Ostafrika:Krach in Sansibars Haus der Wunder

Lesezeit: 6 Min.

Mitten in Stone Town. (Foto: Thomas Mukoya/Reuters)

Bröckelnde Fassaden, herabstürzende Balkone: Sansibars Altstadt hat lange vom Flair des Verfalls gelebt. Nun setzt die Unesco ein Ultimatum für den Erhalt des Weltkulturerbes.

Von Andrea Tapper

Die Besucher rückten mit Notizblöcken und Kameras an. Verharrten vor dem Ensemble orientalischer Kupferlampen in der Lobby, beäugten den Infinity-Pool, der nahtlos in den weißen Stadtstrand vor Sansibars Altstadt überzugehen scheint: "Wir lassen gerne Touristen herein, die sich umsehen wollen", kommentierte generös der Generalmanager des neuen Luxushotels Park Hyatt den Auftritt des Grüppchens im Februar. Doch Gary Friend lag falsch: Es waren keine neugierigen Urlauber, die den erst im vergangenen Jahr eröffneten Hotelkomplex an der Uferfront von Stone Town anschauen wollten, es war eine zwölfköpfige Inspektionsgruppe der Unesco.

Für das Hyatt wie für den aufstrebenden Ferienort steht einiges auf dem Spiel: Dem Hotel droht schlimmstenfalls ein Teilabriss, der schönen Gewürzinsel mit ihrer fast tausendjährigen Altstadt sogar der Entzug des Welterbe-Status, der Sansibar im Jahr 2000 verliehen wurde. Ein solcher Rausschmiss ist in der 44-jährigen Geschichte der globalen Schutzliste bisher überhaupt nur zwei Wackelkandidaten passiert: 2009 unter viel Getöse der Stadt Dresden, weil die allen Mahnungen zum Trotz eine moderne Brücke durch ihr naturgeschütztes Elbtal bauen ließ, und zwei Jahre zuvor Oman, das einen Wildpark für die seltenen Oryx-Antilopen ausradierte.

Ostafrika
:Sansibars Stone Town bröckelt

Sieht malerisch aus, ist aber oft einfach nur miserabel instand gehalten: Bilder aus Sansibars berühmter Altstadt.

Was in Sansibar schiefläuft, sieht der Tourist, sobald er sich aus seiner Hotelanlage von einem der Traumstrände auf den Weg nach Stone Town macht. Auf Steinbänken, barazas genannt, verkaufen Händler Mangos und Kokosnüsse. Es duftet nach Gewürznelken, Zimt und Sandelholz. Doch in dem Gassengewirr, mit Hunderten Händlern eigentlich wie geschaffen für einen Urlaubsbummel, stolpert der Passant durch Schlaglöcher, Elektrokabel hängen in wirren Knäueln an abblätternden Hausfronten. Dabei ist diese Altstadt, an deren bröckelnden Fassaden der türkisblaue Indische Ozean leckt, sozusagen der "Unique Selling Point" Sansibars: Zentrum der Swahili-Kultur, wie sie sich seit dem neunten Jahrhundert an der Küste Ostafrikas geformt hat.

Die historische Multikulti-Stadt mitten im Meer unterscheidet Sansibar von der Schwesterinsel Mauritius, von den Malediven und den Seychellen, die hauptsächlich aus Touristen-Resorts bestehen. In Shangani, schon zu Zeiten Queen Victorias der europäische Teil der Altstadt Sansibars, stützen Holzpfeiler notdürftig das ehemalige Haus des berüchtigten Sklavenhändlers Tippu-Tip. Ein idealer Platz für ein Sklaven-Gedenkmuseum. Es zu errichten, fordern engagierte Einheimische seit Jahren - inzwischen ist das verrottete Gebäude einsturzgefährdet.

Zu gerne würde der Besucher nun die Hauptsehenswürdigkeit der Insel, das von riesigen Balkonen umrundete dreistöckige Beit al Ajaib, auch "Haus der Wunder" genannt, besuchen, doch auf einer Kanonenkugel sitzt nur ein arbeitsloser Tourguide und warnt: "Geschlossen!" Die rechte Balkonseite des 1883 erbauten Sultanspalastes - des ersten Hauses mit Elektrizität südlich der Sahara - ist kürzlich eingestürzt. Urlaubern im baufälligen Museum drohte die Gefahr, unter den Mauern begraben zu werden. Das Gebäude musste gesperrt werden.

