Süddeutsche Zeitung

Kanaren:Teneriffas Sterne

Junge Köche peppen die traditionell einfache Küche der Insel auf - mit Schweineschnäuzchen und anderen Zutaten, die es nur auf den Kanaren gibt.

Von Patricia Bröhm

Mehr als 25 Jahre reifte der Vinagre Macho in einem alten Eichenholzfass seiner Bestimmung entgegen. Der "Macho-Essig" der Bodegas Monje verdankt seinen Namen der Tatsache, dass er aus einem besonders kraftvollen Rotwein gewonnen wird. Mit seiner süßsauren Wucht verleiht er der Gazpachuelo, der Fischsuppe, die Juan Carlos Padrón im Restaurant Maresía zum gebratenen Zackenbarsch serviert, eine ganz besondere Würze.

Lokal erzeugte Lebensmittel wie der Essig aus dem grünen Norden Teneriffas spielen in den Gerichten des jungen Küchenchefs eine große Rolle: "Wir wollen die traditionellen Aromen und Produkte der Region bewahren und zeitgemäß interpretieren. Es gibt auch bei uns eine junge Generation, die mit Pizza und Burgern aufwächst - dagegen wollen wir ein Zeichen setzen."

Vieles, was hier auf den Teller kommt, gibt es so nur auf den Kanaren, nicht auf dem spanischen Festland. Zum Beispiel die schwarzen Kartoffeln mit intensiv gelbem Fleisch und süßlichem Geschmack - Kolumbus brachte sie einst aus Peru mit, auf den Kanaren fanden sie das geeignete Mikroklima, auf der iberischen Halbinsel gediehen sie nicht. Oder die für Teneriffa so typischen schwarzen Schweine, die genetisch aus Afrika stammen. Padrón schätzt ihr fettreiches und deshalb besonders aromatisches Fleisch; er serviert chinesisch inspirierte Teigtaschen, die er mit Schweineschnäuzchen und Garnelen füllt.

Mit solchen Kreationen, die vom ureigenen Terroir der Insel erzählen, ist das Maresía bester Beleg für den gastronomischen Boom, der Teneriffa seit einigen Jahren erfasst und der Insel sechs Michelin-Sterne beschert hat. Heute bietet sie nicht nur Strandleben und für Wanderer ein äußerst reizvolles Hinterland, sondern auch eine anspruchsvolle kulinarische Szene und charaktervolle Weine.

Während die Küche Teneriffas zurück zu den Wurzeln strebt, geht man in der Architektur neue Wege. Wie ein ultramodernes Ufo sitzt das Maresía auf dem Dach des 2018 eröffneten Ferienhotels Royal Hideaway, das mit seiner schneeweißen Architektur und den relingartigen Balkonreihen einem riesigen Kreuzfahrtschiff nachempfunden zu sein scheint. Hier oben im fünften Stock schaut man durch Panoramascheiben über die Bucht von Playa La Enramada und über das azurblaue Meer bis hinüber zur Nachbarinsel La Gomera. Padrón taufte das Restaurant Maresía, Gischt, weil ihn der spektakuläre Meerblick an seine Kindheit erinnert, die er - als Sohn einer Fischerfamilie - vorwiegend am Strand und in den Wellen verbrachte.

Im Hinterland der Küste haben Bauern das Land bis auf 1000 Meter Höhe terrassiert

Das Maresía wird bereits als heißer Kandidat für einen Michelin-Stern gehandelt - den ersten erkochte der junge Küchenchef 2015 in seinem winzigen Restaurant El Rincón de Juan Carlos, das eine halbe Autostunde entfernt im Küstenort Los Gigantes liegt. Die Wartezeit für einen Tisch beträgt dort drei Monate, deshalb sind die Gäste froh, dass es jetzt mit dem Maresía eine Alternative gibt. Beide Restaurants überraschen mit modern puristischem Ambiente und einem Küchenstil, der alles andere als traditionell ist: Juan Carlos Padrón lernte in den katalanischen Kultrestaurants El Bulli und El Celler de Can Roca. Seine dort erworbene Expertise brachte er zurück auf die Insel. Heute zählt er zu den Wegbereitern einer neuen kanarischen Küche.

