Süddeutsche Zeitung

Südafrika:Verkorkte Geschichte

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Weine aus Swartland in Südafrika sind bis vor Kurzem relativ wenig beachtet worden. Nun reisen immer mehr Kenner auf der Suche nach dem Außergewöhnlichen in die abgelegene Region.

Von Anne Kathrin Koophamel

Sein Land ist alt. Wenn Winzer Eben Sadie zwischen den Weinstöcken wandelt, sind es Wege, die seit 110 Jahren an diesem Ort in Südafrika existieren. Es sind aber auch Wege, die lange Zeit einfach vergessen waren. Swartland, "Schwarzes Land" in Afrikaans, ist ein fruchtbares, aber trockenes Fleckchen, dessen Erde der Rhinozeros-Busch bei Regen dunkelbraun bis schwarz verfärbt. Für Besucher ein kurioses Naturschauspiel, für Eben Sadie ist Swartland der schönste Fleck auf der Erde. "Für einen Winzer ist es wie eine riesige Leinwand, auf der wir die unterschiedlichsten Bilder aus allen Stilrichtungen malen können", sagt der 45-Jährige, der als einer der Pioniere des modernen Weinbaus der Region gilt.

"Enfant terrible" oder "Mastermind" nennen sie ihn gerne, weil er die alten Rebsorten so bedingungslos nach vorne bringen will, dass Weine entstehen, die es in jeder Verkostung direkt unter die Top Ten schaffen. Aber auch, weil er mit einer Leidenschaft, die an Verbissenheit grenzt, anbaut. Eben Sadie ist ein Mann, der weiß, was er will, seitdem er vor 17 Jahren aus Spanien zurück in seine Heimat gekommen ist: Swartland weltweit für die besten Weine bekannt zu machen.

Über diese nördliche Region Südafrikas, die von der Küste bis zu den Bergen sich länglich ins Landesinnere erstreckt, zogen sich zur Zeit der Jahrtausendwende Weizenfelder und Viehbetriebe, dazwischen uralte Weinberge, die Trauben abwarfen - gute, aber zu wenig, um damit ein Leben zu bestreiten. Die Rebstöcke haben vielem getrotzt. Dem Wetter, aber auch den Menschen, die sie herausreißen wollten, um profitablere Pflanzen zu setzen. Während Chenin Blanc, Sauvignon Blanc, Shiraz und Pinotage aus Stellenbosch, Franschhoek oder Durbansville seit dem Ende der Apartheid 1994 ihren Weg auf die Weinkarten der internationalen Restaurants fanden, fristeten die Weine aus Swartland ein unbeachtetes Leben. Gekeltert, verschnitten, abgefüllt.

Ein Land, so knorrig wie seine alten Reben: In Swartland gibt es kaum Regen, dafür reichlich Schotterwege, Berge, dunkle Erde. Der Winzer Eben Sadie, hier im Weinberg Voetpad, ist so etwas wie der ungekrönte König der Region.

Chris Mullineux hat mit seiner Frau Andrea eine regelrechte Start-up-Karriere hingelegt, die für den Weinbau selten ist.

Ihre Weine aus den Chenin-blanc-Trauben sind so gut, dass sie vom südafrikanischen Weinführer Platter's zum Weingut des Jahres ernannt wurden - das zweite Mal in nur drei Jahren

Auch Eben Sadie hat große Ambitionen: Er will Swartland für die besten Weine bekannt machen. Nur 60 000 Flaschen produziert die Sadie-Familie pro Jahr.

Fast alle jungen Winzer haben bei Sadie (Mitte) gelernt. Für ihn und seine Familie ist Swartland der schönste Fleck auf der Erde.

Die ersten Weingüter in Swartland entstanden Anfang des 17. Jahrhunderts. Eines der ältesten Güter ist "Allesverloren".

Der Legende nach wurde hier einer der ersten Shiraz des Landes gekeltert, nachdem es komplett niedergebrannt war.

Heute werden in Allesverloren bis zu zehn verschiedene Weine angeboten.

