Süddeutsche Zeitung

Südsee:Ganz weit draußen

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Einige Inseln Polynesiens sind so entlegen, dass sich die Einwohner richtig über Besuch freuen. Reisende finden dort noch so manches Südseeklischee bestätigt.

Von Sven Weniger

Fakarava im Tuamotu-Archipel ist fast zu schön, um wahr zu sein. Im ersten Tageslicht brennen die Farben des Atolls in den Augen. Vor dem Sandstrand färbt sich das Wasser in der Sonne cyanblau. Ein dichtes, dunkelgrünes Palmenband liegt über den flachen Häusern. Hinter der schmalen Landbrücke beginnt schon wieder der kobaltblaue Ozean. Nun liegt dieses Idyll vor den staunenden Augen der Passagiere der L'Austral. Die Luxusyacht hat noch in der Nacht in der Lagune Anker geworfen. Mit Schlauchbooten geht es an Land. Blumenketten mit duftenden Frangipani-Blüten werden den Besuchern von den wenigen Bewohnern Fakaravas umgelegt, ein Ukulelespieler singt dazu. Es gibt Kokosmilch aus der Nuss, die Pareos der Frauen leuchten in knalligen Farben. Wenn Klischees passen, dann hier. Ein Spaziergang am Strand, Schnorcheln im Flachwasser, frische Papaya, Maniokkuchen in Taroblättern - bei den Landgängen der zwölftägigen Kreuzfahrt von Französisch-Polynesien zur Osterinsel steht stets das traditionelle Südseebild im Vordergrund, wie es vor über hundert Jahren schon Paul Gauguin malte. Ein echtes Bild noch heute, zumindest jenseits Tahitis und der Ferienresorts von Bora Bora bis Moorea.

Die winzigen Eilande der Südsee bereist man am besten mit dem Schiff: Auf Pitcairn leben die Nachfahren der Bounty-Meuterer.

Noch entlegener sind die Osterinseln mit den Moai-Statuen.

Floraler Empfang auf den Gambier-Inseln.

Die Perlenfarm auf Aukena züchtet die unvergleichlich silbrig schimmernden Tahitiperlen

Die Lebensart der französischen Kolonialherren ist auf abgelegenen Archipelen wie Tuamotu und den Gambierinseln, dem nächsten Ziel, bis heute kaum zu spüren. Die Menschen erzeugen Kopra und leben von den wenigen Touristen. Auf Mangareva haben die Bewohner eine Tanzshow in Kostümen aus Palmwedeln vorbereitet und ein Büfett voller Köstlichkeiten der Insel. Und man nimmt ihnen die Freude über den Besuch der 150 Passagiere der L'Austral gerne ab. Nur zwei Kreuzfahrtschiffe pro Jahr besuchen Mangareva, große Oceanliner können die flachen Atolle nicht anlaufen. Gegenüber, auf Aukena, liegt eine der größten Perlenzuchten. Die kühlen Meerestemperaturen knapp über dem südlichen Wendekreis geben der Perlmuttschicht den typisch silbrig changierenden Glanz. Mit flinken Händen entnehmen chinesische Arbeiter - sie sind die versiertesten in dem Handwerk und werden eigens dafür angeheuert - den Austern die Perlen. Dann kommen die Tiere für zwei weitere Jahre zurück ins Wasser und beginnen von Neuem ihre Arbeit. Als das Schiff nach fünf Tagen Abschied nimmt von Französisch-Polynesien, stehen viele Passagiere an Deck, einen der Cocktails in der Hand, die Barmann Raimanu Teamotuaitau, wie die Bordtänzerin Manu Marin von königlich-tahitianischem Geblüt, so unvergleichlich mixt. "Bist du traurig?", fragt er den wehmütig zurückblickenden Gast. Ja, aber der Weg ist hier auch das Ziel.

Durch Polynesien auf dem Schiff ist eine Seereise klassischen Stils, wie auf alten Fotos : Begüterte Paare an der Reling, das Haar weht in der Brise. Kein Island Hopping wie in der Karibik, wo Kurzvisiten im Tagestakt erledigt werden. Hier ist man mit Muße unterwegs, genießt den exquisiten Service und eine ebensolche Küche an Bord, lässt sich zwar verwöhnen, muss aber die Zeit auf See, in der weder Land noch Schiff auch nur am Horizont auftauchen, selbst gestalten - mit Sonnen, Lesen, Träumen. Es gibt Tage, an denen nichts passiert. Kein Wal wird gesichtet, kein Delfin, nicht einmal der Kondensstreifen eines Flugzeugs am Himmel. Der Trubel der Welt ist verschwunden. Ein Morgen auf dem Balkon, ein Nachmittag in der Bibliothek, abends mit Freunden dem Pianisten in der Bar lauschen. Es werden auch Vorlesungen während der Kreuzfahrt angeboten. Aber einfach nur den Wellen und dem Passatwind zuzuhören ist viel schöner. Die Balance zwischen neuen Erlebnissen und dem Loslassen von allem, das ist das Geheimnis dieser Reise.