Der Gastro-Boom der vergangenen Jahre wird nicht zuletzt von engagierten Bauern, Käsern und Winzern im Hinterland getragen. Wer sich ein Bild davon machen möchte, der muss die touristische Südküste, an der nachts die Lichter der Hotelpaläste funkeln wie ein gigantisches Cartier-Collier, verlassen und das Inselinnere erkunden. Dominiert wird es vom Teide, dem erloschenen Vulkan, mit 3718 Metern der höchste Gipfel Spaniens. Der Berg mit seiner oft wolkenverhangenen Spitze gilt als Wetterscheide zwischen dem sonnenverwöhnten, trockenen Süden und dem regenreicheren, deshalb aber üppig grünen Norden. Im Hinterland der Küste haben Bauern das Land bis auf 1000 Meter Höhe terrassiert, im subtropischen Klima gedeihen nicht nur die omnipräsenten Bananen, sondern auch Papaya, Mango, Ananas, Avocado, Tomaten und mehr als 30 Sorten der kleinen kanarischen Kartoffeln.

Die ersten Weinreben kamen einst mit Kolumbus auf die Inseln

Auf dem Weg Richtung Teide-Nationalpark führt die Straße durch Pinienwälder immer höher. Das windige Hochland steuert zum kanarischen Speisezettel Kaninchen und Rebhühner, Wildschafe und Ziegen bei. Letztere liefern die Milch für international konkurrenzfähigen Käse: Bei den World Cheese Awards 2018 wurden in London 35 kanarische Käse ausgezeichnet. Alberto Montesdeoca Garcia ist stolz auf seine rund 1000 Ziegen einer heimischen Rasse: "Mit ihren afrikanischen Genen sind sie perfekt auf die hiesigen Lebensbedingungen eingestellt", sagt der prämierte Käsemacher. Seine Frischkäse sind leicht, schmelzig und hinterlassen am Gaumen einen salzigen Hauch von Meeresaromen.

Auf etwa 1500 Metern, rund um den Ort Vilaflor, liegt das höchstgelegene Weinbaugebiet Europas. "Unsere Böden sind sehr vulkanisch, das bringt Frische in die Weine", sagt Enrique Alfonso. Von Haus aus ist er Pharmazeut, doch vor 15 Jahren begann er, die verwilderten Weinberge, die einst seine Großeltern bewirtschafteten, zu rekultivieren. Die bis zu 150 Jahre alten Reben, die ohne jede Bewässerung auskommen, sind ein Schatz. Alfonso setzt auf die traditionellen kanarischen Rebsorten wie Barroso Negro, Listán Blanco oder Listán Prieto, aus dem er einen Schaumwein keltert. Im Innenhof seines Weinguts, in dem noch eine uralte kanarische Holzpresse steht, öffnet er ein paar Flaschen zum Probieren. "Diese Weine gibt es nur auf den Kanaren", sagt der Winzer, "warum sollten wir internationale Rebsorten wie Syrah oder Cabernet Sauvignon anpflanzen?" Die ersten Weinreben kamen einst mit Kolumbus auf die Inseln, und wegen der abgeschiedenen Lage konnten sich Rebsorten entwickeln, die kongenial an Klima und Böden der Inseln angepasst sind. Weil die Temperaturen in Vilaflor zwischen Tag und Nacht um fast zehn Grad schwanken, werden die Weine sehr aromatisch.

"Der Höhenflug der Inselweine begann vor etwa zehn Jahren, parallel zur Entwicklung in der Gastronomie", sagt Victor Riego Muñoz, der als Sommelier im Restaurant Kabuki des Ritz-Carlton Abama Resort über einen der besten Weinkeller der Kanaren herrscht. "Mit ihrer Mineralität, ihrer Salzigkeit und Frische sind sie perfekte Speisenbegleiter." Das Kabuki ist verblüffender Beleg dafür, wie sehr sich die kulinarischen Maßstäbe auf der Insel gewandelt haben: ein japanisches Restaurant, das man mit seinem coolen, in Anthrazit und Schwarz gehaltenen Design, seiner kundigen Sake-Auswahl und seinem Michelin-Stern ohne Weiteres in New York oder London lokalisieren würde, aber nicht im äußersten Süden der Kanareninsel.

