Österreich:Passfälscher in Tirol?

Österreich: Man wisse, dass die Straßenhöhe am Pass auf 2474 Meter liegt, heißt es bei der Hochalpenstraßen AG. Warum steht es dann wider besseres Wissen anders auf den Schildern?

Man wisse, dass die Straßenhöhe am Pass auf 2474 Meter liegt, heißt es bei der Hochalpenstraßen AG. Warum steht es dann wider besseres Wissen anders auf den Schildern?

(Foto: Mikolaj Gospodarek/Mauritius Images)

Das Timmelsjoch ist angeblich 2509 Meter hoch und damit Österreichs höchstgelegene Alpenstraße. Vielleicht ist das aber auch nur ein Marketing-Trick.

Von Dominik Prantl

Nein, der Winter hat die Passstraße am Timmelsjoch noch immer nicht ganz aufgegeben. Aktuelle Bilder von der Schneeräumung, die mehrere Wochen dauert, zeigen ein Asphaltband zwischen gewaltigen weißen Wänden; noch Ende Mai soll der Schnee hier an manchen Stellen bis zu zwölf Meter hoch gewesen sein. Am 10. Juni, so spät wie in den vergangenen 15 Jahren nicht mehr, sollte die Straße nun endlich geöffnet werden. Dann kann auch jeder Nutzer der Hochgebirgsstraße mithilfe moderner Methoden persönlich nachmessen: Wie hoch liegt die Passhöhe nun eigentlich tatsächlich?

Denn so einfach, wie es klingt, ist die Frage offenbar nicht zu beantworten. Auf den Schildern am Straßenrand und auf der Website des Betreibers, der Timmelsjoch Hochalpenstraße AG, wird die Höhe seit vielen Jahren mit 2509 Metern angegeben. Auch der Online-Kartendienst Google Maps, für viele Reisende inzwischen die maßgebliche kartografische Informationsstelle, weist den Scheitelpunkt an der Grenze zwischen Österreich und Italien mit 2509 Metern aus. Der Alpenpass überböte damit die Großglockner-Hochalpenstraße um genau fünf Meter, womit der Passo Rombo, wie das Timmelsjoch auf Italienisch heißt, die höchstgelegene befestigte Passstraße Österreichs wäre. Ein schönes Etikett.

Auf alten Karten wird die Höhe mit 2478 Metern angegeben

Genau deshalb zog kürzlich die bloggende Tiroler Investigativ-Instanz Markus Wilhelm diese 2509 Meter auf seiner Website in Zweifel und bezeichnete diese als "touristische Hochstaplerei". Auf alten Karten sei die Höhe des Jochs mit 2478 Metern angegeben. Auch Rennradforen und Wikipedia weisen die Passhöhe mit 2478 oder gar 2474 Metern aus. Wilhelms Verdacht: Es gehe rein um den Superlativ.

Dazu muss man wissen, dass die unvergletscherte Kerbe im Alpenhauptkamm mutmaßlich zwar schon in der Steinzeit als Übergang diente, sich die Bedeutung als reine Transit-Strecke heutzutage jedoch in Grenzen hält. Dafür ist der touristische Wert seit dem Ausbau vom Saumpfad zur Panoramastraße Ende der Fünfzigerjahre deutlich gestiegen. Passierten 1960 noch 5592 Autos und 372 Motoräder die Passhöhe, waren es 2019 rund 106 000 Pkws und knapp 80 000 Motorräder - und das, obwohl der Übergang nur vom späten Frühjahr bis meist Ende Oktober befahrbar ist.

Bilder vom Timmelsjoch wenige Tage vor dem Ende der Wintersperre Weitere Bilder zeigen das Motorra

Noch immer liegt Schnee am Pass: Bilder vom Timmelsjoch wenige Tage vor dem Ende der Wintersperre.

(Foto: Daniel Liebl/Imago/Zeitungsfoto.at)

Am Timmelsjoch gibt es auch nicht mehr nur einfach das Bergpanorama der Ötztaler Alpen und ein paar unverschämt geschmeidig zu erlenkende Haarnadelkurven, sondern unten in Hochgurgl ein derzeit geschlossenes, weil im Januar ausgebranntes Motorradmuseum und oben direkt am Grenzübergang ein Passmuseum. Hinzu kommen noch einige weitere je nach persönlichem Gusto mehr oder weniger gelungene Kunstinstallationen, die in der stattlichen Maut von 17 Euro pro Pkw oder 15 Euro pro Motorrad (jeweils einfach) inbegriffen sind. Kurz: Die Straße ist hier vom Mittel des Reisens zum Reiseziel an sich geworden, mit entsprechenden Umsätzen. Der Verdacht des Etikettenschwindels ist folglich nachvollziehbar. Mehrheitsaktionär der Timmelsjoch-Hochstraßen-AG ist die Familie Scheiber aus Obergurgl, der nicht nur zwei der größten Hotels, sondern auch die Skilifte dort gehören.

Nur: Bislang wird das Timmelsjoch höchstens punktuell mit dem - wegen des 2757 Meter hohen Stilfser Jochs - ohnehin falschen Superlativ "höchster Passübergang der Ostalpen" vermarktet, jedenfalls bei Weitem nicht so offensiv, wie es gerade im Höher-weiter-noch-mehr-Land Tirol zu erwarten wäre. Die Betreiber der Großglockner-Hochalpenstraße wollen den Vorgang als potenziell Geschädigte auch nicht kommentieren. Entsprechend verwundert reagiert Manfred Tschopfer, seit mehr als 20 Jahren Vorstand der Timmelsjoch-Hochalpenstraßen AG, auf den Vorwurf der Passfälschung: "Wir haben nie damit geworben. Wir wissen ja, dass die Straßenhöhe am Pass auf 2474 Metern liegt."

Österreich: Man wisse, dass die Straßenhöhe am Pass auf 2474 Meter liegt, heißt es bei der Hochalpenstraßen AG. Warum steht es dann wider besseres Wissen anders auf den Schildern?

Man wisse, dass die Straßenhöhe am Pass auf 2474 Meter liegt, heißt es bei der Hochalpenstraßen AG. Warum steht es dann wider besseres Wissen anders auf den Schildern?

(Foto: Mikolaj Gospodarek/Mauritius Images)

Wie es die 2509 Meter wider besseres Wissen auf Schilder und Webseite geschafft haben, könne er momentan nicht beantworten. Das Logo mit der Höhenangabe sei ja schon in den Sechzigerjahren gemacht worden und damit lange bevor die Straße zur Jahrtausendwende von der öffentlichen Hand in Privatbesitz überging. Bislang sei die genaue Höhe auch nie ein Thema gewesen. Man werde auf die jüngste Kritik allerdings reagieren: "Wir sind gerade dabei, alte Unterlagen zu durchstöbern." Irgendwo müsse es schließlich Informationen dazu geben, wo die 2509 Meter herkommen.

Vielleicht könnte der Fall aber auch Schule machen. Nicht weit entfernt von der Timmelsjoch-Straße liegt beispielsweise die Wildspitze, mit - gemäß Alpenvereins-Karte - 3770 Metern nur 28 Meter kleiner als der Großglockner und damit nach diesem der zweithöchste Berg Österreichs. Noch.

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Achtung: Die Bilder sind auch online freigegeben, dürfen allerdings nur in Zusammenhang mit einer Rezension des Buches "Am Berg" aus dem Knesebeck-Verlag

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