Süddeutsche Zeitung

Tipps für Städtereisen im Winter:Die heißesten Orte in London, Moskau, Istanbul

Sauna, Schlösser oder Straßenecken von Paris über Madrid bis Stockholm - oder doch ein Bad in der Spree in Berlin? SZ-Korrespondenten berichten, wo sie sich in frostigen Metropolen derzeit am liebsten aufwärmen.

London: Unter Palmen

Glücklicherweise gibt es im Süden Großbritanniens selten Minusgrade. Wenn doch, merkt man rasch, dass die Briten isolationstechnisch im 19. Jahrhundert leben. Es zieht durch alle Ritzen, und die Küche mit dem praktischen Dampfabzug (sprich: Loch in der Fensterscheibe) wird zur Gefriertruhe. Dem Briten an sich macht Kälte nichts, er geht auch bei Schnee in kurzen Hosen spazieren. Für Mitteleuropäer lohnt es sich hingegen, den Thermostat herunterzudrehen und sich für das gesparte Geld eine Eintrittskarte der Königlichen Botanischen Gärten zu kaufen.

Die Kew Gardens sind ein utopischer Riesengarten, der alle Pflanzen der Welt zu einem gepflegten Ganzen vereint. Wenn es allzu kalt von der Themse heraufweht, betritt man gerne die wohltemperierte Parallelwelt des Palmenhauses, das der Architekt Decimus Turner 1848 vollendete. Diese luftige Konstruktion aus Glas und Gusseisen ist der Inbegriff viktorianischer Anmut, ein botanischer Palast, scheinbar aus einem Jules-Verne-Roman in die Wirklichkeit verpflanzt.

Unter dem gewölbten Dach des 19 Meter hohen Mittelschiffs herrschen stets zwischen 20 und 25 Grad. Die Luftfeuchtigkeit macht Brillenträgern zunächst zu schaffen. Aber wer ein paar Minuten zwischen den Palmen und Bananenstauden umhergewandelt ist, kann sich kaum vorstellen, jemals wieder in die Kälte Londons hinauszugehen. Alexander Menden

Istanbul: Waschen wie ein Sultan

In Deutschland hält sich der Irrglaube, Istanbul sei eine mediterrane Stadt. Bitterkalte Poyraz-Winde und ein halber Meter Schnee auf den Straßen wie in diesem Monat - auch das ist Istanbul. Neben den Palästen und Moscheen zählen manche der alten Hamams, der Dampfbäder, zu den prächtigsten Gebäuden. Eines der schönsten ist das Cemberlitas-Hamam, das Mimar Sinan 1584 erbaute. Es liegt in der Nähe des Großen Bazars und ist eines der touristischeren Bäder, aber das bedeutet vor allem: Es ist sauber und man spricht Englisch.

Männer und Frauen baden getrennt. Man zieht sich aus, legt ein Baumwolltuch um und betritt die heilige Halle: Hamams sind dem Waschen gewidmete Dome. Man legt sich auf den großen runden Marmortisch in der Mitte, blickt hoch in die Kuppel und fühlt auf dem heißen Stein die Knochen wieder auftauen. In den Nischen an der Wand warten Becken mit heißem und kaltem Wasser, das man über sich schöpft. Wer will, lässt sich vom Bademeister die Haut vom Körper schrubben und so einseifen, dass er unter einem Berg von Schaum verschwindet.

Massieren lassen kann man sich auch, aber Vorsicht: Türkische Massagen sind nichts für Zimperliche. Nach einer solchen Abreibung wird man dem Türkeireisenden Helmut von Moltke zustimmen, der vor 170 Jahren schrieb: "Man möchte sagen, dass man noch nie gewaschen gewesen ist, bevor man nicht ein türkisches Bad genommen hat." Kai Strittmatter

Pariser Phantasien

Paris lockt mit vielen heißen Orten, aber keiner ist heißer begehrt als der Élysée-Palast. Der Traum ehrgeiziger Franzosen ist es, als Hausherr in diesen Stadtpalast aus dem 18. Jahrhundert einzuziehen. Hier verdichtet sich alle Macht des zentralistischen Landes, hier arbeitet und residiert Monsieur le Président. Noch heißt er Nicolas Sarkozy. Doch seine Rivalen rütteln bereits am Tor.

"Élysée", so nannten die alten Griechen das Paradies. Kein Wunder, dass es so viele in dieses Palais drängte: Madame de Pompadour, Napoléon Bonaparte, dessen Neffe Kaiser Napoléon III. und die Präsidenten der Republik. Einige bauten aus. Der Palast umfasst nun 365 Zimmer, darunter die goldtrunkene Salle des Fêtes, den Salon Murat für die Kabinettssitzungen und im Keller den "Poste de commandement Jupiter" - einen Bunker, von dem aus der Präsident einen Atomschlag auslösen kann.

