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Streit um das Schweizer Dorf Andermatt:Gegeneinandermatt

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Ein ägyptischer Milliardär will den Schweizer Kurort Andermatt in ein Luxus-Skigebiet verwandeln - doch ein Teil der Dorfbewohner fürchtet ein Touristenghetto.

Thomas Kirchner

Der Winter ist lang in Andermatt, erst seit ein paar Tagen können sie wieder bauen. Am Bahnhof entsteht das Fundament für The Chedi, das "einzige Fünf-Stern-Superior-Hotel Europas", entworfen von Architekten aus Malaysia. Auf dem ehemaligen Waffenplatz am Eingang des Urserntals treiben Maschinen Pfähle in den Boden. Bald wird hier der Betonsockel gegossen, auf dem Neu-Andermatt ruhen soll: fünf Hotels, 42 Häuser mit 490 Wohnungen, bis zu 30 Villen, Kongress- und Konzertsäle, ein 18-Loch-Golfplatz, das größte Tourismus-Resort der Schweiz, ein 1,8 Milliarden-Franken-Projekt. Ein kompletter Neuanfang.

"Der Zug fährt jetzt", sagt Gemeindepräsident Roger Nager in seinem Büro, "wir haben Reisetempo erreicht." Der 41-Jährige, der einen Ring in jedem Ohr trägt, ist seit 100 Tagen im Amt - und der Erste, der es in Vollzeit ausübt. Anders wäre die Last nicht mehr zu bewältigen. Er muss neue Wasser- und Stromquellen erschließen, denn der Energiebedarf im Tal wird sich mindestens verdoppeln.

Er bespricht sich mit den Bauherren, der Kantonsregierung, hält Info-Abende für die Einwohner ab. Daneben wird er von Journalisten bestürmt, Wissenschaftlern, Abgesandten aus anderen Schweizer Gemeinden, die alle wissen wollen, wie es läuft mit Samih Sawiris, dem Finanzier aus Ägypten, der aus Andermatt ein zweites St. Moritz machen will.

"Ohne ihn wäre es mit dem Dorf bachab gegangen", sagt Nager. Er präsentiert die Einwohner-Statistik. 1589 waren es im Jahre 1970, 200 weniger im Jahr 2000. Vor allem die Jungen zogen fort, weil sie keine Perspektive sahen. Jetzt ist die Zahl stabil bei 1360. Tatsächlich war Andermatt noch vor fünf Jahren ein friedliches, aber verschlafenes Nest mit ein paar hübschen, von den typischen Holzschindeln bedeckten Häusern und schroffen Bergen ringsum.

Eine Handvoll Bauern bewirtschaftete die Weiden im Tal. In manchen Hotels roch es muffig, Liftanlagen rosteten. Allein das verfallende Grandhotel erinnerte ans ausgehende 19. Jahrhundert, als Andermatt ein mondäner Touristenort war, den besonders die Engländer schätzten.

Hundert Jahre später kamen nur noch Familien hierher, die wenig Geld ausgeben wollten, weder Schwimmbad noch Eishalle vermissten und sich mit der einzigen kulturellen Attraktion zufriedengaben: dem Talmuseum, in dem einmal der berühmte Marschall Suworow übernachtete. Vor allem aber lebte Andermatt von der Armee.

800 Mann waren mal hier stationiert, im Mittelpunkt der Alpenfestung, sie aßen, tranken, kauften. Doch mehrere Sparrunden beim Militär ließen nur ein paar Dutzend Gebirgsjäger übrig. Der Abzug hat Andermatt zu schaffen gemacht. "Allein vom Tourismus hätten wir nicht existieren können", sagt Manfred Oberbillig, der das kleine Hotel Sternen führt.

Die Armee war heilfroh, Sawiris ihr Land für 19 Millionen Franken abtreten zu können, als der sich 2005 für Andermatt zu interessieren begann. Ein Schweizer Diplomat hatte ihm von dem Hochtal im Kanton Uri erzählt, zwei Stunden von Zürich und Mailand entfernt, das perfekt in sein Geschäftsmodell zu passen schien.

Der Milliardär, der zusammen mit seinen beiden Brüdern zu den reichsten Ägyptern zählt, kauft weltweit Land in Feriengebieten, das keiner will. Es muss gut zu erreichen sein und so abgeschlossen, dass ihm keine Konkurrenz entstehen kann. Dann baut er nach und nach Wohnungen und Hotels und profitiert von der Wertsteigerung der Anlagen. So hat es Sawiris in El Gouna am Roten Meer gemacht, so plant er es im englischen Cornwall und in Montenegro.

Die Andermatter waren zunächst perplex, als ihnen der Ägypter in der Mehrzweckhalle ihres Dorfes sein Vorhaben erklärte. Doch mit Charme und Überredungskunst - Sawiris hat in Berlin studiert und spricht fließend Deutsch - gelang es dem smarten kleinen Mann, ihr Vertrauen zu gewinnen, ja sie zu begeistern. In einer Abstimmung billigten die Bürger den Plan schließlich mit 400 zu 13, ein Ja-Anteil von 96Prozent. Um die verzweifelten Bauern, die dem Golfplatz weichen sollten, kümmerte sich Sawiris persönlich, tauschte Land, gab ihnen Geld oder stellte ihnen einen Job als "Greenkeeper" in Aussicht.

