Süddeutsche Zeitung

Tirol:Gröstl mit Weitsicht

Das Bio-Hotel Grafenast in Tirol wird in der vierten Generation von den Unterlechners geführt. Deren Ideen galten oft als spinnert, waren aber erfolgreich.

Von Dominik Prantl

Unkonventionell. Vielleicht ist das ja der richtige Ausdruck, um die Familie Unterlechner zu beschreiben. Das ist nicht abschätzig gemeint, im Gegenteil. Der Toni zum Beispiel. Der arbeitete einst unten in Schwaz als Seiler; er war sicher gut in seinem Job. Aber irgendwann, mit Anfang 20, hatte er keine Lust mehr darauf, nur immer Seile zu verdrillen und in großen Rollen auszuliefern. Er wollte auf den Berg. Deshalb baute der Toni im Jahr 1907 eine Rodelhütte, knapp 800 Meter oberhalb von Schwaz. Und wie das nun mal so ist, dachten sich die Menschen, die nicht so hoch hinauswollten: Verrückter Typ, der Unterlechner!

Nur: Die Rodelhütte in Hochpillberg auf 1340 Metern steht immer noch, nach 111 Jahren. Sie hat inzwischen 23 Gästezimmer und heißt natürlich nicht mehr Rodelhütte. "Bio-Aktiv-Hotel Grafenast" steht heute an der Fassade, die mit der alten Hüttenfront vom Toni ebenfalls nicht mehr viel gemeinsam hat. Aber wer hineingeht, stellt schnell fest, dass die alte Stube aus dem Jahr 1907 im Inneren des Hotels trotz aller Erweiterungen weiterhin existiert, als Herz des Anwesens, wenn man so will.

Außerdem sind auch die Unterlechners immer noch da, in vierter Generation mittlerweile. Tonis Urenkel Peter, der das Hotel eigentlich gar nicht übernehmen wollte und es heute immer mehr zu schätzen weiß, sitzt gerade an der kleinen Bar, direkt vor dem Eingang zur alten Stube. Wahrscheinlich könnte er dort jahrelang sitzen und die alten Familiengeschichten erzählen. Es gibt ja genügend. Ohne den Toni würde jedenfalls die Gegend heroben ganz anders aussehen. Schon in den Zwanzigerjahren habe es Strom gegeben, dank eines kleinen Wasserkraftwerks, und das Zimmerchen am Eingang, auf dessen Tür "Fernruf" steht, "das war der vierte Telefonanschluss im Bezirk Schwaz".

Hoch gelegen: Hotel Grafenast

Berghütten sind mehr als schlichte Schlafgelegenheiten im Gebirge mit Kaiserschmarrn- Verpflegung. Viele haben eine lange Geschichte, sind Ausgangsort für Bergsteigerkarrieren und für manche Menschen sogar der Lebensmittelpunkt. In der Serie "Hoch gelegen" stellen wir einige dieser alpinen Unterkünfte vor.

Und natürlich erzählt er die Geschichte seines Vaters, des Hans-Jörgs. Der habe sich überlegt: "Wie bringen wir Profil ins Haus?" Da traf es sich gut, dass die Weltföderalisten das um die Kurve gelegene "Hotel Frieden" Ende der Siebzigerjahre für eine Konferenz ausgesucht hatten, wohl deshalb, weil ihnen der Name so gut gefiel. Und weil die Weltföderalisten auch Weltverbesserer waren, gab es schon damals sehr viele Vegetarier unter ihnen, die auch mal ein Haus weiter nach etwas Essbarem suchten. "Deshalb musste sich mein Vater mit dem Thema Ernährung beschäftigen." Als Hans-Jörg 1986 auf Bio umstellte, dachten sich die Menschen mal wieder: Völlig verrückter Typ, der Unterlechner!

Denn Bio, mal ehrlich, das waren doch höchstens ein paar welke Salatblätter, besseres Hasenfutter quasi, jedenfalls "nix Gscheits", um mit den Tirolern zu reden, diesen Schöpfern von so wundervoll nahrhaften Gerichten wie Speckknödel und Gröstl. Dass freilich auch Speckknödel und Gröstl voll bio sein können und trotzdem großartig schmecken, mussten die Unterlechners oberhalb des Inntals, durch das zwar massenhaft Autos aus allen Ländern brausen, aber gewisse Ideen dennoch etwas länger zum Ankommen brauchen, den Leuten erst einmal vermitteln. Eine Zeit lang habe sich das neue Profil des Hauses daher darin bemerkbar gemacht, dass Stammgäste ausblieben.