SZ-Karte (Foto: sz)

Mit Sansibar stehen heute 1031 Stätten in 163 Ländern auf der Welterbe-Liste, einer Art amtlich geprüfter Fortsetzung der früheren Weltwunder - von der Serengeti bis zu den Pyramiden, von der Rokoko-Wieskirche in Bayern bis zur Hamburger Speicherstadt, dem jüngsten Neuzugang. Begehrter denn je scheint das Gütesiegel der Unesco zu sein, der Unterorganisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur: 1600 Anwärter, von den Regierungen vorgeschlagen, stehen auf der Warteliste. Das Welterbe-Label bringt Ansehen und Touristen. "Sein Verlust käme für die meisten Länder einem Gesichtsverlust gleich", sagt die Direktorin des Welterbe-Zentrums in Paris, die deutsche Wissenschaftlerin Mechtild Rössler.

"Eine Toilette war schuld", sagt der Konservator. Aber viele in der Stadt wissen es besser

Die Ansprüche sind gestiegen, weil das Bewusstsein für Umweltschutz und der Kulturtourismus zugenommen haben. Seit 2015 fällt die Zerstörung von Kulturgütern laut UN-Beschluss unter Kriegsverbrechen. "Vom nachhaltigen Tourismus profitieren alle, die Urlauber, die Natur- und Kulturgüter und die Orte, an denen sie liegen", betont Direktorin Rössler. Und wenn einer nicht mitmacht? Sündenbock Dresden behauptet trotzig, die "bedauerliche" Aberkennung des Welterbe-Status habe "keine offensichtlichen Auswirkungen auf den Tourismus" gehabt, so Dresdens Marketing-Chefin Bettina Bunge. Unesco-Sprecherin Katja Römer hält dagegen: "Vor allem unbekannteren Stätten nutzt die Mitgliedschaft in illustrer Welterbe-Runde. Wenn sich das Kloster Lorsch in Hessen plötzlich in einem Netzwerk mit Klöstern in Asien wiederfindet, beflügelt das den Tourismus enorm."

Auch bei Sansibar ist es so. Kein Reiseführer, der nicht die Unesco-Auszeichnung erwähnt. Momentan steigen die Touristenzahlen, manchen gilt Sansibar bereits als das neue Bali: Der teilautonome Inselstaat hat Traumstrände und Szene-Faktor. Aber die Märcheninsel kränkelt, und das weiß keiner besser, als Issa S. Makarani, Sansibars oberster Denkmalschützer. Der freundliche 52-Jährige mit rundem Gesicht und Schnauzbart ist seit 19 Jahren Direktor der Stone Town Conservation und Development Authority (STCDA). Alles, was passiert, und alles, das nicht passiert in der Altstadt, geht über seinen Schreibtisch in den früheren Haremsgemächern von Sultan Bargash. An seiner Pinnwand: Postkarten mit Altertümern aus Rhodos, Sevilla, Jerusalem. Kein Zweifel: Die Schönheit der Welt liegt dem Architekten, der in London und Italien studiert hat, am Herzen. Warum hat er nicht eingegriffen, als vor seinen Augen das Wahrzeichen Sansibars, der "Wunder"-Palast, zerfiel?

"Eine Toilette war schuld", sagt Makarani und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, "die war undicht und hat die alte Bausubstanz angegriffen." Was er nicht sagt, aber auf Sansibar jeder weiß: Die Verwahrlosung der Altstadt ist auch ein politisches Erbe. Das muslimische Sansibar, das aussieht wie Marrakesch auf Sylt mit einer Prise Kuba, wurde 1964 durch einen blutigen sozialistischen Coup mit dem damaligen Tanganjika zwangsvereinigt, die Altstadt vergesellschaftet. Die Rechnung ging in Sansibar ebenso wenig auf wie in Fidel Castros Reich. Zwanzig Jahre lang war es sogar verboten, Stone Town zu fotografieren. Nichts sollte an die verhasste Sultans-Herrschaft erinnern.

Ironischerweise tritt jetzt Oman, 200 Jahre Herrscher über Sansibar, als Sponsor auf, will die Sanierung des "Hauses der Wunder" übernehmen. Eine Sorge weniger auf Stadtkonservator Makaranis Schreibtisch, doch keine Genugtuung für die Unesco-Wächter, die auf Sansibar vieles für faul halten. In einem drastischen 15-Punkte-Ultimatum, im Sommer vergangenen Jahres in Bonn verabschiedet, fordern sie die Regierung zu einem "effektiveren Management" ihrer maroden Altstadtschätze auf, beklagen den "Verfall fast aller Gebäude" und den "armseligen Gesamtzustand".

Der Hyatt-Neubau, der 40 Millionen Dollar gekostet hat, stieß den Kontrolleuren besonders auf: Er sei "zwei Stockwerke höher als vereinbart", sei- ne "Ausdehnung auf den öffentlichen Strand" habe einen "erheblichen negativen Effekt auf die Silhouette und die herausragende universelle Bedeutung" der exotischen Gewürzinsel. Dabei ist das elegante 67-Zimmer-Anwesen durchaus kein gesichtsloser Betonkoloss, sondern dem lokalen Baustil zumindest nachempfunden. Allerdings: In das Hotel wurde ein denkmalgeschütztes Strandanwesen namens Mambo Msige integriert, ein ehemaliges koloniales Standesamt, in dem schon Entdecker David Livingstone Zuflucht fand. Rettung oder Bausünde? Der Hyatt-Konzern antwortet nicht auf entsprechende Interview-Anfragen.