Es sind 100 Kilometer, die Swartland von Kapstadt und seinen rund sieben Millionen Touristen pro Jahr trennen. 100 Kilometer, die heute den Unterschied machen. Während der Großteil der Besucher gen Süd-Osten weiterzieht, die Garden Route erkundet, verirrt sich nach Swartland niemand. Hierher reist man, weil man nach außergewöhnlichen Weinen sucht. Bewusst.

Unendliche Schotterwege, Berge am Horizont, die dunkle Erde - in Swartland zieht sich alles dahin. Auch die Zeit. Die Leute haben davon reichlich und sind entspannt. Swartland ist vor allem Weite, wer ankommen will, muss früh losfahren. "Allein durch die sehr ländliche Infrastruktur ist Swartland nicht auf Massentourismus vorbereitet", sagt Sadie, "so ist die Region immer noch authentisch und echt geblieben. Nur Menschen, die flexibel sind und bereit, neue Wege zu gehen, können hier überleben." Auf 15 000 Hektar bauen inzwischen 22 Winzer an den Hängen von Paardeberg, Riebeekberg und Porseleinberg ihren Wein an. Sandstein, Schiefer, Granit sind ihre Spielwiese und Grundlage für die besondere Mineralität im Glas.

Regen gibt es dagegen kaum. Sadie verzichtet wie viele seiner Kollegen darauf, die Rebstöcke künstlich zu bewässern. Die Trauben haben Stress. Und das tut ihnen gut. Wenig Feuchtigkeit bedeutet mehr Süße, die Luft von der atlantischen Küste kühlt und lässt die Pflanzen reifen. Der frische Westen, der heiße Osten - das Klima verlangt den Winzern einiges an Engagement ab, die langen Wege erschweren die Logistik. Sadie, selbst passionierter Surfer, hat hier eines gelernt: warten. Auf den perfekten Moment. Wer wie er hier anbaut, kämpft für seinen Wein, für jede Rebe, für jede Traube.

Nur 60 000 Flaschen produziert die Sadie-Familie pro Jahr. Nicht viel, aber ausreichend. "Es geht nicht darum, perfekte Weine zu machen, sondern welche, die man wiedererkennt, welche, die unsere Handschrift tragen. Man sollte den Stein des Bodens schmecken und spüren, dass der Wein unter dem Himmel Afrikas entstanden ist", sagt Eben Sadie.

Immer öfter experimentiert er mit alten Sorten wie Cinsaut oder Sémillon. Er baut sie im Fass oder in Ton-Amphoren im Boden aus. Auf die Frage, welches sein Lieblingswein sei, muss er allerdings schmunzeln: "Wir sind meistens so schnell ausverkauft, dass ich es nicht sagen kann. Einfach, weil ich keine Flasche mehr im Keller habe, die ich nur für mich öffnen könnte."

Ein Weingut heißt Allesverloren. Es gibt hier viele Erzählungen von Untergang und Neuanfang

Nicht nur die Swartland-Weine, auch die Region ist populärer geworden. Es eröffnen immer mehr Hotels. Der Norden Kapstadts wird wohl nicht mehr lange ein Geheimtipp bleiben. Amerikaner und Skandinavier reisen hierher, auch der Tourismus aus Deutschland ist im Kommen. Ein erster, örtlicher Winzerverbund spricht davon, die "Swartlandness" zu kultivieren, strenge Regeln an die Weinproduktion zu stellen und sie so nicht zu sehr wuchern zu lassen. Bloß nicht beliebig werden, das ist das Ziel. Man hat aus den Fehlern des südlichen Kaps gelernt, wo Degustationen teils Großveranstaltungen gleichen, bei denen die Teilnehmer nur noch durchgeschleust werden.

So soll es Swartland nicht ergehen. Man weiß, dass wenig eben manchmal mehr ist, und was man dafür verlangen kann: Die meisten der Flaschen aus Swartland haben einen stolzen Preis. Die Besucher bezahlen ihn, weil er die Weine als einzigartig deklariert. Bei etwa 16 Euro im Handel fangen die Preise an, die meisten liegen aber bei 25 Euro pro Flasche und gehen bis zu 200 Euro nach oben. Die Keller der Winzer sind trotzdem schnell leer.

