Süddeutsche Zeitung

Thailand:Ei, ei, ei

Lesezeit: 3 min

Die thailändische Küche ist eigentlich immer für Überraschungen gut. Ameiseneier sind dennoch nur etwas für Experimentierfreudige - selbst unter den vielen Köchen Bangkoks.

Von LARs Reichardt

Ton Thitid ist erst 29 Jahre alt, aber er weiß schon genau, was in New York oder Europa ankommt. Zehn, fünfzehn Standard-Gerichte, möglichst ohne Galgant oder Langen Koriander, die sind zu herb und hart für westliche Zungen. Stattdessen lieber Ente, obwohl die in Thailand gar keine große Rolle spielt. Doch Thitid serviert lieber Ameiseneier.

Dafür verzichtet Ton Thitid im Zweifel auf ein paar Touristen. Sechzig Prozent seiner Kundschaft sind Thai. Das ist viel für ein eher teures Lokal mit weißen Designerstühlen im Amüsierviertel um die Silom Road. Dabei schmecken Ameiseneier nach Hühnchen. Sehr lecker. Außerdem sind sie zwar nur groß wie Kaviarkörner, aber in jedem Fall groß genug, um Aufmerksamkeit zu erregen. Man findet sie im Nordosten Thailands. Sobald an der Grenze zu Laos und Kambodscha die Regenzeit beginnt, räuchert man die Nester im Wald aus, wartet, bis die Ameisen geflüchtet sind und holt ihre Eier raus. Im Nordosten gelten sie seit jeher als Delikatesse. Im Restaurant Le Du bekommt man etwa zwei Esslöffel voll auf den Teller. Die Salatvariation mit einer Mousse aus Lemongras, Fischsauce, Limetten und Chili ist jetzt in Bangkok so populär, dass Thitid mittlerweile seine vierte Dependance eröffnet.

Der Koch hat zuerst Wirtschaft studiert. Seine Eltern waren entsetzt, als er nach seinem Bachelor in die USA ging, um eine Kochschule zu besuchen. Koch war noch bis vor Kurzem kein angesehener Beruf in Thailand. Fünf Jahre blieb Thitid, arbeitete für den Mindestlohn von 7,25 Dollar in New Yorker Sternerestaurants. Als er anfing, sich zu langweilen, kehrte er nach Thailand zurück, gründete mit einem Partner sein erstes Lokal, wollte mit regionalen Produkten und traditionellen Rezepten experimentieren: Wels statt importiertem Lachs aus Norwegen und heimischen Pilzen, die im Wald unter der Erde wachsen. Oder eben Ameiseneiern. Manchmal nimmt er auch Heuschrecken auf die Karte. Er macht das nicht aus Lust an der Exotik. Er glaubt daran, dass die thailändische Küche einen Schritt nach vorn machen sollte, auch wenn sie jetzt schon weltweit so populär ist wie wenige andere.

Ton Thitid hat in den USA gelernt, was dem Westen gut schmeckt - um dann doch etwas zu wagen.

Jetzt serviert er Insekten.

Marin Trenk ist Deutschlands einziger Professor für Kulinarische Ethnologie, er hat das Buch "Döner Hawaii" über die Globalisierung der Küche geschrieben und benennt Gründe für den Erfolg der Thai-Küche: weil die Kombination Zitronengras, Koriander, Kokosmilch und Chili überall auf der Welt als aufregend empfunden wird. Weil man Curry-Huhn ohne großen Schaden mit europäischem Gemüse wie Paprika, Lauch und Blumenkohl anreichern kann. Mit echter Thai-Küche hat das allerdings nur mehr wenig zu tun. Thailändische Küche kann so einfach sein, auch das trägt zu ihrem Erfolg bei. Etwas Gemüse, Kräuter, Fisch oder Huhn im Wok anbraten, Golden Mountain Sauce und etwas Pfeffer oder Chili drüber, fertig. Das funktioniert im Zweifel auch mit Heuschrecken, Mehlwürmern oder Käfern.

Die Vereinten Nationen empfehlen den Verzehr von Insekten seit Jahren. Der thailändische Pavillon auf der Expo in Mailand hat die Idee dieses Jahr aufgegriffen: Protein von Wasserwanzen, Bambuslarven und Mistkäfer soll den Hunger einer wachsenden Weltbevölkerung stillen. In Frankreich und den Niederlanden sind Insekten bereits in einigen Supermärkten erhältlich. In Deutschland ist im Sommer das erste Insekten-Kochbuch erschienen (von Folke Dammann und Nadine Kuhlenkamp) mit Gerichten wie Thai Beef mit gerösteten Mehlwürmern, Kokossüppchen mit Heuschrecken-Spießen, gebratene Insekten mit rotem Gemüsecurry. Und es gibt erste Restaurants in New York, Nizza und Kopenhagen, die solche Gerichte kochen. Die asiatische Restaurantkette Mongos bietet Insekten in mehreren deutschen Städten an. Marin Trenk, der Ethnologe aus Frankfurt, bezweifelt allerdings, dass sie sich in Europa oder den USA auf der Speisekarte durchsetzen werden. Zu groß ist das Tabu, altfränkische Maikäferrezepte aus schlechteren Tagen sind längst verdrängt und vergessen.

In Thailands Haute Cuisine sind Heuschrecken noch nicht gelandet. Jakkrit Traibun kocht im Banyan Tree Hotel auf Kho Samui. "Haben Sie mal gehört, wie es knackt, wenn man auf eine gebratene Wasserwanze beißt? Schauderhaft", sagt er. Die Stärke der thailändischen Küche sieht er in der Frische von Kräutern und Blättern. Insekten seien nur Show.

Ian Kittichai mag sie alle nicht: keine Käfer, keine Grillen, keine Würmer. Kittichai ist ein renommierter Koch in Thailand, er führt die Issaya-Kochschule in Bangkok. Sie liegt in der Nähe des Lumpini Boxstadions. Kittichai hat die Villa mit Schule und angeschlossenem Restaurant aus Sentimentalität renoviert; er ist hier aufgewachsen. Die Mutter hat für die Nachbarschaft gekocht, zehn unterschiedliche Currys jeden Tag. Er hat kochen früher gehasst, mit sechzehn ist er dennoch nach London in die Kochlehre gegangen, hat in New York und Hongkong gearbeitet, war als erster Thai Chefkoch eines Restaurants im Fünf-Sterne-Hotel und führt mit Ende vierzig Restaurants in New York, Barcelona und allein neun in Bangkok.

Insekten zu servieren, verbietet sich für ihn. "In Thailand werden immer noch viele Pestizide verwendet, und man kann sich nie sicher sein, woher die Insekten kommen und wie viel Gift sie auf den Feldern abbekommen haben." Bei Ameiseneiern sieht die Sache anders aus. Sie kommen aus dem Wald und sind nicht gespritzt.

Auch vor denen allerdings ekelt es Kittichai. "Aber ich bin nicht unbedingt ein typischer Thai", sagt der Mann mit perfektem britischen Akzent. "Ich vertrage nur eine Chilischote im Essen."

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Quelle:
SZ vom 22.10.2015
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