totenmaler in Vietnam: Meister Huu Vinh Tran hat eigentlich keine Zeit zu reden. Aber dann erklärt er doch noch, was er in seiner lindgrünen Atelier-Garage in Hue so macht.

Meister Huu Vinh Tran hat eigentlich keine Zeit zu reden. Aber dann erklärt er doch, warum seine Arbeit in einer Garage in Hue etwas Besonderes ist.

(Foto: Jochen Temsch)

Dass er sich bei Einheimischen durchfragen muss und seinen Gast doch nur zu Touristengalerien führen kann, in denen der übliche Kitsch feilgeboten wird: Reisbauern mit Kegelhüten und Wasserbüffeln, in knallbunten Farben ausgemalt, mit grellen Scheinwerfern beleuchtet.

Nein, derjenige, um den es hier geht, arbeitet bestimmt nicht in so einer gelackten Umgebung. Er ist der letzte Porträtmaler von Hue.

Jedenfalls haben sie ihn so genannt, im Hotel, wo der Concierge sagte: "Am besten, Sie versuchen es in der Altstadt." Dem Guide kratzt die Aufgabe an der Berufsehre. Von einem Freund leiht er ein Mofa und zwei Helme, so geht es schneller, aber zu finden ist der Maler trotzdem noch lange nicht.

Die Odyssee sagt viel aus über jenes aussterbende Handwerk, das einst so gefragt war und eine besonders wichtige Aufgabe erfüllte: In der Zeit, bevor sich jeder einen Fotoapparat leisten konnte, war eine Sitzung beim Porträtmaler die einzige Möglichkeit, sein Antlitz für die Nachwelt zu konservieren.

Ahnenkult ist Alltag in Vietnam - für Buddhisten und Katholiken genauso wie für Atheisten. Wenn es keinen Platz gibt, der Verstorbenen zu gedenken, so der Glaube, irren sie umher und werden zu bösen Geistern. Deshalb hat jede Familie einen Hausaltar, und auf dem stehen Porträts der Verwandten der vorangegangenen Generationen - Fotos, im Idealfall aber Zeichnungen, denn die bleichen im Laufe der Jahre nicht aus.

Doch heute wissen die Leute von Hue nicht einmal mehr, wo er wohnt, Meister Huu Vinh Tran.

Maler mit schlechter Laune

Nach einer Stunde Irrfahrt durch Regen und Verkehrschaos haben wir ihn endlich gefunden. Er sitzt auf einem Holzschemel in einer fensterlosen Garage. Der Boden ist fleckig, die Wände sind lindgrün gestrichen und hängen voller Zeichnungen: Greisinnen, in aufrechter Haltung auf Stühlen neben Blumengestecken sitzend, streng gescheitelte Buben, ernst dreinblickende junge Frauen, Soldaten mit Barett, alle schwarzweiß und realistisch dargestellt, auf den ersten Blick wie Fotos.

Tran schaut durch das offene Tor und den Regenvorhang hinaus auf einen kleinen Platz, raucht eine filterlose Zigarette und hat schlechte Laune. "Keine Zeit", grummelt er, "viel zu tun".

Aber da er wohl selbst merkt, wie unglaubwürdig das klingt, gibt er schließlich doch noch ein paar Antworten. Ist er Handwerker oder Künstler? Huu Vinh Tran zuckt mit den Schultern: "Ich erzähle mit meinen Bildern von der Wirklichkeit."

Das macht er seit fast 40 Jahren. Tran ist 55, wirkt mit seinem ausgemergelten Gesicht viel älter, hat aber den schmächtigen Körper eines Jungen. Er hat an der Kunsthochschule studiert, dann in der Zitadelle von Hue Besucher gezeichnet, bevor er sein eigenes Atelier in dieser Garage eröffnete. "Die beste Zeit war in den neunziger Jahren", erzählt er.

Mit Vietnam ging es wirtschaftlich bergauf, aber die Leute besaßen noch keine Digitalkameras. Früher hatten nur die Reichen Geld für seine Porträts, jetzt kamen auch die weniger Wohlhabenden und wollten sich malen lassen. Oder sie baten ihn, das verblichene Foto eines Angehörigen abzuzeichnen. Dafür braucht er einen Tag und verlangt umgerechnet 30 US-Dollar.

"Die Farbe ist teuer", erklärt er. Er mischt sie aus einem schwarzen Pulver, das aus Frankreich stammt. "Die Farbe zieht ins Papier ein und hält ewig", meint Tran, "da bleicht nichts aus."

Aber der eigentliche Wert seiner Porträts ist ein anderer: "Wenn das Bild eines Menschen von einem Maler übertragen wird, bannt er damit die Seele auf Papier, das kann ein Foto nicht", sagt Tran. Er hat Alte gemalt und Babys, die ganze Mannschaft eines im Krieg von den Amerikanern versenkten Schiffes. Und seine Frau, die kürzlich gestorben ist.

Mehr mag er nicht erzählen. Nur zwei, drei Zigarettenlängen braucht er, um auch im Kopf seiner Besucher ein Bild entstehen zu lassen.

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