Japanische Küche mit höchstem Anspruch hier, unweit der Strände von Playa de las Américas oder Los Cristianos, an denen weißhäutige Mitteleuropäer nach Urlaubsbräune gieren? Tatsächlich war das Ritz-Carlton Abama, ein großzügig angelegtes Resort, so etwas wie der Motor der gastronomischen Entwicklung der Insel. Hier erkannte man früh die Bedeutung, die gehobene Küche heute für anspruchsvolle Feriengäste hat, und holte sich nicht nur das Know-how der japanischen Kabuki-Gruppe, sondern auch den baskischen Spitzenkoch Martin Berasategui ins Haus, der das mit zwei Sternen ausgezeichnete "M. B." führt. So glänzten schon vor Jahren über dem Ritz-Carlton die ersten Sterne, sie inspirierten junge Köche überall auf der Insel, ebenfalls einen innovativen Stil zu wagen. Längst tragen nicht nur Kabuki und M. B. Michelin-Ehren, sondern auch kleine Restaurants wie das Nub in La Laguna, das Kazan in Santa Cruz und eben das El Rincón de Juan Carlos in Los Gigantes.

Auch kleine Restaurants werden hier inzwischen von Michelin ausgezeichnet

Hinter der lang gezogenen Sushi-Theke des Kabuki schneidet Küchenchef David Rivero Piedra ein Stück Thunfisch in hauchdünne Scheiben. Das Messer ist so scharf, dass man damit die sprichwörtlichen Haare spalten könnte. Er hat es in Tokio gekauft, auf dem Tsukiji-Fischmarkt, bei seinem ersten Besuch dort vor sieben Jahren, er war 24 und sofort infiziert: "So gut habe ich noch nirgendwo gegessen." Seither fliegt Rivero Piedra, geboren auf Gran Canaria, einmal im Jahr in sein Gelobtes Land. Die Inspirationen bringt er mit zurück auf diese Insel vor der Küste Afrikas, wo er bei lokalen Fischern Meeresfrüchte und Fisch in einer Qualität und Frische kaufen kann, die jeden Japaner begeistern würde. Riesengarnele serviert er roh mit Sushi-Reis wie in Tokio, aber mit einem hispanischen Dreh: Aus dem Corail und dem Kopf, den man in der spanischen Küche wegen seiner intensiven Aromen schätzt, kocht er eine Sauce, die er zur Garnele serviert. Eine sehr persönliche Kreuzung aus japanischem Sashimi und spanischer Paella - typisch für das neue kulinarische Selbstbewusstsein der jungen kanarischen Köche.

Reiseinformationen

Anreise: Norwegian fliegt täglich von mehreren deutschen Flughäfen nach Teneriffa, z.B. ab München ab 159 Euro, www.norwegian.com

Übernachtung: Royal Hideaway Corales Resort, neues Resort an der Costa Adeje, DZ ab 302 Euro inkl. F., www.barcelo.com. Ritz-Carlton Abama: weitläufige Anlage an der Südküste mit acht Restaurants, DZ ab 265 Euro inkl.F., www.ritzcarlton.com

Restaurants: www.barcelo.com; www.elrincondejuancarlos.com; Kabuki und M.B.: www.ritzcarlton.com

Weingüter: Die Weine der Önologin Loles Pérez Martin zählen zu den besten Teneriffas, www.suertesdelmarques.com; Altos de Trevejos: Malerischstes Weingut mit Fokus auf heimische Rebsorten, www.altosdetrevejos.com

Weitere Auskünfte: www.webtenerife.de

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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SZ vom 04.04.2019/edi
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