Tausend Menschen arbeiten in der Palaststadt, die für Touristen verboten ist. Normalerweise. An zwei Tagen im Jahr gibt es einen Weg hinein. Im September öffnet der Élysée für ein Wochenende. 20.000 Menschen dringen dann bis ins Allerheiligste vor, das Büro des Präsidenten, nachdem sie bis zu sechs Stunden lang angestanden sind. Zuletzt schauten Sarkozy und Carla Bruni vorbei und ließen sich fotografieren.

Dieses Jahr wird womöglich ein anderes Präsidentenpaar die Gäste begrüßen. Aber bis dahin können sich die Pariser noch nach Kräften die Gemüter erhitzen. Stefan Ulrich

Innen drin kann man sich vorkommen wie im Raumschiff Orion, weit weg von allem und angestrahlt von seltsam extraterrestrischem Licht. Überm Kopf knattert Heizungsluft durch Riesenschläuche, während draußen, jenseits dieser durchsichtigen Membran, der Planet Erde im Dunkel versinkt. Das Winterbadeschiff in Berlin ist kein Geheimtipp, sondern eine Institution für Liebhaber der Körperkultur: eine Sauna mit Lounge an der Spree, dazu gehört ein schwimmender Pool im Fluss.

Das Gebilde steckt in Kunststoffröhren, die nachts, wenn sie innen beleuchtet sind, an Ufos erinnern. Wer sie betritt, wird herausgetragen aus dem Alltag, erst bei 95 Grad vorgeglüht, dann mit Eukalyptuströpfchen betört, wieder runtergekühlt in Wasser, das so frisch sein kann, dass der Atem stockt.

Man sollte hier nichts gegen Nacktheit haben, auch nichts gegen Tätowiertes, Gepierctes, Exaltiertes, in Würde Gereiftes, Familien, ganz Normale. Leiber aller Altersklassen lassen sich im Winterbadeschiff kneten, mit Säften volllaufen und in den Liegestuhl entsorgen, über Stunden und nach Partys am Wochenende auch bis drei Uhr morgens.

Wir wollten einen Ereignisort mit einem leichten, temporären Charakter", sagt Falk Walter, der Gründer und künstlerische Leiter der Arena in Treptow, neben der das Badeschiff angedockt ist. Eine Freizeitinsel mit Nachwendecharme ist hier gewachsen, in und neben einem zur Konzerthalle umgebauten Busdepot und runtergerockten Fabrikhallen, gleich am ehemaligen Mauerstreifen und da, wo das ungekämmte Kreuzberg an die aufgeputzten Bürgerhäuser von Treptow stößt. Wer etwas genauer hinschaut, findet in diesem einst toten Winkel des Kalten Krieges eine urbane Huckleberry-Finn-Landschaft.

Hier stehen an stillgelegten Kanälen und Schleusen zusammengenagelte Kunstbaracken und Restaurants, die vorgeben, nicht hip sein zu wollen, weshalb sie es natürlich sind. Eine störrische Idylle stemmt sich gegen das neue Berlin - und das Verschwinden.

Den Pool in der Spree haben die Berliner gleich gemocht. Weil sie darin schwimmen können und sich einbilden, sie seien irgendwo ganz weit draußen, mit viel Himmel über dem Kopf und Fernblick aufs eigene Leben. Die Arena, zu der das Badeschiff gehört, musste 2010 Insolvenz anmelden, der Pool war zeitweilig geschlossen. Jetzt haben sich neue Eigentümer eingekauft, Falk Walter hofft auf schwarze Zahlen. "Einfach ist es nicht", sagt er. Aber statt einfach hat man es hier ja sowieso lieber besonders. Constanze von Bullion

Draußen schüttelt sich das tiefgefrorene Moskau, drinnen herrschen Temperaturen von bis zu 80 Grad. Die Sanduny-Banja im alten Zentrum ist mehr als eine Sauna. Sie gleicht eher einem Tempel-Labyrinth. 204 Jahre alt ist die Anlage bereits und ein ungewöhnlich entspannendes Kleinod. Gipserne Löwen säumen den Garderobenraum, der Boden in der Umkleidekabine ist mit Kacheln im Jugendstil ausgelegt. Weiße Säulen umgeben das Schwimmbad, an Decken und Wänden prangen Mosaike.

