Tirol:Kontrast-Mittel

Wenige Tage in Tirol reichen - um zu verstehen, dass es hier sehr viele Gegensätze gibt. Hat man sich mit dieser Erkenntnis arrangiert, kann die Erlebnisphase reibungslos einsetzen.

Von Andreas Schätzl

Es fängt glatt zu schneien an. Und das auf knapp 1700 Metern Höhe. Mitten im Juli. Noch dazu so, dass die zu dieser Zeit etwas zweifelhafte weiße Pracht zumindest teilweise auch liegen bleibt.

axamer lizum

Wandern in der Axamer Lizum

(Foto: Foto: Innsbruck-Werbung)

Der Hüttenwirt nimmt's gelassen. Sowas kommt halt vor. Ist auch nicht so schlecht fürs Geschäft, denn bei der Kälte essen die Leute mehr. Und ändern kann man's eh nicht.

Werner Krajnc hat die Kemater Alm gepachtet. Die liegt auf 1673 Metern am Fuße der Kalkkögel im Senderstal, in der Nähe von Axams (Axamer Lizum) und Grinzens im Mittelgebirge. Im Winter ist die geräumige Hütte Einkehr- und Übernachtungsziel von Rodlern und Skitouren-Gehern, im Sommer (den soll es auch dort geben) natürlich von Wanderern.

Geschätzter Schmarrn

Seit zehn Jahren macht der beredte und schlagfertige Chef des Hauses das mittlerweile, und schlecht scheint es ihm damit nicht zu gehen. Die niedrige, robust ausgestattete Schankstube ist am Abend jedenfalls gut gefüllt. Nicht nur mit Touristen, sondern auch mit "Einheimischen" aus dem Tal. Auch die wissen offensichtlich seine Kas-, Speck- und Spinatknödel und den Kaiserschmarrn zu schätzen.

Inzwischen ist der Schnee in Regen übergegangen. Der schlägt in Schauern gegen das kleine Fenster der mit einer modernen Zentralheizung bestückten Schlafstube (davon gibt es mehrere - kein Schlafsaal) im oberen Stockwerk, unablässig und monoton, und verstärkt die einschläfernde Wirkung des einen oder anderen Digestif-Obstlers. Schließlich bleibt sogar das nächtliche Berggewitter weitgehend unbemerkt.

Kontrast-Mittel

Kühn, kühl, keineswegs klotzig

Tirol: Kemater Almen-Rausch: die Gästehütte

Kemater Almen-Rausch: die Gästehütte

(Foto: Foto: Werner Krajnc / Kemater Alm)

Der Kontrast könnte nicht größer sein. Von der Almhütte (inklusive Kälte-resistenten Mücken) ins Design-Hotel (mückenlos). "The Penz". Mitten in Innsbruck. Von Dominique Perrault entworfen, in die Rathausgalerien integriert, groß und luftig-transparent geformt trotz des vielen Glases und dunklen Holzes, steht es seit nunmehr zwei Jahren da. Kühn, kühl, keineswegs klotzig. Dem Vernehmen nach gut frequentiert.

Jung-Chef und Mit-Inhaber August Penz sieht ein bisschen aus wie Nicolas Cage, aber er redet tirolerisch. In der grandios bestückten Bar in der obersten Etage und leider nicht im Dachgarten (der Regen ist uns von der Alm bis hierher gefolgt) erzählt er ein wenig von der Geschichte der Nobel-Herberge.

Ganz besonders stolz ist er auf die umfängliche Sammlung ausgefallener Malz-Whisk(e)ys. Diese werden - oh Freude! - in eigens für dieses Getränk konzipierten, mundgeblasenen Gläsern von Riedel kredenzt. In obligatorischer Begleitung eines weiteren Glases mit frischem Leitungswasser. Perfekt.

Bewegungskultur jenseits von Bergwandern

Und dann ein gnadenloser Angriff. Plötzlich und völlig unerwartet und entsprechend heimtückisch. Beim Tanzsommer Innsbruck. Die brasilianische Companhia de Danca um Choreographin und Chefin Deborah Colker zeigt, nein: wirft uns in ihr Stück "4 Por 4". Eine einzige wilde Attacke auf die Sinne: geschmeidige, schwerelose Leiber, Ballett und Ausdruckstanz bis zur Atem beraubenden Akrobatik. Hämmernde elektronische Musik, vielschichtig, mal flirrend, mal metallisch, jetzt zart fließend, dann hämmerndes Stakkato. Zur Abwechslung spielt die Chefin Mozart auf dem Flügel. Das Auge kommt keine Sekunde zur Ruhe, das Ohr auch nicht, die Hormone fahren Karussell ob all der flirrenden Erotik auf dem Parkett.

Josef Resch, Initiator des Tanzsommers und Geschäftsführer, ist erfreut über den wuchtigen Eindruck dieses komplexen Ausdrucks im Tanz. Zum nächsten Jahr (das elfte für den Tanzsommer) verspricht er noch mehr Abwechslung für das Festival der Bewegungskultur jenseits von Bergwandern.

Kontrast-Mittel

Nichts

lichtschacht

"The Penz": Blick vom obersten Stockwerk in die Empfangshalle

(Foto: Foto: The Penz)

Anderntags sind andere Sinne gefordert. Allen voran das Tasten. Zu sehen ist absolut nichts hier im "Sinne", im Vorstellungsraum eines ehemaligen Kinos mitten in Innsbruck. In dessen "lichtloser Erlebnisinstallation" sind wir auf eine Wanderung in vollkommener Schwärze geschickt werden. Keine wirbelnden Körper. Aber die Eindrücke, die uns hier ergreifen, sind nicht minder heftig.

Der Weg ist schwer, trotz eines Führers. Es geht unter anderem über Wiesen, durch den Wald, über eine Brücke, in ein Boot. Alles innerhalb des Kinoraums. Und am Schluss sogar in eine Kneipe. Mit Getränk. Leider nichts Flambiertes - es bleibt schwarz. Bis zum Ausgang.

Unser Guide (und Kellner) hat mit alldem weniger Probleme: Er ist von Geburt auf blind. Mein Gott, denkt sich der Besucher, wie unendlich gut, dass ich das nur für eine Stunde lang war. Fühlt so etwas wie neue Lebensfreude in sich. Und tiefe Dankbarkeit.

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