Im Alltag geht alles schnell und hektisch genug, in den Ferien will man wieder zur Ruhe kommen. Und bestenfalls zu sich selbst finden. Experten nennen dieses Phänomen Slow Tourism und das Prinzip dahinter ist nicht schwer. Wie man langsam reist, ohne sich zu langweilen.Von Carolin Gasteiger Entdecken statt vorschreiben lassen Reisen mit Zeitpuffer: Im Slow Tourism ist immer noch ein bisschen Zeit, um da zu bleiben, wo es dem Urlauber gefällt. Das muss nicht langweilig sein. Testen Sie beim nächsten Badeurlaub auch den nächsten Strand oder übernächsten Strand und lassen Sie sich von Einheimischen einen schönen Fleck empfehlen. Egal welche Urlaubsart, planen Sie einen oder zwei Tage zusätzlich ein, an denen Sie sich bewusst nichts vornehmen. Auch Städtetrips lassen sich einfach entschleunigen. Wer nur von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hetzt und stets die dazu passenden Fakten aus dem Reiseführer memoriert, hat viel gesehen und die Stadt dennoch nicht entdeckt. Dazu gehört, einfach loszuschlendern, sich durch die Straßen treiben zu lassen, in einem Café zu sitzen und die Leute zu beobachten.
Individuell statt Gruppenreisen Spontan bleiben, unabhängig und jederzeit den Plan umwerfen können - dabei aber immer genießen: Darum geht es bei Slow Tourism. Gruppenreisen sind mit dem Konzept des entschleunigten Reisens schlecht zu vereinbaren. Der Einzelne muss sich nach den Wünschen der Mehrheit richten und ist an einen strikten Zeitplan gebunden. Selbst die schönsten Orte muss der Gruppenreisende verlassen, wenn die Karawane weiterzieht. Die meisten Länder lassen sich auf eigene Faust entspannt erkunden, selbst abseits bekannter Touristenpfade. Allein oder zu zweit kommen Reisende oft leichter mit Einheimischen in Kontakt, erfahren so mehr über Land und Leute - und was wirklich sehenswert ist. Für den Einzelnen ist eine Individualreise aufwändiger zu organisieren als ein komplettes Paket. Wer sich noch keinen ganzen Urlaub ohne Fixpunkte zutraut, bucht schon einige Hotels vor - mit freien Tagen dazwischen, um Raum für Entdeckungen zu lassen. Und um ein wenig länger an einem Ort bleiben zu können oder um früher weiterzureisen, wenn es nicht so schön ist wie gedacht.
Pension statt All Inclusive "Slow Tourism kann keine Massenbewegung werden", sagt Christian Antz, Honorarprofessor an der Fachhochschule Westküste in Heide. Er hat den Begriff "Slow Tourism" erfunden und erforscht das Phänomen seit Jahren. Andere Arten zu Reisen würde Slow Tourism nicht verdrängen, sondern stelle eine zusätzliche Facette dar, seinen Urlaub zu verbringen, so Antz. Reisende, die am liebsten das Komplettpaket buchen, können und werden dies nach wie vor tun. Slow Traveller hingegen suchen eher nach kleinen, familiären Pensionen abseits von Hotelbunkern oder Feriensiedlungen. Auf dieses Bedürfnis sprechen Angebote wie Agriturismo in Italien an, inzwischen weit mehr als Urlaub auf dem Bauernhof. Während der Pensionswirt seine eigenen Zimmer vermietet und sich um die Verpflegung seiner Gäste kümmert, kann er abends auch noch mit ihnen zusammensitzen und gleich noch Tipps für Ausflüge oder die Weiterreise geben.
Zeit für Natur statt Leistungsdruck Viele erholen sich vom stressigen Alltag in der Natur, sie genießen auf einem Berggipfel die Aussicht oder radeln um einen See. Während es vor einigen Jahren auf Radtouren noch um die körperliche Leistung ging, hat inzwischen das Erlebnis an sich den Wettbewerb mit sich selbst abgelöst. "Es geht nicht mehr um Style oder Schnelligkeit, sondern um die Natur", sagt Antz. Und um das, was über das Radfahren hinausgeht: Manche entdecken auf dem Weg ein gutes Restaurant, andere eine schöne Pension. Aber, und das gilt für alle Aspekte von Slow Travel: Auf Angebote von Reiseveranstaltern können Urlauber verzichten, sondern sich einfach danach richten, was Spaß macht und Erholung bietet. Ein Waldspaziergang am Sonntagnachmittag ist schon mal ein Anfang.
Region statt Fernziel Höher, schneller und weiter weg? Vor allem Letzteres spielt bei Slow Tourism kaum noch eine Rolle. Denn der Trend geht Antz zufolge zur Regionalität, Radtouren in der Umgebung zum Beispiel, verbunden mit einem Biergartenbesuch. Statt auf einer Hotelterrasse relaxten viele inzwischen gern auf dem Balkon, machten dann aber noch eine Zwei-Tages-Shoppingtour, sagt Antz. "Der Heimattrend, wie aktuell bei den Zeitschriften, wird sich auch im Tourismus niederschlagen." Scheint also kein Fernziel für den nächsten Sommerurlaub geeignet, bleiben Sie einfach da und werden zum Tourist in der eigenen Stadt. Oder radeln nicht nur zum nahen See, sondern übernachten dort auch.
Genuss statt Geschwindigkeit "Slow Tourism umfasst nicht nur Langsamkeit, sondern auch Nachhaltigkeit, Regionalität, Sinnlichkeit (Emotionalität) und Sinnhaftigkeit", sagt Antz. All diese Aspekte greifen Wanderführer, Bergzeitschriften und Heimatprospekte mit Schlagworten wie "Auszeit", "Innehalten" oder "Krafttanken" auf. Ein zentrales Merkmal von Slow Tourism ist der Genuss. Reiseführer stellen Gasthäuser und Restaurants vor: Gutes Essen, sinnliche Wahrnehmungen, sich gesund Fühlen - und das alles in schönem Ambiente. "Lifestyle spielt eine große Rolle", sagt Antz. In diesem Sinne ist auch ein schönes Abendessen ein Kurzurlaub.
In sich gehen statt nur fortgehen Manche schweigen im Kloster, andere verweilen auf einer entlegenen Berghütte, um nachzudenken, oder pilgern auf dem Jakobsweg zu sich selbst. Dem Briten Dan Kieran zufolge, Autor des Buches "Slow Travel", geht es immer weniger um Flucht aus dem Alltag, sondern um das Zu-Sich-Finden, Bei-Sich-Ankommen und schließlich einen Sinn finden. Das kann und soll sich auch auf den Alltag auswirken.
Abwechslungsreich statt einseitig Mit zunehmender Individualisierung lassen sich Reisende immer weniger auf eine Art zu Reisen festlegen, sie kombinieren mehrere Optionen. "Der Kunde ist hybride", zitiert Antz aus der Fachsprache der Veranstalter. Wanderer hängen an ihre Drei-Tagestour in den Südtiroler Alpen ein paar Tage am Gardasee an oder einen Shoppingausflug nach Mailand. Dabei steigen sie mal in schlichten Berghütten, mal in gehobenen Hotels ab. Hauptsache, sie nehmen sich für ihre Reise genug Zeit. Schön langsam eben.