Südafrika:Audienz in der Garage

Sie sind für ihre Wand-Graffiti berühmt und haben eine Königin, die im Batikkleid Urlauber empfängt. Ein Abend bei der Ndebele, deren Volk für seine Wand-Graffiti berühmt ist.

Bettina Winterfeld

Afrika ist nicht schwarz. Afrika trägt grüne Rauten, ockerfarbene Romben und zackige blaue Bordüren. Der vermeintlich schwarze Kontinent explodiert in geometrischen Ornamenten, die sich wie eine abstrakt gemusterte Tapete um die Dorfkirche ziehen. Außer einer Ziege, die x-beinig vor dem Portal posiert, und ein paar Kindern ist niemand zu sehen.

"Weltevrede" bedeutet in Afrikaans Weltfriede, und so weit hergeholt scheint der Name des weltvergessenen Weilers nicht zu sein. Um das graffitibunte Gotteshaus drapieren sich Wiesen und Bäume, weitläufig verstreute Häuser mit farbigen Fassaden, Gemüsegärten und Maisfelder. Kein Auto, keine Teerstraße, keine Ampel stört die im besten Wortsinn malerische Idylle.

In der königlichen Garage ist der Tisch gedeckt. Queen Nomsa, die First Lady der Ndebele, ist noch nicht erschienen, weshalb eine Cousine die Besucher unter ihre neongrünen Fittiche nimmt. Sophie, so heißt die Verwandte, trägt zur signalfarbenen, tipptopp gestärkten Rüschenschürze einen fürsorglichen Gesichtsausdruck und kümmert sich als erstes um die Hygiene. Sie gießt Wasser über die Hände ihrer Gäste und bittet, nachdem der Staub der Savanne in einer Emailleschüssel aufgefangen und das Begrüßungsritual vollzogen ist, zu Tisch.

Die Ndebele, mit etwa 300.000 Stammesangehörigen Südafrikas kleinstes Volk, kennen keine eigene Schrift. Sie haben nur ihre mündlichen Überlieferungen, und ihre Amagama, spontan aufgetragene, zeichenhafte Graphiken, mit denen die Frauen ihre Häuser schmücken. Die einst nomadischen Ndebele wohnen heute in versprengten Siedlungen in der Provinz Mpumalanga nahe der Kleinstadt Middelburg, weit abseits der Touristenpfade.

Ihre Perlenstickereien sind in vielen Souvenirläden präsent, doch bekannt wurden sie vor allem durch ihre expressiven Fassaden, auf die Anfang der 1990er Jahre die namibische Fotojournalistin Margaret Clourke-Clarke die Kunstwelt aufmerksam machte.

Aufstieg zur Pop-Avantgarde

Bis dahin wusste man in Europa kaum etwas über das zur Nguni-Sprachgruppe zählende Volk. Im 4. Jahrhundert brach es vom Äquator nach Süden auf, um sich im 16.Jahrhundert in der Gegend des späteren Transvaal niederzulassen. Dort schlugen die Ndebele Pflöcke in die Erde, füllten den Zwischenraum mit Zweigen, verputzten das Gerippe mit Lehm und deckten es mit einem Strohdach ab. Ein erster, solider Malgrund war geschaffen. Und ein Grund zu malen: nach ihrer über tausendjährigen Wanderschaft waren die Ndebele am Ziel. Sie konnten ihr Königreich etablieren und ihrer Freude über die Sesshaftigkeit Ausdruck verleihen.

In der Garage im Herzen des einstigen KwaNdebele Homelands haben die Besucher inzwischen ohne ihre Gastgeberin mit dem Essen angefangen. Queen Nomsa gilt als schüchtern, und wer weiß, ob sie überhaupt noch zum verabredeten Lunch kommt. Wenigstens zeigt ihr Gemahl Flagge. Mit der Gelassenheit eines Mannes, der in einem würdigen Graffiti-Grab seinen irdischen Frieden gefunden hat, blickt König David MabusabesalaII. aus einem Leopardenfell auf seine posthumen Gäste herab. Seine Fahnen und einige Puppen in Stammestracht sind die einzigen folkloristischen Attribute im königlichen Carport.