Die Schweizer Bürokratie hat derweil einige Gänge hochgeschaltet, damit es sich Sawiris nur nicht anders überlegt: Bewilligungen, die sonst fünf bis zehn Jahre dauern, werden in Monaten durchgepeitscht, Genehmigungsverfahren laufen parallel statt wie üblich hintereinander. Das Resort ist von der "Lex Koller" befreit, die Ausländern den Erwerb von Grundstücken untersagt, und als Krönung muss Sawiris nicht einmal Steuern zahlen, wenn er Land verkauft.

Im Gegenzug beteiligt sich der Ägypter am Bau einer neuen Schwimmhalle. Er reißt Andermatt aus seiner Lethargie, eine Zeit des fiebrigen Erwartens hat begonnen. Manche lassen sich umschulen, bilden sich fort, lernen eine Fremdsprache. "Es geht ein Ruck durchs Dorf", sagt Manfred Oberbillig und zeigt auf die frisch gestrichene Fassade gegenüber. Um die Ecke hat ein Ehepaar ein altes Haus in ein Design-Hotel verwandelt, an der Stelle des alten Grandhotels am Westrand des Dorfes stehen nun edle Apartmenthäuser mit Holz und Glas. Und doch wachsen, da nun ernsthaft am Resort gebaut wird, da es endgültig kein Zurück mehr gibt, auch die Zweifel im Dorf.

Als der Bauplatz für das achtstöckige Chedi abgesteckt wurde, merkten die Leute, wie hoch das Hotel wachsen würde, und dass es das Altenheim daneben schier einzuklemmen droht. Die Immobilienpreise sind gestiegen, Familien tun sich schwerer, bezahlbare Wohnungen zu finden. Und wo sollen die Angestellten des Resorts wohnen, 1800 Menschen bei Vollauslastung? Er werde möglichst nur Schweizer anstellen, hat Sawiris versprochen.

Jetzt erklärt die Resort-Firma Andermatt Swiss Alps (ASA), sie werde Leute "aus dem nahen Ausland" nehmen; wohl Portugiesen, heißt es im Dorf. Lassen sie sich integrieren? Die wenigsten werden mehr als 3500 Franken im Monat verdienen, damit kann man keine Familie ernähren. Eigentlich sei Andermatt überhaupt nicht ausländerfreundlich, sagt Peter Indergand, der ehemalige Leiter der Kantonalbank im Ort, fremdenfeindliche Volksinitiativen erhielten im Dorf regelmäßig eine Zweidrittelmehrheit. "Ich bezweifle, dass die Neuen mit offenen Armen empfangen werden."

Viele befürchten, der Ort werde seinen Charakter verlieren, vom "Ausverkauf der Heimat" ist die Rede, von der Gefahr, unter den reichen Gästen zu Fremden im eigenen Dorf zu werden.

Die meisten Andermatter behalten ihre Sorgen aber lieber für sich. Nur einer wagt es, sich lauthals zu beklagen: der Dorfarzt. Andreas von Schulthess, groß, weißbärtig, kurz vor der Pensionierung, redet sich schnell in Rage. Er nennt Sawiris einen eiskalten Spekulanten, einen Hochstapler. Ihm graust es vor der "postmodernen Beliebigkeit" der Bauten im Resort, vor dem "Fünf-Sterne-Bonzentourismus wie in Gstaad und Zermatt". Alles sei überdimensioniert, nicht nachhaltig.

"Ich sehe ein Touristenghetto kommen, das zwei Drittel des Jahres leersteht." Besonders ärgerlich findet Schulthess den geplanten Ausbau des Skigebiets am Nätschen, das durch mehrere neue Lifte mit den Anlagen in Sedrun verbunden werden soll. "Das ist eine Vergewaltigung der alpinen Natur und skisportlich unsinnig, weil die Gegend lawinengefährdet und voller Felsen ist." Eine Alternative weiß auch Schulthess nicht.

Alles lassen, wie es ist? Warum denn nicht, sagt Schulthess, Andermatt sei ja auch schlechtgeredet worden. Stattdessen stürze sich die ganze Talschaft in die Arme dieses Ägypters, "ein Klumpenrisiko sondergleichen".

Es stimmt schon, das Dorf steigt mit Sawiris nun auf - oder es wird zur größten Bauruine des Landes. Insofern schaute man hier ein wenig beklommen auf die Revolte am Nil, die ans Licht brachte, wie glänzend sich die Sawiris mit dem Mubarak-Regime arrangiert hatten. Der Aktienkurs der Firma Orascom, der Holding Sawiris', ist an der Schweizer Börse seit Jahresanfang um 25 Prozent gesunken, was auch daran liegen mag, dass die millionenteuren Wohnungen im Resort eher schleppend nachgefragt werden. 38 von 635 Einheiten seien verkauft oder reserviert, sagt eine ASA-Sprecherin.

"Das Risiko ist die Kehrseite", sagt Gemeindepräsident Nager, "dessen sind wir uns bewusst. Aber für uns gab es nur einen Weg: den Weg nach vorn."

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Quelle:
SZ vom 16.04.2011
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