Die Sanduny-Banja ist elitär, aristokratisch-feudal, und bei einem Eintritt von 50 Euro für zwei Stunden ohne Leihgebühr für Handtücher und Schlappen sündhaft teuer. John Travolta, Roman Abramowitsch und die Red Hot Chili Peppers gehören zu den Ehrengästen, und doch gibt es ein Schild, das Ständedünkel verneint: "In der Banja gibt es keine Generäle." Das Einpeitschen mit Birkenbesen und die kalten Güsse spüren alle fast gleich. Am russischen Kaviar im dazugehörigen Restaurant werden manche allerdings sparen müssen. Frank Nienhuysen

Madrid: Insel der Wärme

Wahrscheinlich könnte man jede Ecke in der Innenstadt Madrids nehmen. Aber aus irgendeinem Grund haben sich die Einwohner auf den Punkt geeinigt, wo die Gran Vía und die Calle de Alcalá zusammentreffen. Nirgendwo sonst sei die "Isla de calor" so ausgeprägt wie dort. Die Wärmeinsel.

Das Phänomen ist auch als Stadtklima bekannt und besagt in etwa, dass es in Ballungszentren heißer ist als etwa am Flughafen. Das liegt am Beton. Er saugt tagsüber Sonne auf und strahlt sie nachts wieder ab. Richtig Spaß macht das im Juli und August. Nachts kann es dann vorkommen, dass die Temperaturen um die 30-Grad-Grenze liegen. Und zwar nicht nur an der Gran Vía, Ecke Alcalá. Dass die Madrilenen die Wärmeinsel dennoch genau dort vermuten, hat wohl auch einen anderen Grund: Die U-Bahn schießt durch ein Gatter am Boden Wärmeluft empor. Das funktioniert auch im Winter. Javier Cáceres

Schon die Fahrt in den Ooedo-Onsen ist spektakulär. Die Monorail tuckert über die Rainbow-Brücke hoch über der Bucht von Tokio. Auf der aufgeschütteten Insel Odaiba, zwischen einem Telecom-Center und einem Containerhafen, liegt das nach Edo benannte Thermalbad - so hieß Tokio bis 1868.

Alt ist freilich nichts am Ooedo, nur sein Stil. Aber das stört die Japaner nicht. Genüsslich schmachtet man in mineralreichem, 41 Grad heißem Wasser, das aus der Tiefe hochgepumpt wird. Wer ein Onsen besucht, muss nichts mitbringen. Gebadet wird nackt; ein Yukata, eine Art Bademantel für vorher und danach, erhält man am Eingang. Shampoo gibt es reichlich; die Japaner verschwenden es, wenn sie endlos lange im Sitzen duschen. Früher badeten Männer und Frauen, Kinder und Greise in öffentlichen Bäder gemeinsam. Dann kamen die Europäer mit ihrer Moral. Und so weit geht der Wille zur Imitation Edos nicht, dass man die Trennung der Geschlechter wieder aufheben würde.

Das Ooedo bleibt die ganze Nacht offen: bis neun Uhr früh. Es ist familien-, ausländer- und somit touristenfreundlich, das sind längst nicht alle Onsen. Nur Tätowierte dürfen nicht rein. Christoph Neidhart

Stockholm: Hejdå Kälte

Sollen doch die Touristen das berühmte Freilichtmuseum Skansen bevölkern und dort mit Elch und Rentier bei Minusgraden zittern. Der clevere Stockholmer geht stattdessen in den Haga Park. Denn dort, gleich in der Nähe des Schlösschens von Kronprinzessin Victoria, steht das Fjärilshuset, das Schmetterlingshaus mit exotischen Gewächsen, farbenfrohen Tieren - und einer überaus leistungsstarken Heizung.

Bei Temperaturen, die der Werbung zufolge nie unter 25 Grad sinken, flanieren die Besucher durch einen tropischen Regenwald, der sich über mehrere Gewächshäuser erstreckt. Durch die dunstgeschwängerte Luft flattern prächtige Schmetterlinge wie der Eulenfalter Caligo eurilochus, der blaue Morphofalter oder der rot gefleckte Papilio rumanzovia. Die Wege schlängeln sich um eisfreie Teichanlagen, in denen Koikarpfen schwimmen, ab und zu huscht eine chinesische Zwergwachtel aus dem grünen Gebüsch.

Wenn nach ein paar Stunden in dieser wohlig warmen Oase der Papagei am Ausgang leise "Hejdå", "Tschüss", krächzt, dann ist der Stockholmer wieder bereit für Eis, Schnee und Dunkelheit, die derzeit das Leben fest im Griff halten. Gunnar Herrmann

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SZ vom 09.02.2012/kaeb
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