Kolumne: Hin und weg:Rädchen im Getriebe

Kolumne: Hin und weg: Spritpreise an einer Tankstelle in Nordrhein-Westfalen vor einigen Tagen: War schon mal teurer, das Benzin, aber vor langer Zeit auch günstiger.

Spritpreise an einer Tankstelle in Nordrhein-Westfalen vor einigen Tagen: War schon mal teurer, das Benzin, aber vor langer Zeit auch günstiger.

(Foto: Lino Mirgeler/dpa)

Klammheimlich werden die Preistafeln für Sprit an vielen Autobahnraststätten abgebaut. Woran das wohl liegt?

Glosse von Joachim Becker

Das Jahr geht zu Ende. Lasset uns innehalten und der verblichenen Preistafeln über den Autobahn-Tankstellen gedenken. Dieser großen Wahrzeichen des gesellschaftlichen Fortschritts, die uns über viele Jahre in den Urlaub begleitet haben. Okay, der Sprit war immer teurer als zu Hause, aber unsere Lust auf ferne Strände konnte das nicht bremsen. Nun werden immer mehr dieser emotionalen Wegmarken abmontiert und in bescheidenerer Form an den Zapfstellen angebracht. Womöglich, weil sie zu viele Unfälle verursachen. Gebannt, ungläubig und fassungslos starren die Autofahrer viel zu lange auf diese Riesenschilder. Und peng: Schon hat's gekracht. Nur weil sich die Spritpreise quasi über Nacht fast verdoppelt hatten.

Kurz zur Erinnerung - und zum Augenreiben: Vor gar nicht so langer Zeit war der Verbrenner-Fusel selbst an der Autobahn spottbillig. Die erste Corona-Welle war wie ein Unwetter über die Öltanker hinweggerollt. Sie dümpelten eine Zeit lang herum, bis ihre schwarze Suppe wieder etwas wert war. Entsprechend wurden auch die Preistafeln an den Tankstellen zu einem übermannsgroßen Fingerzeig: Steigen oder fallen die Kurse, lautete die bange Frage aller vorübereilenden Autofahrer. Wer wusste schon, dass er oder sie sich mit dem Kauf eines Fahrzeugs in einer Wettgemeinschaft eingeschrieben hatte: Erst im Nachhinein war klar, ob man zu den Gewinnern oder Verlierern gehörte.

Das ist natürlich grob vereinfacht. Aber spätestens an der Tankstelle begreift der wenig energieautarke Mensch, dass er ein sehr kleines Rädchen in einem sehr großen Getriebe ist. Und dass die Politiker, die sich gerne als Verbraucherschützer gerieren, auch keinen verlässlichen Plan haben. Erst verkaufen sie einem zwei Dekaden lang den Diesel als Universaltinktur gegen hohe Energiekosten. Nur um dann einzuräumen, dass viele der teuren Hightech-Stinker leider nicht mehr in die Städte fahren dürfen - und dadurch leider, leider nahezu wertlos werden. Der so geschützte Verbraucher hat den Schaden, weil der Sparantrieb unterm Strich viel teurer war als der lustige Sechszylinder-Benziner, den er viel lieber gekauft hätte.

Derart geläutert stürzen wir uns nun auf die E-Mobilität, weil sie noch viel mehr Energie spart - und weil Diesel zwischenzeitlich sauteuer war. Aber auch die Tankstellenbesitzer und Netzbetreiber haben dazugelernt: An den frisch installierten Schnellladesäulen gibt es überhaupt keine himmelstürmenden Preistafeln mehr, und auf den Mini-Displays kann man sowieso fast nichts erkennen. Umso besser, sonst würde man sich vielleicht an den himmelstürmenden Strompreisen stören. Die haben sich nun auch wieder (mehr als) verdoppelt, was den Betrieb von Wärmepumpen, Elektroautos und anderen Hochtechnologien zu was macht? Natürlich zu einer Wette auf die Zukunft. Ausgang ungewiss.

Und was ist mit der Stromrechnung?

Aber schließlich wird alles gut: "Weltweit sind die Menschen noch optimistischer im Hinblick auf Technologie und setzen noch mehr Vertrauen in sie als im vergangenen Jahr", jubelt der neue Bosch-Technik-Kompass. Drei Viertel der Befragten in Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien und den USA glauben, dass Technologie die Welt zu einem besseren Ort macht. Gut zu wissen, nicht alle Glaubensbekenntnisse können solche Bekennerzahlen vorweisen. Nur: Was hilft das dem Einzelnen, der gerade seinen alten Diesel abgestoßen hat und nun die Spritpreise wieder fallen sieht - während er auf eine saftige Stromrechnung wartet?

Das sind zweifellos Einzelschicksale. Und die Fortschrittsgläubigen leiden ja für eine gute Sache: Womöglich dafür, dass die Energie aus Wind und Sonne jetzt rasend schnell ausgebaut und damit billiger wird. Wer weiß? Vielleicht sollte man an den Fortschritt glauben - und gar nichts tun. Einfach abwarten, Tee trinken und mal eine Runde bei diesem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel aussetzen.

Kolumne: Hin und weg: Joachim Becker fährt seit fast 20 Jahren Elektro-Testwagen. Privat hat er es mit einem Kauf nicht so eilig.

Joachim Becker fährt seit fast 20 Jahren Elektro-Testwagen. Privat hat er es mit einem Kauf nicht so eilig.

(Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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