Therme Vals in der Schweiz:Heißer Stein

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Die Therme Vals steht für Ruhe und Kontemplation inmitten wegweisender Architektur. Nun ist ein lauter Streit um ihren Verkauf entbrannt, befeuert unter anderem vom Schöpfer des Gesamtkunstwerks, dem Architekten Peter Zumthor.

Laura Weissmüller

Wer den Eingang der Therme Vals passiert, begibt sich in eine Klanginstallation: Schon auf der schmalen schwarzen Rampe, die hinab zu der Anlage führt, hört der Besucher das Rauschen des Wassers. Passiert er das eiserne Drehkreuz, klickt es dumpf, dann kommt ein tiefes Gurgeln dazu. Und steht er schließlich in der zentralen Halle, deren große Fensterscheiben wie riesige Rahmen das Panorama der Bergwelt Graubündens einfassen, vernimmt er jedes Wassergeräusch, das er sich nur vorstellen kann, vom Plätschern, Rinnen, Tropfen bis hin zum Glucksen und Trommeln. Nur eines hört er hier nicht: laute Stimmen.

Die Valser Therme gilt als Tempel unter den Bädern. Zu dem Ensemble gehört auch ein Hotel. Dieses soll nun umgebaut werden. Die Frage ist nur: wie? (Foto: Henry Pierre Schultz)

Die Therme Vals ist so etwas wie die heilige Tempelanlage unter den Bädern. Im Zentrum der Anbetung steht die Architektur von Peter Zumthor aus geschichtetem Valser Stein, ein elegant grauer Quarzit, der im Dorf alle Häuser und Ställe bedeckt und über den man hier fast zwanghaft mit den Händen streicht, um die Struktur zu spüren. Eigentlich logisch, dass hier keiner kreischt und man die sonst in Bädern oft übliche Pommesbude und das Solarium noch nicht einmal sucht.

Die Elemente Stein und Wasser wollte der Schweizer Architekt hier körperlich erfahrbar machen. Wer die aufgeweichten, überraschend jungen Gesichter im Außenbecken durch den warmen Dampf hindurch studiert, kann nur sagen: Es gelingt. Glückselige Friedlichkeit bei 35 Grad Wassertemperatur allerorts.

Architektonisches Nationalheiligtum der Schweiz

Allerorts? Das tatsächlich überhaupt nicht. Denn um die Therme ist eine heftige Diskussion entbrannt. Zusammen mit der benachbarten Hotelanlage aus den sechziger Jahren ist das Bad in Gemeindebesitz. Nun soll es mitsamt dem Hotel verkauft werden. Die Frage ist nur: an wen? An die sogenannte Valser Gruppe, die neben die Therme ein zusätzliches Hotelgebäude bauen will und der Gemeinde im Fall des Zuschlags eine Mehrzweckhalle verspricht? Oder an die Interessensgemeinschaft um Zumthor, die den maroden Hotelbau durch einen Neubau des Schweizer Architekten ersetzen will und anbietet, außerdem das Bergrestaurant der Sportbahnen neu zu bauen? Der Streit darüber ist so heftig, dass er nicht nur das so idyllisch auf knapp 1300 Metern liegende 1000-Einwohner-Dorf entzweit, sondern die ganze Schweiz beschäftigt.

Kein Wunder, gehören doch die Thermen zu den Kronjuwelen unter den Schweizer Bauten. Nicht zuletzt ihnen verdankt ihr Schöpfer seinen Pritzker- Preis. Architektonisches Nationalheiligtum, könnte man sagen. Für Vals auch: Lebenselixier. "Das Bad hat Vals von einem abgelegenen Dorf auf die touristische Weltkarte gebracht", sagt Thomas Meier, Präsident des Tourismusbüros Visit Vals, "jeder profitiert hier davon." Das Spektrum der Geschäftspartner reicht von der Sennerei, die ihren Bergkäse an das Hotel liefert, über den Handwerker, der die Anlage wartet, bis hin zu den anderen Ferienunterkünften am Ort.

Besuchermagnet seit der Eröffnung

Das Thermalbad ist seit seiner Eröffnung 1996 ein Besuchermagnet. Viele Gäste kommen eigens deswegen, schlafen oder essen aber woanders. Zwei Drittel der Einwohner verdienen ihr Geld mit dem Tourismus, er ist das wirtschaftliche Rückgrat von Vals. Der Streit um die Therme ist damit auch ein Streit um die Zukunft. Ein zusätzlicher Hotelbau in einem Dorf mit gerade mal 1000 Gästebetten bedeutet einen Schritt in Richtung Massentourismus. Dabei war Vals bislang stolz darauf, dass es den hier nicht gibt. Nun stimmt die Gemeinde darüber ab, in welche Richtung sie gehen will.

Um die Zukunft des hiesigen Tourismus wurde schon einmal heftig gestritten: als sich das Dorf Mitte der Achtziger entscheiden musste, ob es sich tatsächlich trauen soll, einen Architekten wie Peter Zumthor bauen zu lassen. Eines dieser Erlebnisbäder, wie sie die anderen Gemeinden damals ringsherum aus dem Boden stampften, würde von ihm nicht zu bekommen sein, das war klar. Eventarchitektur hat es bei ihm nie gegeben, genauso wenig wie postmoderne Flirtereien. Gleichzeitig wollte er beim Konzept mitreden. Deswegen verließen zwei Projektmanager nacheinander entnervt das Team. Viele rieten zudem von dem relativ teuren Wagnis ab, Vals war gespalten.