Individualität ist das, was die Menschen in Swartland vielleicht am meisten betonen. Sadie sagt: "Winzer, die hierherkommen, fliehen auch vor der Uniformität in anderen Anbaugebieten. Swartland ist ein Schmelztiegel für Kreative, die Neues schaffen wollen."

Die ersten Weingüter in Swartland entstanden Anfang des 17. Jahrhunderts. Eines der ältesten Güter ist "Allesverloren", in dem der Legende nach einer der ersten Shiraz des Landes gekeltert wurde, nachdem es komplett niedergebrannt war. Jedes Gut hat eine Geschichte zu erzählen, über Vorfahren und Neu-Anfänge, über Niederlagen und das Wiederaufrappeln. Ein bisschen verkorkte Geschichte zum Mitnehmen - auch das ist Swartland.

Diese andauernde Aufbruchstimmung ist heute noch zu spüren. Chris Mullineux hat mit seiner Frau Andrea eine regelrechte Start-up-Karriere hingelegt, die für den Weinbau selten, wenn nicht einzigartig ist. Vor zehn Jahren waren sie auf der Suche nach etwas, das keiner haben wollte: alten Rebstöcken mit wenig Ertrag, Weinbergen in einem rauen Klima. Hohe Qualität, wenig Umsatz. Das Land war für Jung-Winzer mit wenig Geld erschwinglich. Davon gab es sogar reichlich in Swartland: Die Chenin-blanc-Trauben wurden zu Branntwein verarbeitet, da sie so den höchsten Gewinn abwarfen. Heuer machen Chris und Andrea Mullineux aus den gleichen Trauben Spitzenweine. So gut, dass sie in diesem Jahr vom südafrikanischen Weinführer Platter's zum Weingut des Jahres ernannt wurden - das zweite Mal in nur drei Jahren.

Was verrückt klingt, war für das Ehepaar die Vision, endlich etwas Eigenes zu schaffen. "Es lag eigentlich alles vor uns: guter Boden, die richtige Traubensorte, natürliche Produktion. Ein bisschen war es wie im Wilden Westen. Man konnte alles erreichen, aber man musste seine Seele dafür offenlegen, durch viel harte Arbeit", sagt Chris Mullineux. Er meint, sie seien einfach am richtigen Ort zur richtigen Zeit gewesen. Vor allem aber träumten sie den Traum so vieler junger Wilder, etwas zu bewirken, indem sie es anders angehen.

Anders heißt in Swartland auch: Man unterstützt sich gegenseitig. Konkurrenz gibt es kaum, dafür Kameradschaft. Man hilft sich, mit Werkzeug und Rat oder einer Flasche Wein gegen Kummer. Investiert ein Winzer in neue Tanks, gibt er einem Neuling seine alten.

Eben Sadie ist so etwas wie der ungekrönte König der Region. Fast alle jungen Winzer haben bei ihm gelernt oder zumindest mit ihm gearbeitet. "Er hat den Wechsel zum modernen Wein Südafrikas erst möglich gemacht", sagt Chris Mullineux. Gemeinsam initiierten sie 2010 das Weinfestival "Swartland Revolution". Nur, um es fünf Jahre später nach großem Erfolg einzustellen. Bloß nicht zu mainstream-mäßig werden. Auch deshalb wird es wohl weiterhin bei Schotterstraßen in Swartland bleiben. "Es ist gut, dass es nicht so wuselig hier ist wie in Constantia oder Stellenbosch", sagt Chris Mullineux, "die Besucher mögen dieses langsame Landleben."

Dieses gelte es zu bewahren. Genau wie die selbstauferlegten Standards im Weinbau. Oder wie Eben Sadie sagt: "Einen großen Wein zu schaffen, ist nicht allein die Arbeit einer einzigen Generation."

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Quelle:
SZ vom 12.10.2017
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