Doch dann taucht eine Frau auf, die schlagartig Königsflagge wie Puppen in den Schatten stellt - und dabei den Puppen doch auf verblüffende Weise ähnlich sieht: Zierlich, barfuß und sehr aufrecht, mit perlengestickten Stirn- und Kopfbändern, wadenlangem Lendenschurz und perlenbesetztem gestreiftem Umhang. Und von Kopf bis Fuß in Schmuck eingefasst: In Messingringe und Perlenketten gelegt der Hals bis unter das Kinn, von Messingreifen beschwert auch die Hand- wie Fußgelenke "I am Esther", stellt sie sich vor. Esther Mahlangu, eine Tante der Königin. Und, mehr noch, eine Pionierin in dreifacher Hinsicht - ihres Stammes, ihres Landes und ihres Geschlechts.

Esther Mahlangu ist nicht nur, worauf ein verblichenes Straßenschild am Ortseingang verweist, die erste schwarze Südafrikanerin, die während der Apartheid "overseas" reiste. Sie eroberte sich auf dem internationalen Parkett auch einen Ehrenplatz. Und dies nicht etwa als exotische Adressatin eines wohltätig häkelnden Frauenkränzchen, sondern als progressive Akteurin in einer bis dato ebenso exklusiven wie elitären Männerrunde: 1991 bemalte die Ndebele als erste weibliche Künstlerin ein Kunstauto der "BMW Art Car Collection". Kühn und bunt, mit ähnlichen Mustern und Farben, wie sie auch auf der Dorfkirche von Weltevrede zu sehen sind.

Ihre Stammeskunst katapultierte die damals 56-Jährige über Nacht aus dem tiefsten südafrikanischen Busch in eine prominente Kunstgalerie. In einen illustren Zirkel der Pop-Avantgarde, in dem alles, was Rang und Namen hat, bereits Kotflügel made in Germany signierte hatte: Andy Warhol, Roy Liechtenstein, Frank Stella, Alexander Calder, David Hockney.

Audienz in der Garage

Wie alle Frauen ihres Stammes hat Esther das Malen ebenso wie auch die Herstellung des Perlenschmucks von ihrer Mutter gelernt. "Schon als Schulmädchen habe ich meine erste eigene Fassade geschmückt", sagt sie, "meine Mutter hat mir gezeigt, wie ich die Farben Rot, Weiß und Schwarz aus der Erde gewinnen kann. Nur die übrigen Farben kaufe ich im Supermarkt". Und wie alle Frauen der Ndbele malt Esther freihändig und spontan, was ihr die Phantasie und die seit Generationen vererbte, kollektive Vorstellungskraft eingeben. Ihre Zeichnungen sind abstrakt, nur gelegentlich webt sie stilisierte Menschen oder Alltaggegenstände in ihre Bilder ein.

Die Kunst der Ndebele, die ihren Ursprung in der Polygamie und den Initiationsriten der Jugendlichen hat, ist frei von hintergründiger Symbolik und Deutungsvorgaben. Jede Frau gestaltet ihre Wände nach eigenen Ideen und grenzt sich damit auch von der auf demselben Hof lebenden Nebenfrau ab. Ihre künstlerische Kreativität hat den Ndebele auch in schwierigen Zeiten Halt gegeben.

Unschuld und Anarchie bewahrt

Kaum hatten sie ihr KwaNdebele-Königreich gegründet, machten die Buren ihren Machtanspruch geltend. Die friedliebenden Ndebele leisten vergeblich Widerstand und wurden ab 1883 von den "Baans" als Farmarbeiter versklavt. Doch ihre Gestaltungsfreude ließen sie sich auch in der Gefangenschaft nicht nehmen. Im Gegenteil. Von nun an verteidigten die Ndebele-Frauen ihre Traditionen noch expressiver gegen die Unterdrückung der Weißen. Selbstbewusst setzten sie sich während der Apartheid mit ihren farbigen Fassaden - wenigstens optisch - gegen die politische Schwarz-Weiß-Malerei zur Wehr.

