Street-Art-Touren:Das andere Bild der Stadt

Kritische Kunst von Banksy & Co: Geführte Touren machen Street Art zur touristischen Sehenswürdigkeit in Großstädten.

Susanne Popp

Der Junge kniet auf dem Boden, die gefalteten Hände an die Nasenspitze gelegt, den Kopf mit der Basecap gesenkt. Schwarz-weiß, bis auf den Inhalt des Farbeimers vor ihm. In grellrosa schreien die Worte von der Wand: "Forgive us our trespassing". Es ist eines der Werke des populären britischen Künstlers Banksy, auf einer Mauer in Salt Lake City.

Was früher rigoros mit Sandstrahlern bekämpft wurde, lassen sich Hausbesitzer in London heute mit Plexiglas schützen. Denn Street Art gilt im Gegensatz zu ihrem Vorläufer Graffiti nicht mehr als illegale Schmiererei. Aus den Ursprüngen der schwer lesbaren Writings (Buchstaben und Schriftzüge) haben sich Bilder und Grafiken entwickelt, die dem Betrachter Geschichten erzählen und als Kunst im öffentlichen Raum gesehen und interpretiert werden.

Und das lässt sich auch touristisch nutzen: Immer mehr Metropolen locken Besucher mit so genannten Street-Art-Touren.

"Unsere Rundgänge sollen eine Einführung in die Handschrift der Künstler sein", sagt Miriam Bers von GoArt!Berlin. Als Zusammenschluss freier Künstler und Galeristen, die "aktuelle Sachen vermitteln wollen", beschreibt sich der Berliner Veranstalter. "Wir führen in verschiedene Bezirke, an Orte, die man so nicht finden würde. Damit die Teilnehmer auch den Kiez ein bisschen kennenlernen." Das geht mit dem Rad, zu Fuß oder mit der Ringbahn, je nach Alter und Fitness der Teilnehmer.

Die Faszination der Szene scheint durchschaubar. Das Leben ist langweilig, da wirkt die ein bisschen verbotene häufig mit linkspolitischer Botschaft verbundene Kunst als attraktiver Kontrast. Schließlich darf sich Berlin laut New York Times seit zwei Jahren "die Graffiti-Hauptstadt Europas" nennen. Aber nicht nur dort haben Veranstalter die Kunst-Touren im Programm.

Um Londons Street-Art-Highlights zu erkunden, braucht man seit 2009 zum Beispiel beim Veranstalter "Insider London" nur knappe zwei Stunden und 20 Euro. "Viele Teilnehmer möchten etwas anderes als die großen Sehenswürdigkeiten wie Big Ben und Tower sehen. Öffentliche Kunst ist eine Möglichkeit zu lernen, wie London als Stadt funktioniert", sagt Lisa Robertson vom britischen Veranstalter. Jede Tour sei einzigartig, die Straßen, die man heute gezeigt bekommt, könnten in zwei Jahren ganz anders aussehen.

Kritische Kunst, die jeden erreicht

Guides begleiten die Rundgänge, liefern Hintergrundinformationen und beantworten Fragen. Ob die Künstler selbst allerdings tatsächlich "geschmeichelt" von dem touristischen Interesse sind, bleibt offen. "Es gibt wohl unterschiedliche Stimmen, die Graffiti-Sprayer stehen dieser Vermarktung viel skeptischer gegenüber als die Street Artists", sagt Miriam Bers.

"Ich denke jeder, der beim Sprühen eine Dose Cola in der Hand hält oder anschließend zu McDonald's geht, der sollte erst einmal in den Spiegel schauen, bevor er andere Leute verurteilt. Solche Begriffe wie Kommerz muss man sehr vorsichtig ansetzen", sagt Skore183. Der Münchner Künstler sieht in den touristischen Touren keinen Widerspruch zur Szene. "Für mich ist wichtig, dass die Menschen allgemein einen Zugang zu kritischer Kunst bekommen. Wenn Werke in Galerien hängen, dann sehen das meistens nur Privilegierte. Aber auf der Straße, im öffentlichen Raum, erreicht es jeden."

Gespräche mit den Künstlern

In Melbourne führen Künstler deshalb seit vergangenem Jahr selbst zu ihren Werken. Die "Melbourne-Streettours" dauern dreieinhalb Stunden, es geht durch die Hinterhöfe der Stadt, dann endet die Tour ganz unspektakulär mit Bier, Wein und Essen. Und die Künstler stehen zum Gespräch bereit.

Sind Street-Art-Touren also eine abgewandelte Form klassischer Rundgänge wie kulinarische oder literarische Touren?

"Nein", sagt der Wiener Graffiti-Forscher Norbert Siegl. Um Street Art zu begreifen, müsse man die Kultur verstehen lernen. Deshalb gibt es in der österreichischen Hauptstadt seit 1996 ein Institut für Graffiti-Forschung mit Museum und Street-Art-Archiv. Im Programm stehen auch "Führungen zu interessanten Orten der Graffiti-Kultur". Siegl erklärt: "Wir wollen das Verständnis und die Kenntnis der Street Art und Graffiti in Form von Ausstellungsmotiven vermitteln. Ganz Wien wird durch die Touren praktisch zum Museum ernannt, mit mehr als 250 000 Exponaten."

"Jedes Bild, jeder Tag ist markant"

Die Reaktionen seien durchweg positiv. "Das interessiert Schulklassen, Studenten, aber auch ältere Teilnehmer, bis hin zur Oma, die einen Eindruck bekommen will, was ihr Enkel tut", so Siegl.

Das schlichte Selbstverständnis "the medium is the message" ist Vergangenheit. Street Art wird heute diskutiert und frequentiert. Neben den ursprünglichen Pflaster- und Fassadenmalereien bebildern Poster, Sticker und Cut-Outs (ausgeschnittene Papierbilder) sowie Pochoirs und Stencils (Schablonengraffiti) die Straßen. Selbst Taxifahrer in Bethlehem fahren statt zu den biblischen Pilgerstätten inoffizielle Banksytouren.

"Street Art macht definitiv eine Stadt aus, jedes Bild, jeder Tag ist markant. Vielleicht erkennen das zu wenige", meint Skore 183. Gerade in Deutschland gäbe es zu viele Restriktionen, Street Art werde nach wie vor als Sachbeschädigung geahndet. "Istanbul, Prag oder London sind da wesentlich toleranter und erkennen die Aufwertung." In deutschen Innenstädten würden viele Arbeiten übersehen, wenn kein Stadtführer auf sie hinweise.

Das soll sich ändern. Selbst für Idealisten, die sich gegen organisierte Bezahl-Touren sträuben, wird touristisch gesorgt. Der "Urban Illustration Street Art City Guide Berlin" listet allein mehr als 500 Orte auf. Loslaufen, entdecken und hinsehen darf man hier noch alleine.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

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