Abwarten und Tee trinken - darauf ist es für den amerikanischen Fotografen Michael Yamashita im Jahr 2008 tatsächlich hinausgelaufen. Er musste warten, bis die chinesischen Behörden ihm die Genehmigung erteilen würden, nach Tibet einzureisen. Diese Erlaubnis kam jedoch lange nicht, die Machthaber wollten in den Monaten vor den Olympischen Sommerspielen in Peking jegliche potenziell kritische Berichterstattung über Tibet unterbinden.
Yamashita blieb im Land, hoffte und wartete vorerst vergeblich, "machte Aufnahmen und kostete eine Menge Tee", wie er sich an diese langen Wochen des Ausharrens zurückerinnert. Der Fotograf hatte geplant, den Chamagudao zu bereisen, einen Handelsweg, der über drei Hauptrouten aus dem westlichen Sichuan nach Lhasa führt. Entstanden ist die sogenannte Tee-Pferde-Straße vor rund 2500 Jahren. Chinesische Händler haben in Tibet Pferde gekauft, die weiter im Osten gebraucht wurden, damit China sich gegen die berittenen Mongolen verteidigen konnte. Bezahlt haben sie mit Tee, der auch damals schon in Sichuan und der südlich angrenzenden Region Yunnan angebaut worden ist.
Diese Teeanbaugebiete hatte Michael Yamashita, 72, der in seiner langen Karriere viele Fotoreportagen für National Geographic realisiert hat, erstmals in den Neunzigerjahren bereist. Nun wollte er weiter nach Westen, den Handelsrouten nach, auf denen es neben dem Warenaustausch naturgemäß auch einen kulturellen Transfer gab.
Im Sommer 2009 konnte Yamashita dann endlich nach Tibet, insgesamt hat er bis 2011 fünf Reisen unternommen auf dem Chamagudao und den Zubringerrouten. Allein im Bereich der Pferde-Tee-Straße, auf der heutzutage weder das eine noch das andere mehr gehandelt wird, leben rund 40 Minderheiten. Ihnen und der Gebirgslandschaft gilt das Interesse des Fotografen, dessen Bildband "Shangri-La. Entlang der Teestraße von China nach Tibet" nun in deutscher Übersetzung erscheint.
Shangri-La gibt es tatsächlich, seit die Stadt Zhongdian im Norden Yunnans vor zwanzig Jahren umbenannt worden ist. Das fiktive Bergparadies, das sich der Autor James Hilton für seinen Roman "Der verlorene Horizont" ausgemalt hatte, hat dadurch eine touristisch vermarktbare Gestalt bekommen. Michael Yamashita geht es nicht darum, potenziellen Vorbildern Hiltons nachzujagen. Er habe, schreibt er im Vorwort seines Buches, sein persönliches Shangri-La gefunden, im Nationalpark Jiuzhaigou. Dort hatte er, so schreibt er, zum ersten Mal von der Pferde-Tee-Straße gehört. Indem er sie bereiste, hat sich sein Begriff von Shangri-La geografisch erweitert.
Der Chamagudao, der durch das Hochland nördlich des Himalaja verläuft, ist geprägt vom Buddhismus und vom Nomadentum. Eine karge, ärmliche Landschaft, deren Bewohner seit einiger Zeit zu neuem Reichtum gekommen sind: Viele suchen nach "yartsa gunbu", einem parasitären Pilz, der Raupen befällt und den es nur im tibetischen Hochland gibt. Mehrere Euro pro befallener Larve bekommen Nomaden, denn was sie anzubieten haben, ist als Medizin extrem begehrt in China. Einen regelrechten Goldrausch habe das ausgelöst, so Yamashita, die Nomaden kaufen sich davon zum Beispiel Motorräder. Nicht einmal sie selbst brauchen noch Pferde.
Neben jahrhundertealten Traditionen dokumentiert Michael Yamashita auch diesen radikalen Wandel des Lebensstils innerhalb der Ethnien Westchinas, die er auf seinen Reisen besucht hat. Es ist eine Welt, die mit dem Alltag in den Wirtschaftsmetropolen Chinas nichts gemein hat, auch wenn die bis in unsere Gegenwart verlängerte Phase einer weitgehend vorindustriellen Lebensweise sich nun auch dort ihrem Ende zuneigt. Yamashitas Werk "Shangri-La" negiert die Neuerungen nicht, trägt jedoch beabsichtigt nostalgische Züge.
Michael Yamashita : Shangri-La. Entlang der Teestraße von China nach Tibet. Aus dem Englischen von Theresia Übelhör. Dorling Kindersley Verlag, München 2020. 272 Seiten, 29,95 Euro.