Südtirol:Darf eine Berghütte so aussehen?

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Die Fassade der Schwarzensteinhütte ist aus Kupfer, eine Reminiszenz an den Abbau des Metalls im Ahrntal. (Foto: Oliver Jaist)

Drei Millionen Euro hat die neue Schwarzensteinhütte gekostet. Der nahezu autarke Bau ist spektakulär - und umstritten.

Von Helmut Luther

Am schönsten ist das Ankommen. Dass darin der tiefere Sinn des Bergsteigens liegt und nicht im Unterwegssein, zeigt sich beim Erreichen der Schwarzensteinhütte. Nach gut 1500 Höhenmetern, vier kräftezehrenden Stunden steil bergauf, vorbei an Alpenrosen, letzten Lärchen, viel Geröll und über die jämmerlichen Reste eines Gletschers, erscheint einem die Hütte wie eine rettende Insel. Als ein Sinnbild von Wärme und Geborgenheit, als Schutzhütte eben.

Am 30. Juli ist die neue Schwarzensteinhütte auf 3026 Meter im Südtiroler Teil der Zillertaler Alpen eingeweiht worden. Anwesend waren zahlreiche Prominente aus Politik und Wirtschaft, es sah nach Prestigeaktion aus. Knapp drei Millionen Euro kostete das sechsgeschossige Gebäude den Bauherrn, die Autonome Provinz Südtirol. Im Vorfeld ist viel über die Frage diskutiert worden, wie und was eine Schutzhütte heute sein soll. Eine urige Bergunterkunft mit Matratzenlager und holzvertäfelter Stube, eng und trotzdem gemütlich? Oder ein modernes Niedrigenergiegebäude, schlicht und funktional?

"Die Luft während der Vorbereitungsphase war im Tal viel dünner als auf der Baustelle oben", erklärt Helmut Stifter in seinem Büro in Pfalzen, das er zusammen mit Angelika Bachmann leitet. Das Architektenpaar hatte den Wettbewerb zur Errichtung der neuen Schwarzensteinhütte gewonnen. "Es war ein regelrechter Shitstorm, der über die Lokalpresse und die sozialen Netzwerke über uns gekommen ist", erzählt Stifter. Den Kritikern sei es um Tradition gegangen, um das angeblich zum Fenster hinausgeworfene Geld, um die Identität des ganzen Landes, die durch eine "Betonburg" im Hochgebirge ernsthaft gefährdet würde.

Dabei bestehen nur die beiden Untergeschosse aus Betonfertigteilen. Die vier restlichen Stockwerke sind aus heimischem Fichtenholz gezimmert, eingepackt in einen Schutzmantel aus Kupfer, dem Metall, das im Ahrntal, wo der Aufstieg beginnt, jahrhundertelang abgebaut wurde. Auf einem Joch zwischen dem Rotbachtal und dem Trippbachtal, hundert Höhenmeter über der alten Hütte, von der nichts übrig blieb, steht nun die neue Hütte. Der Kupfermantel ist bereits nachgedunkelt. Bald wird er Patina angesetzt haben.

Kein Zweifel, dieser überdimensionale Bergkristall will gesehen werden. Ein Neubau war nötig geworden, weil der Permafrostboden unter der etwas tiefer gelegenen alten Hütte langsam aufgetaut war. "An der Südfassade zeigten sich Risse, die Küchentür konnte nicht mehr richtig geschlossen werden, weil alles ein bisschen in Schieflage war", sagt der Hüttenwirt Günther Knapp.

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Wer erstmals den großen Gastraum betritt, bleibt mit offenem Mund stehen: Ein zwei Meter hohes, durchgehendes Fensterband durchzieht alle drei talseitig ausgerichteten Wände. Man fühlt sich wie auf der Kommandobrücke eines Ozeandampfers, nur dass man auf Dreiherrenspitze, Großvenediger und die Riesenfernergruppe zusteuert. Die Dolomiten sind im Süden zu sehen. Noch hat man sein verdientes Bier nicht ausgetrunken und sich aufgewärmt, da öffnet eine der Mitarbeiterinnen zwei Fenster, um zu lüften. "Das macht der Wärmedämmeffekt. Die Sonne heizt den Raum durch die Fenster auf, zu viel ist aber zu viel", erklärt sie. Die Gäste werden nur pro forma gefragt.

