Die Besucher rückten mit Notizblöcken und Kameras an. Verharrten vor dem Ensemble orientalischer Kupferlampen in der Lobby, beäugten den Infinity-Pool, der nahtlos in den weißen Stadtstrand vor Sansibars Altstadt überzugehen scheint: "Wir lassen gerne Touristen herein, die sich umsehen wollen", kommentierte generös der Generalmanager des neuen Luxushotels Park Hyatt den Auftritt des Grüppchens im Februar. Doch Gary Friend lag falsch: Es waren keine neugierigen Urlauber, die den erst im vergangenen Jahr eröffneten Hotelkomplex an der Uferfront von Stone Town anschauen wollten, es war eine zwölfköpfige Inspektionsgruppe der Unesco.
Für das Hyatt wie für den aufstrebenden Ferienort steht einiges auf dem Spiel: Dem Hotel droht schlimmstenfalls ein Teilabriss, der schönen Gewürzinsel mit ihrer fast tausendjährigen Altstadt sogar der Entzug des Welterbe-Status, der Sansibar im Jahr 2000 verliehen wurde. Ein solcher Rausschmiss ist in der 44-jährigen Geschichte der globalen Schutzliste bisher überhaupt nur zwei Wackelkandidaten passiert: 2009 unter viel Getöse der Stadt Dresden, weil die allen Mahnungen zum Trotz eine moderne Brücke durch ihr naturgeschütztes Elbtal bauen ließ, und zwei Jahre zuvor Oman, das einen Wildpark für die seltenen Oryx-Antilopen ausradierte.
Was in Sansibar schiefläuft, sieht der Tourist, sobald er sich aus seiner Hotelanlage von einem der Traumstrände auf den Weg nach Stone Town macht. Auf Steinbänken, barazas genannt, verkaufen Händler Mangos und Kokosnüsse. Es duftet nach Gewürznelken, Zimt und Sandelholz. Doch in dem Gassengewirr, mit Hunderten Händlern eigentlich wie geschaffen für einen Urlaubsbummel, stolpert der Passant durch Schlaglöcher, Elektrokabel hängen in wirren Knäueln an abblätternden Hausfronten. Dabei ist diese Altstadt, an deren bröckelnden Fassaden der türkisblaue Indische Ozean leckt, sozusagen der "Unique Selling Point" Sansibars: Zentrum der Swahili-Kultur, wie sie sich seit dem neunten Jahrhundert an der Küste Ostafrikas geformt hat.
Die historische Multikulti-Stadt mitten im Meer unterscheidet Sansibar von der Schwesterinsel Mauritius, von den Malediven und den Seychellen, die hauptsächlich aus Touristen-Resorts bestehen. In Shangani, schon zu Zeiten Queen Victorias der europäische Teil der Altstadt Sansibars, stützen Holzpfeiler notdürftig das ehemalige Haus des berüchtigten Sklavenhändlers Tippu-Tip. Ein idealer Platz für ein Sklaven-Gedenkmuseum. Es zu errichten, fordern engagierte Einheimische seit Jahren - inzwischen ist das verrottete Gebäude einsturzgefährdet.
Zu gerne würde der Besucher nun die Hauptsehenswürdigkeit der Insel, das von riesigen Balkonen umrundete dreistöckige Beit al Ajaib, auch "Haus der Wunder" genannt, besuchen, doch auf einer Kanonenkugel sitzt nur ein arbeitsloser Tourguide und warnt: "Geschlossen!" Die rechte Balkonseite des 1883 erbauten Sultanspalastes - des ersten Hauses mit Elektrizität südlich der Sahara - ist kürzlich eingestürzt. Urlaubern im baufälligen Museum drohte die Gefahr, unter den Mauern begraben zu werden. Das Gebäude musste gesperrt werden.
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Mit Sansibar stehen heute 1031 Stätten in 163 Ländern auf der Welterbe-Liste, einer Art amtlich geprüfter Fortsetzung der früheren Weltwunder - von der Serengeti bis zu den Pyramiden, von der Rokoko-Wieskirche in Bayern bis zur Hamburger Speicherstadt, dem jüngsten Neuzugang. Begehrter denn je scheint das Gütesiegel der Unesco zu sein, der Unterorganisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur: 1600 Anwärter, von den Regierungen vorgeschlagen, stehen auf der Warteliste. Das Welterbe-Label bringt Ansehen und Touristen. "Sein Verlust käme für die meisten Länder einem Gesichtsverlust gleich", sagt die Direktorin des Welterbe-Zentrums in Paris, die deutsche Wissenschaftlerin Mechtild Rössler.
"Eine Toilette war schuld", sagt der Konservator. Aber viele in der Stadt wissen es besser
Die Ansprüche sind gestiegen, weil das Bewusstsein für Umweltschutz und der Kulturtourismus zugenommen haben. Seit 2015 fällt die Zerstörung von Kulturgütern laut UN-Beschluss unter Kriegsverbrechen. "Vom nachhaltigen Tourismus profitieren alle, die Urlauber, die Natur- und Kulturgüter und die Orte, an denen sie liegen", betont Direktorin Rössler. Und wenn einer nicht mitmacht? Sündenbock Dresden behauptet trotzig, die "bedauerliche" Aberkennung des Welterbe-Status habe "keine offensichtlichen Auswirkungen auf den Tourismus" gehabt, so Dresdens Marketing-Chefin Bettina Bunge. Unesco-Sprecherin Katja Römer hält dagegen: "Vor allem unbekannteren Stätten nutzt die Mitgliedschaft in illustrer Welterbe-Runde. Wenn sich das Kloster Lorsch in Hessen plötzlich in einem Netzwerk mit Klöstern in Asien wiederfindet, beflügelt das den Tourismus enorm."
Auch bei Sansibar ist es so. Kein Reiseführer, der nicht die Unesco-Auszeichnung erwähnt. Momentan steigen die Touristenzahlen, manchen gilt Sansibar bereits als das neue Bali: Der teilautonome Inselstaat hat Traumstrände und Szene-Faktor. Aber die Märcheninsel kränkelt, und das weiß keiner besser, als Issa S. Makarani, Sansibars oberster Denkmalschützer. Der freundliche 52-Jährige mit rundem Gesicht und Schnauzbart ist seit 19 Jahren Direktor der Stone Town Conservation und Development Authority (STCDA). Alles, was passiert, und alles, das nicht passiert in der Altstadt, geht über seinen Schreibtisch in den früheren Haremsgemächern von Sultan Bargash. An seiner Pinnwand: Postkarten mit Altertümern aus Rhodos, Sevilla, Jerusalem. Kein Zweifel: Die Schönheit der Welt liegt dem Architekten, der in London und Italien studiert hat, am Herzen. Warum hat er nicht eingegriffen, als vor seinen Augen das Wahrzeichen Sansibars, der "Wunder"-Palast, zerfiel?