Süddeutsche Zeitung

Sydney und Canberra:Die ungleichen Schwestern

Verschiedener könnten sie nicht sein: Canberra, die richtige Hauptstadt Australiens und Sydney, die heimlich Kapitale.

Gerhard Fischer

Das Beste an Canberra ist Lew Griffith, ein großer, schwerer Mann mit rosigen Wangen und spitzen Cowboystiefeln. Griffith, der für das Außenministerium arbeitet, betreut ausländische Journalisten. Gibt es Probleme, ist Lew Griffith da, auch wenn es nur ein Schnupfen ist, den ein Journalist aus Deutschland mitgebracht hat. "Wir holen ein Medikament aus der Apotheke", sagt er. "No problem." Griffith sieht aus, als hätte er nie Probleme mit Problemen.

Sein Auto steht in der Tiefgarage des Hotels. Es ist tiefer gelegt. Röhrend rast Griffith aus der Tiefgarage. Vor dem Hotel fährt er sehr schnell an, stoppt, fährt wieder schnell an, rast steil in die Kurven. Der Wagen schaukelt. Der Fahrgast wird grün im Gesicht. Griffith lächelt, haut ihm mit der riesigen Pranke auf die Schulter und sagt: "No problem."

Es ist Samstagabend. Welche Apotheke Nachtdienst hat, ist nicht sofort zu klären. Deshalb fährt Griffith quer durch Canberra, mal nach Süden, dann nach Westen, schließlich rein ins Regierungsviertel. Nachdem er die Apotheke gefunden und das Medikament gekauft hat, setzt er die touristische Rundreise trotzdem fort.

Griffith wohnt auf einer Farm etwas außerhalb, aber er mag Canberra, und er will, dass die Stadt auch seinem Fahrgast gefällt. Aber Canberra ist nicht schön. Es ist eine künstliche Stadt, keine gewachsene; die Straßen sind mit dem Lineal gezogen. All das hat mit der Geschichte dieser Stadt zu tun.

Am 1. Januar 1901 schlossen sich sechs britische Kolonien auf dem fünften Kontinent zum Australischen Bund zusammen; Australien war geboren, nur eine Hauptstadt wurde noch benötigt. Melbourne? Sydney? Beide wollten, Melbourne gönnte es Sydney nicht, Sydney gönnte es Melbourne nicht.

Nach langwierigen Verhandlungen entschied sich das Parlament im Oktober 1908 für einen Kompromiss: für Canberra. Der Name Canberra kommt aus der Sprache der Ureinwohner, er bedeutet "Treffpunkt".

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es allerdings keine Aborigines mehr in der Region Canberra - zu dieser Zeit lebten in dem 2358 Quadratkilometer großen Gebiet 1714 Menschen, allesamt europäische Einwanderer, 8400 Rinder und 225.000 Schafe.

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Der amerikanische Architekt Walter Burley Griffin wurde damit beauftragt, eine neue Stadt zu entwerfen, die Bauarbeiten begannen 1913, den Status als Hauptstadt bekam Canberra am 9. Mai 1927.Bis zum Zweiten Weltkrieg blieb Canberra eine ländlich geprägte Kleinstadt, Architekt Griffin hatte viele naturbelassene Flächen eingestreut. Als der US-General Douglas MacArthur während des Krieges die australischen Regierung besuchte, staunte er: Neben dem Parlament grasten Kühe.

In den Nachkriegsjahren wuchs die Stadt dann allerdings an. 1967 beschloss die National Capital Development Commission einen neuen Bebauungsplan, den "Y-Plan". Nun dominieren Einkaufs- und Gewerbezonen, die durch Schnellstraßen miteinander verbunden sind. Die Anordnung dieser Zentren ähnelt der Form des Buchstabens Y. Heute hat Canberra 333.000 Einwohner.

Sehenswürdigkeiten? Findet man hauptsächlich in den beiden ältesten Stadtteilen South Canberra und North Canberra sowie entlang des Lake Burley Griffin, der nach dem Architekten benannt ist. Östlich von City Centre, am Fuße des Mount Ainslie, befindet sich der sogenannte zeremonielle Bereich der Stadt.