Heute ist das Grafenast eines der profiliertesten Häuser der Region. Im Sommer will Peter Unterlechner expandieren; mit neuen Gebäuden für Ferienwohnungen. Und weil der zweifache Vater weiß, dass man gerade in einem Familienunternehmen für seine Überzeugung brennen muss, führt er das Konzept des Bio-Hotels mit seiner Frau Waltraud konsequent fort. Das bezieht er keineswegs nur auf all das, was auf den Teller kommt. Er hat beispielsweise den Kohlenstoffdioxidausstoß gesenkt, von sieben auf 5,6 Kilogramm pro Hotelübernachtung. Normal ist eher das Vier- bis Sechsfache. Für jene Emissionen, die sich nicht vermeiden lassen, wird eine Kompensation gezahlt - ebenso wie für die Anreise der Gäste. Dabei kommt ihm zugute, dass ein Großteil aus der näheren Umgebung stammt, vor allem aus Deutschland.

Nur bringt selbst der 2013 gewonnene "Innovatio-Award", eine Art österreichischer Bio-Oscar, wenig, wenn das Rahmenprogramm nicht passt. Aber der Toni wusste nicht nur, wie man eine Hütte baut. Er wusste auch, wo man sie hinbaut. Das Rahmenprogramm beginnt deshalb schon beim ersten Ausblick, der getrost als phänomenal bezeichnet werden darf und der über das Inntal bis mindestens Innsbruck reicht; im Normalfall selbst nachts, wenn oben die Sterne und unten die Stadtlichter glimmen. Wer noch mehr Panorama oder etwas Bewegung braucht, kann direkt vor der Haustüre in Richtung Kellerjoch (2344 Meter) starten, entweder in den Liften des kleinen Skigebiets oder auf Tourenskiern im Windschatten von stets übermotivierten Einheimischen. Auch eine Rodelbahn existiert weiterhin. Sie führt vom Hecherhaus (1887 Meter) an der Bergstation 1200 Höhenmeter bis fast nach Schwaz hinunter und ist mit neun Kilometern die längste Tirols. Wem auch das nicht ausreicht, der hat möglicherweise die Chance auf Klettern mit Monika, Yoga mit Alexandra oder Krafttraining mit sich selbst.

Denn bei all seiner familiären Heimeligkeit ist das Grafenast ganz schön verschachtelt. Am ersten Tag erinnert das Haus an einen über Jahrzehnte angelegten Kaninchenbau, den man erst kennenlernen muss. Kein Zimmer ist wie das andere, immer wieder scheinen sich neue Türen aufzutun, die in die Waldsauna, in einen Mini-Fitnessraum oder einen kleinen Yogasaal führen. Möglicherweise bleibt man auch einfach auf den Fluren hängen: Im ersten Stock liegen hinter Glasscheiben allerlei Dokumente zur Geschichte des Hotels aus, das schon immer ein Taktgeber für den hiesigen Fremdenverkehr war. Im zweiten Stock stehen Dutzende Skier Spalier, alle aus Holz, von anno dazumal. Peters Vater war nämlich Archäologe und hat nie etwas weggeschmissen. Der Großvater war kriegsgeschädigt und hat auch nie etwas weggeschmissen. Und der Urgroßvater stammt aus einer Zeit, in der es nichts zum Wegschmeißen gab. Peter sagt deshalb: "Ich würde mit den Sachen gerne ein Tourismusmuseum errichten." Und wer nun glaubt, dass der Unterlechner spinnt, hat überhaupt nichts verstanden.

Bio-Hotel Grafenast, Waltraud & Peter Unterlechner, Pillbergstraße 205, 6136 Pill, Tirol/Österreich, Übernachtung pro Person im DZ mit HP ab 115 Euro; Tel.: 0043/5242/63209, www.grafenast.at

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Quelle:
SZ vom 15.03.2018
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