Bis heute hat sich die Kunst der Ndebele ihre Unschuld und ihr anarchisches Potential bewahrt. Noch immer kommt sie ohne autoritäres Regelwerk, ohne verrätselte Ikonographie. Die Weihen der westlichen Kunst- und Motorenwelt, so viel wird jedenfalls deutlich, haben im Leben der bodenständigen Stammesfrau nur wenige Spuren hinterlassen. Sie kam, sie malte - und sie verschwand wieder in ihrem Dorf mit dem schönen Namen "Weltfriede".

Den findet sie offenbar tatsächlich noch immer dort, wo sie Mitte der Dreißiger Jahre in einer bemalten Lehmhütte zur Welt kam. Fest verwurzelt in der Tradition ihres Stammes, in der Zahlen ebenso wenig Bedeutung haben wie Buchstaben. Wie alt sie ist, kann Esther deshalb nicht genau sagen. Aber sie weiß, wie die wichtigen Dinge im Leben funktionieren, etwa das Handy, das sie in einem Brustbeutel unter der Tracht versteckt hat.

Die mehr als ein Dutzend Messingreifen, die ihren Hals versteifen und künstlich in die Länge ziehen, hat sie von ihren Eltern bekommen. Die Arm- und Fußringe sind Geschenke ihres verstorbenen Ehemanns. Nein, abnehmen tue sie sie nie. Nicht einmal nachts. Nur einmal, und jetzt muss Esther Mahlangu wieder lachen, das sei bei einem Besuch in Italien gewesen, da habe das viele Metall an ihrem Körper ihre Einreise am Flughafen erschwert.

Der Nachtisch ist längst abgetragen, als doch noch die Königin auftaucht. Zur Audienz in ihrer Garage erscheint sie in Begleitung ihrer Schwägerin und ihres zwölfjährigen Sohnes, dessen Hand sie in der nächsten halben Stunde nicht mehr loslässt.

Aber vielleicht ist es ja auch der kleine Prinz, der auf die Hand seiner Mutter nicht verzichten mag. Die First Lady trägt zum Batikkleid ein Kopftuch und ein Lächeln, das sympathisch, weltoffen, und alles als schüchtern ist. Sie stammt aus dem Swaziland und ist die fünfte Frau des vor wenigen Jahren verstorbenen Ndebele-Herrschers - "hintereinander", wie sie betont.

Und wie darf sich ein unbedarfter Europäer die Jobbeschreibung einer modernen Ndebele-Königin vorstellen? "Streitigkeiten unter den Frauen schlichten zum Beispiel", antwortet die Queen. Den Stammesgenossinnen beibringen, wie man Geld verdient, etwa mit selbstentworfenen Batikkleidern, die auch den Touristen gefallen. Die größte Herausforderung ihres königlichen Alltags sei allerdings die traurige Tatsache, dass "die Männer solche Machos sind". Typen, die trinken und sich nicht um ihre Familien kümmern. Sie lächelt wieder, bevor sie ernst hinzufügt: "Allerdings haben sie es schwer, auf dem Land Arbeit zu finden. Wir leben sehr abgeschieden, es gibt keine Märkte, und die nächste High School ist vierzig Kilometer entfernt."

Die Audienz im königlichen Carport, ein Privileg, dass auf Wunsch auch für Touristen arrangiert wird, neigt sich ihrem Ende zu. Beim abschließenden Gruppenfoto hält Esther Mahlangu respektvoll Abstand zu ihrer königlichen Nichte. Tante ist Tante, doch Protokoll bleibt Protokoll. "Kommen Sie mich wieder besuchen", sagt die Königin zum Abschied, "aber bringen Sie bitte mehr Zeit mit und übernachten Sie bei uns, dann garantiere ich Ihnen eine schlaflose Nacht". Das klingt alles andere als schüchtern. Eher nach einem Versprechen jener Art, von dem man sich vornimmt, es eines Tages mit dem größten Vergnügen einzulösen.

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