Energie ist auf einer so exponierten Hütte ein wichtiges Thema. 80 Prozent des Hüttenvolumens sind gut gedämmt und unbeheizt, alles andere würde sich nicht rechnen, so Hüttenwirt Knapp. Er führt stolz die in den beiden Kellergeschossen eingebaute Energiezentrale vor: Zwei Dutzend große, eckige Batterien, die von einer Photovoltaikanlage auf dem Dach gespeist werden. Gekocht wird mit Gas. Bei Schlechtwetterphasen springt das Dieselkraftwerk im Nebenraum für Heizung und Licht ein. Zwei Speichertanks, die 11 000 Liter fassen können, dienen dazu, Schmelzwasser in einer Aufbereitungsanlage zu entkeimen und zu mineralisieren. "Der Kaffee in der alten Hütte hat gewöhnungsbedürftig geschmeckt", sagt Knapp. Eine solche Anlage gab es dort früher nicht. Aus der alten Schwarzensteinhütte hat Günther Knapp nur das kleine Holzkreuz mit Christusfigur mitgenommen, das jetzt im Gastraum hinter der Theke hängt. "Die Erinnerungen kann mir aber keiner nehmen", sagt Knapp.

Er ist 70 Jahre alt, war Mathematiklehrer in St. Johann im Ahrntal, seinem Heimatort. Zu seiner 41. Saison auf der Schwarzensteinhütte musste er überredet werden. Wahrscheinlich wird dies sein letzter Sommer als Hüttenwirt. Warum er einen großen Teil seines Lebens auf 3000 Metern verbracht hat? "Aus Passion", sagt er. Man könne diese intensiven Momente kaum beschreiben: Die plötzliche Stille nach einem tagelangen Sturm. Der Blick hinaus nach einem Wintereinbruch mit funkelndem Neuschnee. Wenn tage-, manchmal wochenlang kein einziger Gast gekommen sei und er dem Erstbesten, der hereinstolperte, am liebsten um den Hals gefallen wäre. "Profit macht man auf einer solchen Hütte nicht. Eher im Gegenteil", sagt Knapp. 700 oder 800 Übernachtungsgäste beherbergte er auf der alten Schutzhütte pro Saison. Da war es gut, dass er sein Lehrergehalt als Polster hatte.

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(Foto: Oliver Jaist)

Auf 3026 Meter Höhe wird es nie so richtig Sommer.

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(Foto: Oliver Jaist)

Der Blick aus den Panoramafenstern lässt manch einen mit offenem Mund stehen. Ein Großteil der Hütte wärmt sich nur durch die Sonne auf.

In die Planung der neuen Hütte hat man den Hüttenwirt einbezogen. Nun steht sie auf hartem Fels, nicht mehr auf Permafrostboden. Knapp hat auch einen großen, doppelten Windfang angeregt, wo die Bergsteiger, wenn sie angeseilt und mit Steigeisen ankommen, geschützt vor Kälte und Wind die Knoten lösen und sich umziehen können. Von der Form der neuen Schutzhütte ist Knapp begeistert.

Die Schwarzensteinhütte ist neben der vor zwei Jahren eröffneten Edelrauthütte bereits der zweite moderne und kostenintensive Hüttenneubau in Südtirol. Das Tourismusland will offensichtlich auch im Hochgebirge Zeichen setzen. Kritiker sehen darin eine Verschwendung von Steuergeld, zumal auf einer so entlegenen Hütte in der kurzen Saison relativ wenig Menschen übernachten. Bauen auf 3000 Metern sei eben mit höheren Kosten verbunden, sagt Architektin Angelika Bachmann: schwierige Transportwege, Unterbringung der Arbeiter, häufige Ausfälle wegen schlechtem Wetter. Günther Knapp hingegen befürchtet, dass das neue, 2000 Kubikmeter umfassende Schutzhaus den Pächter finanziell zu sehr belasten könnte, weil die laufenden Kosten und die Hubschraubertransporte von Lebensmitteln und Abfall teuer seien.

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In den wunderbar nach frischem Holz duftenden Zimmern ist Platz für 50 Bergsteiger, die dafür auch einen angemessenen Preis zahlen. Die Wände, Betten und eine großzügig bemessene Ablage unter dem Fenster sind aus hellem, unbehandeltem Fichtenholz. "Aber was, wenn es eine schlechte Saison wird?", fragt Knapp.

Dem in rotes Kunstleder gebundenen Hüttenbuch ist zu entnehmen, dass die bisherigen Besucher das neue Schutzhaus mehrheitlich gut finden. Die meisten unternehmen von hier aus Touren auf die imposanten Gipfel von Großem Löffler, Schwarzenstein oder Großem Mörchner. Hüttenwirt Knapp will seine letzte Saison hier oben genießen, bevor er einem Jüngeren Platz macht. Allerdings sieht er ein Problem: "Nach 41 Saisons am Berg kenne ich den Sommer nicht mehr." Wie er die Hitze und die Hektik im Tal aushalten wird? Knapp legt seine Stirn in Falten: So genau habe er sich das noch nicht überlegt.

© SZ vom 09.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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