Doch was sich Berlin beim NS-Dokumentationszentrum nicht traute - einem Architekten auch inhaltlich Mitspracherecht einzuräumen -, traute sich schließlich das kleine Bergdorf in der Schweiz. Peter Zumthor durfte bauen. Vom Resultat war nicht nur die Architekturwelt begeistert. Ohne große Werbung sprach sich der Bau herum - und tut es immer noch. Müssen sich andere Ferienorte ständig neue Attraktionen ausdenken, ist die Faszination des Bads ungebrochen. Regelmäßig sind Hotel und Therme ausgebucht, was seit der Wirtschaftskrise auch in der Schweiz eher die Ausnahme darstellt.

Auf knapp 1300 Metern liegt das Tausend-Einwohner-Dorf Vals. (Foto: SZ-Grafik)

Beim aktuellen Streit nun sind die Hintergründe so verworren und aufgeladen mit persönlichen Animositäten, wie es das nur in einem abgelegenen Dorf geben kann. Untypisch für die Schweiz ist allerdings, wie hart dabei argumentiert wird. Plakatiert hier der eine sein Schaufenster mit wüsten Beschimpfungen gegenüber Zumthor, seiner Interessensgemeinschaft und Sympathisanten, kontert der andere auf der gegenüberliegenden Straßenseite lieber mit sorgfältig ausgeschnittenen und fett markierten Zeitungsartikeln über die Verfehlungen von Remo Stoffel, dem potentiellen Investor der Gegenpartei. Da hilft auch nicht das idyllische Schneekleid über Vals. Diese Auseinandersetzung ist hässlich.

Für Außenstehende wäre es trotzdem nicht mehr als eine kleine Gemeindeposse, zumal sich an den denkmalgeschützten Thermen - egal welche Gruppe gewinnt - nichts ändern wird, wenn nicht deren Schöpfer mitten im Zentrum der Diskussion stehen würde. Der Architekt fürchtet um sein zeitintensivstes Projekt.

Sorge um das Gesamtkunstwerk

Einige hundert Meter oberhalb von Vals, in dem winzigen Dorf Leis, wo neben den paar Bauernhöfen auch zwei moderne helle Holzhäuser stehen, empfängt Zumthor seine Gäste. Man trifft genau den Asketen, den man sich hinter seinen radikal einfachen Bauten immer vorgestellt hatte: kurzes, fast weißes Haar, buschige Brauen, unter denen eisblaue Augen sein Gegenüber fixieren, ein graues Hemd, dessen Kragen leicht abgewetzt ist, schwarze Armbanduhr und große Hände, die meistens auf der Tischplatte liegen. Mönchisch wirkt Zumthor in seiner Ruhe, und doch ist er unerbittlich in der Sache. Die Abstimmung ist für den 69-jährigen Architekten der Gradmesser, um zu sehen, "wer die Bedeutung der Therme verstanden hat und wer denkt, das könnte man auch jung, frisch und ganz anders machen". Dabei wird mit jedem Satz klarer: Zumthor geht es nicht darum, dass ein Neubau die eigene Therme abwerten könnte. Ihm geht es um alles.

Denn der Architekt hat nicht nur das Bad entworfen. Während seine Frau Annalisa das Hotel als Co-Direktorin leitete, hat Zumthor den blauen und den roten Saal, wo man heute sehr gut speisen kann, im Stil der Sechziger restauriert und Teile der Hotelanlage saniert. Zumthor hat das Gesamtkonzept für die Therme Vals entworfen - vom Outfit der Kellnerinnen bis hin zum Kulturprogramm, das ein "Stück Weltstadt" nach Vals gebracht hat, wie Thomas Meier das formuliert. Ein Architekt, der sich Gedanken über die Zusammenstellung der Weinkarte macht? "Es gab eine Zeit, da hieß so etwas Gesamtkunstwerk", sagt Peter Zumthor.

Wieder unten im Dorf, in einem winzigen Gemischtwarenladen gleich gegenüber der Kirche. Hier findet man Margrit Walker-Tönz, die Bürgermeisterin von Vals. Ihr Gemeinderat hat eben beschlossen, Zumthors Angebot, das von vielen favorisiert wird, zu unterstützen und bei den Bürgern dafür zu werben. "Ich will einfach, dass es gut läuft für Vals", sagt sie versöhnlich, und dass sie zuversichtlich sei: "Wir Valser sind es gewohnt, mutige Entscheidungen zu treffen."

Informationen:

Anreise: Mit der Bahn bis Chur, dann 40 Minuten mit der Rhätischen Bahn bis nach Illanz und von dort mit dem Postauto nach Vals, www.db.de, www.sbb.ch, Ab München einfach ca. 73 Euro.

Übernachten: Hotel Therme Vals, mit Sechziger-Jahre-Charme und einigen schön gestalteten Zumthor-Zimmern, ÜF im DZ pro Person ab 82 Euro, www.therme-vals.ch

Weitere Auskünfte: Tourismusbüro Visit Vals: www.vals.ch

Therme: Ticketreservierung für Tagesgäste www.therme-vals.ch, Schweiz-Tourismus: www.myswitzerland.com

© SZ vom 08.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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