Süddeutsche Zeitung

Reisebuch:Ist Südtirol zu voll?

Michil Costa, Hotelier im Gadertal, zieht gegen den Massentourismus in seiner Heimat zu Felde. Als Nestbeschmutzer sieht er sich dennoch nicht.

Rezension von Stefan Fischer

Darf einer, der im Glashaus sitzt, mit Steinen werfen? Aber unbedingt, darauf beharrt der Hotelier Michil Costa, der im Gadertal ein Hotel betreibt und mit dem Tourismus in seiner Heimat Südtirol trotzdem hart ins Gericht geht. "Raus aus dem Rummel!", so lautet der Titel seines Buches, das ein Plädoyer gegen touristische Fehlentwicklungen ist. Und ein Ende dieses Rummels fordert Costa vehement. Ohne jedoch eine Patentlösung zu haben, wie dem Zuviel an Tourismus in Südtirol wirksam zu begegnen sei.

Damit macht sich Costa, der gemeinsam mit seiner Familie das Hotel "La Perla" in Corvara betreibt, natürlich angreifbar. Ein Mann, der den Luxus perfektioniert in seinem Haus, das zum Verbund der "Leading Hotels of the World" gehört, mokiert sich über die Auswüchse des Massentourismus? Über Menschen also, die auch gerne in die Dolomiten reisen möchten, aber nicht eben mal 600 Euro pro Nacht für ein Doppelzimmer ausgeben und damit ein touristisches Konzept unterstützen können, in dem die Sorgsamkeit gegenüber Mitarbeiterinnen, Lieferanten und der lokalen Lebensart einen besonders hohen Stellenwert genießt. Ganz abgesehen davon, dass die Ökobilanz von luxuriösen Hotels denkbar miserabel ist aufgrund des sehr hohen Energieverbrauchs pro Gast.

Michil Costa weiß um diese Problematik. Aber delegitimiert ihn das, über Auswege aus der aktuellen Misere nachzudenken? Wohl kaum: Es ist allemal besser, die Veränderung kommt von innen. Und dass es einer Veränderung des Tourismus in Südtirol bedarf, darüber herrscht vielleicht noch keine Einigkeit in der norditalienischen Region, voran nicht in der Politik. Aber der Leidensdruck der Bewohner steigt unentwegt.

Der viele Verkehr ist längst ein immenses Problem, dazu die hohen Preise für Immobilien und - nicht zu unterschätzen - das Gefühl, in der eigenen Heimat nur noch eine Randfigur zu sein, sofern man nicht Teil des touristischen Spektakels ist.

An zweien dieser Punkte setzt Michil Costa an: Der Verlust der eigenen kulturellen Identität lasse sich verhindern, wenn man sich ihrer bewusst sei und sie seinen Gästen auch vermittle. Und auch der Verkehrskollaps sei zu verhindern. Costa verweist auf den Brenner-Basistunnel, der in etwa zehn Jahren fertiggestellt sein soll, und mahnt an, schon jetzt Anschlussverbindungen in einzelnen Südtiroler Tälern zu verwirklichen.

Zudem rechnet er vor, wie sehr der seiner Meinung nach von regionalen Tourismus-Politikern bis heute eher gering geschätzte Fahrradtourismus den Verkehr entlasten könnte - allein schon dadurch, dass die Aufenthaltsdauer dieser Urlauber nachweisbar deutlich über der durchschnittlichen Nächtigungsdauer liege; allein das senke den An- und Abreiseverkehr merklich. Wenn man den Fahrradtourismus attraktiver mache, indem man häufiger als bisher den motorisierten Individualverkehr auf den Dolomitenpässen untersage, würden sich mehrere Effekte gegenseitig verstärken: Mehr Naturschutz, weniger Lärmbelästigung, weniger Staus, mehr Respekt - es hänge schließlich vieles mit vielem zusammen.

Zentral ist bei Michil Costa das Primat der Gastfreundschaft. Von der hat er sehr genaue, sehr rigide Vorstellungen, die sich nicht ohne Weiteres auf jede Frühstückspension übertragen lassen. Aber einer seiner Gedanken ist universell anwendbar, auch wenn er radikal erscheint: "Der Gast hat keineswegs immer recht", schreibt Costa an einer Stelle. Bedeutet: Hoteliers und ihre Mitarbeiter sollten sich nicht alles gefallen lassen, sich nicht unnötig kleinmachen. Dazu gehörten Selbstbewusstsein - das freilich gedeckt sein müsse von einer Leistung, die dahinterstehe - und Aufrichtigkeit. Denn dem Gast dürfe nichts vorgegaukelt werden, so Costa. Gerne serviere er Südtiroler Speck. Aber eben echten, traditionell hergestellten, und nicht einen von Schweinen, die unter zweifelhaften Bedingungen in Ungarn gemästet würden und nur das Label tragen. Weg von einem Marketing-Image, hin zu einer gelebten Bodenständigkeit - das ist Costas Credo. Wissend, dass er selbst dem Ideal, das er postuliert, nicht in allen Punkten entspricht.

Michil Costa: Raus aus dem Rummel! Ein Plädoyer gegen die touristische Monokultur. Aus dem Italienischen von Annette Rübesamen. Raetia Verlag, Bozen 2022. 204 Seiten, 17,90 Euro.

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