Als Pitcairn am Horizont auftaucht, kehrt die Spannung zurück. Kapitän Jean-Philippe Lemaire hat sofort die Durchsage gemacht. Die schroffe Insel, in der Größe dem Ayers Rock und Gibraltarfelsen ähnlich, ist sagenumwoben. Sie ist Tagesreisen von allen Siedlungen menschlichen Lebens entfernt, ohne Hafen, ohne Landebahn bis heute - ein Versteck. Hier landeten 1790 Fletcher Christian und die Bounty-Meuterer auf der Flucht vor den Häschern der britischen Navy. "Viele denken, die Story sei nur ein Film mit Marlon Brando, Pitcairn reine Fiktion", lacht Simon Young. Der eloquente Engländer ist an Bord der L'Austral gekommen, um den Besuch vorzubereiten. Er vertritt Pitcairn auch in London, wenn sich dort die Vertreter der Britischen Überseegebiete treffen, der letzten Reste des Empire. Pitcairn gehört dazu. "Dabei ist sie wahr. Fast alle vierundvierzig Bewohner hier sind direkte Nachfahren der Meuterer. Meine Frau und ich waren 2007 die letzten Neusiedler."

Pitcairn wirbt um Zuzügler: "Wir brauchen Leute, die hier leben wollen. Wir sind viel zu wenige."

In wildem Wellenritt geht es am nächsten Tag in Schlauchbooten an Land. Die Vegetation erinnert an die Kanarischen Inseln, aber es regnet öfter. Zwischen Bananenstauden, Pandanusbäumen und subtropischen Blumen liegt Adamstown, benannt nach John Adams, dem letzten Überlebenden der Bounty, der mit den tahitianischen Frauen der Meuterer und deren Kindern übrig blieb. Adamstown, der einzige Ort der Insel, hat eine Adventistenkirche und ein Postamt rund um den kleinen Marktplatz. Die Bewohner bauen Gemüse an, verkaufen Souvenirs, wenn mal Kreuzfahrtreisende kommen, arbeiten in Teilzeit für die Verwaltung und bekommen Geld aus London, ohne dessen Subventionen hier Armut herrschen würde. Viele tragen den Namen Christian. Wie Andrew, stark tätowiert und gepierct. "Auch der Friedhof ist voller Verwandter", sagt der junge Mann, der, wie alle Pitcairner in der kleinen Gemeinschaft, viele Jobs hat. "Ich baue Häuser, verkaufe unseren Honig und mache die Website, mit der wir Kontakt zur Außenwelt halten." Dann lädt er zwei Passagiere in seinen Quad, um sie vom Landungssteg die steile Straße hinauf in den Ort zu fahren. Von dort kann man die Insel erwandern, zu Aussichtspunkten und der Höhle Christian's Cave, von wo aus Anführer Fletcher der Legende nach Ausschau nach Verfolgern hielt. "Wir brauchen Leute, die hier leben wollen, Familien, Kinder. Wir sind einfach zu wenige", sagt der Single noch, es klingt wie ein Appell in eigener Sache. Dann braust er los.

Drei Seetage und zweitausend Kilometer entfernt steigt die Endstation der Südseereise aus dem Pazifik: Rapa Nui, die Osterinsel. Natürlich werden hier die üblichen Verdächtigen besucht; neunhundert Moai, die über zehn Tonnen schweren Steinstatuen, sind der Grund, warum Touristen die weite Reise zu der zu Chile gehörenden Insel machen. Sie ist aber auch der südöstlichste Punkt des polynesischen Dreiecks, sozusagen die äußerste Ecke eines Kulturraums, für dessen Besiedlung die Menschen wohl etwa zweitausend Jahre brauchten. Ein Gebiet, das mit fünfzig Millionen Quadratkilometern fünfmal so groß wie der Kontinent Europa ist. Eine schier unfassbare Weite mit Abertausenden Inseln und Eilanden, von denen man kaum jemals gehört hat. Ein Lebensraum, den man auch heute noch, wie die Passagiere der L'Austral, nur auf dem Wasser entdecken kann. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern - und das ist gut so.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2016
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