Über das Schicksal Sansibars - samt Hotel - soll bei der nächsten jährlichen Sitzung der Welterbe-Kommission im Juli in Istanbul entschieden werden. Zunächst droht der Eintrag in die Rote Liste der gefährdeten Kulturgüter. "Wir waren schlechte Manager", räumte Konservator Makarani im März zerknirscht ein und bat um Gnade. Doch egal, wie das Verfahren diesmal ausgeht, Sansibar wird nachjustieren müssen - ein Paradebeispiel dafür, wie weit der schützende Arm der Unesco reicht. Wäre sogar ein Teilabriss des beanstandeten Hotels denkbar? "Das hat es schon gegeben", sagt Welterbe-Chefin Rössler. In Wien waren bereits 67 Millionen Euro für eine Bahnhofsüberbauung mit Hochhäusern ausgegeben worden, als die Unesco mit ihrer Intervention 2002 das Vorhaben stoppte. An der Amalfi-Küste musste ein ganzes Hotel verschwinden.

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"Für uns wäre es schrecklich, den Unesco-Status zu verlieren", sagen Altstadt-Hoteliers in Sansibar, die sich auf private Restaurierungen verlegt haben. Der vor zwei Jahren verstorbene Insel-Pionier Emerson Skeens wandelte zwei Paläste vorbildlich in viel besuchte Boutique-Hotels um. In seinem Penthouse-Restaurant Hurumzi musiziert der einheimische Musiker Matona mit Blick auf die Wellblech-Sinfonie der Altstadtdächer. Oberhalb der Alten Post, auf deren Treppenstufen Prinzessin Margaret 1954 eine Truppenparade abnahm, eröffnete ein spanischer Gastronom eine Tapas-Bar, mit Gefühl für die alte Bausubstanz. Vielen Besuchern gefällt, wie auf Kuba, der morbide Charme Sansibars. "Das Schwierigste ist, Architekten und Handwerker zu finden, die unsere historischen Häuser nicht ruinieren", sagt Emerson-Hotelchefin Len Hörlin.

Öffentliche Förderung wäre willkommen, doch Konservator Makarani sagt: "Wir haben praktisch null Geld." Über leere Kassen klagt auch das Welterbe-Hauptquartier seit Jahren. Direktorin Rössler bestätigt: "Kommt ein Ort auf die Rote Liste, finden sich eher internationale Sponsoren." So war es auch bei ihrem aktuellen Sorgenkind, Palmyra in Syrien: Die Unesco stellte das Gebiet unter Satellitenbeobachtung und brachte viele Altertümer in Sicherheit. Insgesamt gibt es momentan 48 gefährdete Orte, die meisten in Krisenherden von Afghanistan bis Jemen.

An Sansibar haben sich selbst internationale Geldgeber schon die Zähne ausgebissen. Mit EU-Hilfe erhielt die anglikanische Kirche, 1873 auf dem Fundament eines Sklavenmarktes erbaut, kürzlich ein neues Dach; die Aga-Kahn-Stiftung zog sich nach der Renovierung des bei Touristen beliebten Nachtmarktes Forodhani entnervt zurück. Experten wie der renommierte Architekt und ehemalige deutsche Honorarkonsul Erich F. Meffert benennen die tieferen Ursachen für die Misere Sansibars: "Ignoranz, Arroganz, Inkompetenz und Korruption sind fleißig am Werke, das architektonische Erbe Sansibars zu unterminieren und am Ende zu zerstören."

Es ist heiß auf Sansibar, und durch die schattigen Gassen schlendert Fremdenverführer Said el-Gheithy mit einem Urlaubergrüppchen auf den Spuren der 1866 mit einem hanseatischen Kaufmann durchgebrannten Sultanstocher Salme. Said, der in Garmisch Deutsch gelernt hat, ist ein kundiger Führer, keiner, der nur Jahreszahlen herunterleiert, sondern sogar die Ex-DDR-Botschaft zeigt, eine gespenstische Villa, auf der eine Abhörantenne vom Kalten Krieg in Afrika kündet. Nur eines versteht auch der vielgereiste Patriot nicht: "So alt sind unsere Gebäude doch gar nicht. In Europa gibt es viel ältere. Was ist so schwer daran, sie zu erhalten?"

Von der Autorin zuletzt erschienen: "From Sansibar with Love". Orell Füssli Verlag, Zürich 2015. 272 Seiten, 16,95 Euro.

© SZ vom 09.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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