Süddeutsche Zeitung

Stimmung in Griechenland:"Ich möchte mich bei jedem Touristen persönlich bedanken"

In Athen warten die Bürger gespannt auf die Ergebnisses des Euro-Gipfels. Einige sind verärgert über den deutschen Finanzminister Schäuble - andere Politiker bekommen Lob. Und alle Hoffnungen ruhen auf den Feriengästen.

Von Matthias Kolb, Athen

Als die Griechen am Sonntag vor einer Woche überwältigend "Ochi" beim Referendum sagten, versammelten sich Tausende zur Jubelfeier am Syntagma-Platz. Eine Woche später stehen nur wenige Griechen am Platz direkt vor dem Parlament, die meisten suchen sofort den Schatten. Eine Gruppe Anarchisten präsentiert ihr dunkelrotes Plakat mit antikapitalistischen Parolen den anwesenden TV-Reportern, die ebenso wie die knapp elf Millionen Griechen darauf warten, was die 19 Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone in Brüssel beschließen werden (aktuelle Entwicklungen hier).

Fast alle griechischen Sender übertragen live aus Brüssel und die Moderatoren kommentieren die Statements der diversen Politiker. Vor dem Bildschirm im Café "Alfa" am Syntagma-Platz sitzen drei Rentner und diskutieren über die jüngsten Entwicklungen. "Wie soll dieser 'Grexit auf Zeit' denn funktionieren, den Schäuble vorschlägt?", fragt Dimitris, der Wortführer. Seine Freunde nicken zustimmend, als er beklagt, dass sich Bundeskanzlerin Merkel und ihr Finanzminister nie einig seien: "Warum hat sie ihn nicht unter Kontrolle?" Schäuble ist bei vielen Griechen besonders unbeliebt, ein "Ochi"-Plakat einer linken Splittergruppe bezeichnet ihn als "Blutsauger".

Sie alle haben mit Genugtuung gehört, dass Italiens Premier Matteo Renzi ("Genug ist genug") und Frankreichs Präsident François Hollande von Deutschland mehr Kompromissbereitschaft fordern und auch aus Luxemburg warnende Töne in Richtung Berlin kommen. Die Senioren finden, dass das griechische Angebot vom Freitag "schmerzhaft" genug sei - und weit genug gehe. Dimitris verkündet: "Wenn alle einen Kompromiss wollen, dann ist der möglich."

"Wir haben es nicht in der Hand, was dort entschieden wird"

Am Ende des Syntagma-Platzes, wo der "Happy Train" seine Rundfahrt für die Urlauber beginnt, betreibt der 40-jährige Kostas einen Kiosk. Er hat vor allem wegen seiner beiden Kinder beim Referendum mit "Nein" gestimmt (mehr in dieser SZ.de-Reportage ). Er bereut seine Entscheidung nicht, doch er wünscht sich und seinem Land eine Perspektive. Die Nachrichten aus Brüssel verfolge er an diesem Wochenende unregelmäßig auf dem Smartphone: "Wir haben es nicht in der Hand, was dort entschieden wird."

Kostas hat Getränke, Kaffee und Snacks im Angebot, Produkte, die häufig gekauft werden, zumindest bisher. Er fürchtet, dass ein höherer Mehrwertsteuersatz von 23 Prozent dazu führen könnte, dass die Griechen noch weniger konsumieren. "Das wird hart werden", sagt er. Dass zuletzt deutlich weniger Last-Minute-Touristen nach Griechenland reisen, hat der 40-Jährige auch bemerkt: "Es ist ein Drittel weniger los als sonst. Ich verdiene im Durchschnitt 500 Euro weniger als sonst. Das gleichen die vielen Journalisten nicht aus."

"Es ist ein politischer Akt, in Griechenland Urlaub zu machen"

Fünf Gehminuten vom Syntagma-Platz entfernt warten die Angestellten der "Hot Hot Burger Bar" auf die ersten Kunden. Der 32-jährige Jannis verfolgt die Nachrichten aus Brüssel nicht sehr genau: "Wir müssen abwarten, was Tsipras erreicht und wie die Resultate sind." Er klagt über die allgegenwärtige Korruption, die erst so langsam zurückgedrängt werde: "In meiner Generation gibt es viele, die nicht mehr so weitermachen wollen." Er möchte, dass Griechenland ein gerechterer Staat wird - und dann zum Vorbild für andere Länder.

Doch zugleich hätten viele junge Griechen das Land verlassen, weil sie nach der Uni oder der Ausbildung keine adäquaten Jobs gefunden haben. "Ich bin Innendesigner, aber wenn du keine Superreichen als Kunden hast, dann verdienst du nichts", sagt Jannis. Also kellnert er nun, und malt währenddessen Bilder. Am wichtigsten für Griechenland sei, dass viele Leute ihre Ferien hier verbringen würden. Dies sei gerade für die vielen kleinen Inseln eine Sache des Überlebens. Hier in Athen sehe er viele Ausländer, das Geschäft in der Burger-Bar laufe sehr gut.

"Ich möchte mich bei jedem Touristen persönlich bedanken", sagt Jannis nicht ohne Pathos. So würden sich die Leute besser kennenlernen und selbst sehen, was in Griechenland passiere - wie schön das Land sei und wie schlecht viele Dinge laufen würden. "In diesem Sommer ist es ein politischer Akt, in Griechenland Urlaub zu machen. Nichts hilft uns in dieser Zeit mehr", sagt er. Dann entschuldigt er sich, um vor der Arbeit nochmals selbst zu essen. Stärkung kann jeder Grieche gebrauchen in diesen Stunden.

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