Die ANZAC Parade ist eine breite, von mehreren Denkmälern gesäumte Prachtstraße. An dieser Straße stehen die St. John the Baptist Church, die älteste Kirche der Stadt, sowie das Australian War Memorial, das nationale Kriegerdenkmal.

Die Bevölkerung Canberras ist jung und gut ausgebildet. Das Durchschnittsalter beträgt 32 Jahre, nur 8,3 Prozent der Einwohner sind älter als 65 Jahre. Bei einer Erhebung im Jahr 2004 hatten 30 Prozent der 15- bis 64-jährigen einen Schulabschluss, der mindestens einem Bachelor entspricht, was weit höher ist als der Landesdurchschnitt von 19 Prozent. Die vielen jungen Menschen sind aber, so scheint es, vor allem zum Arbeiten in Canberra - es werden T-Shirts und Ansichtskarten verkauft, die das Nachtleben der Hauptstadt als kleines schwarzes Loch darstellen.

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Sydney ist bunt, das Meer ist nah, das Opera House ist schön, die Leute sind offen, der Caffè Latte ist gut, und die Frau im Café begrüßt einen schon nach zwei Tagen wie einen alten Bekannten. Port Jackson, der Hafen von Sydney, ist der größte Naturhafen der Welt - mit einer Fläche von 50 Quadratkilometern und 19 Kilometern Länge.

Auf dem Stadtgebiet befinden sich mehr als 70 verschiedene Strände, darunter die weltbekannten und besonders bei Surfern beliebten Bondi Beach und Manly Beach. Gut, wenn man zum Bondi Beach kommt, ist man zunächst ein bisschen enttäuscht; er wirkt so klein. Aber wenn man dann mit Surfern spricht, die einem sagen, dass das Wasser und der Wind so toll sind, und der Sonnenauf- und Untergang und die Stimmung sowieso, und dieses und jenes, was man nicht auf den ersten Blick sieht, dann glaubt man es: Bondi Beach ist etwas Besonderes.

Sydney ist mit 3,87 Millionen Einwohnern die größte Stadt Australiens; bereits vor knapp 100 Jahren lebten dort mehr als eine Million Menschen. In den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden, befeuert durch einen wirtschaftlichen Aufschwung, im Central Business District zwischen den alten viktorianischen Gebäuden zahlreiche Hochhäuser. Das muss man nicht schön finden. Die viktorianischen Gebäude - etwa das Parliament House, das zwischen 1811 und 1816 gebaut wurde, und die St. James Kirche von 1819 - werden ein bisschen erdrückt.

Das Opera House ist dem Entfalten einer Orange nachempfunden - sagte sein Erbauer Jørn Utzon. Die meisten empfinden das Opera House eher als muschelförmig. In jedem Fall ist es das Wahrzeichen Sydneys. Das Gebäude umfasst eine Konzerthalle, einen Opernsaal und zwei Theatersäle sowie Restaurants, Bars und ein Kino. 2007 wurde das Opernhaus, mit dessen Bau 1959 begonnen worden war, von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt.

Nach einer Volkszählung von 2006 sind 31,7 Prozent der Einwohner Sydneys außerhalb Australiens geboren, Stadtteile und Vororte sind multikulturell geprägt. Die italienischen Einwanderer und ihre Nachkommen wohnen in Leichhardt, Haberfield und Five Dock, die Griechen in Earlwood und Marrickville, die Libanesen in Lakemba und Bankstown, die Koreaner in Campsie und Strathfield, die Iren und Neuseeländer in Bondi, die Inder in Westmead und Parramatta, die Chinesen in Hurstville, Chatswood und Haymarket. Wer durch Sydneys Chinatown marschiert, wird angesprochen - von den vielen emsigen Besitzern der chinesischen Restaurants.

Sydney hat eine alternative Theaterszene. In Pubs und Nachtclubs finden Kabarett-Veranstaltungen statt, auch Komödien. Das Nachtleben ist kein schwarzes Loch.

Das Beste an Sydney? Fast alles.

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