Süddeutsche Zeitung

Stellplätze für Wohnmobile:Frust statt Freiheit

Immer mehr Deutsche setzen auf Unabhängigkeit im Urlaub, die Nachfrage nach Wohnmobilen steigt. Die Kehrseite des Booms: Es gibt nicht mehr genügend Stellplätze.

Von Marco Völklein

Hermann Pfaff weiß gar nicht, wie er seine Freude ausdrücken soll. Von "eindrucksvollen Zulassungszahlen" spricht der Präsident des Caravaning Industrie Verbands (CIVD). 35 135 Reisemobile hat die Branche im vergangenen Jahr in Deutschland abgesetzt, fast 24 Prozent mehr als 2015. Die Branche eilt von Absatzrekord zu Absatzrekord - und das nun schon seit einigen Jahren. Auch bei den Caravan-Anhängern verzeichnen die Hersteller stetig Wachstum. "Caravaning ist in der Gesellschaft angekommen", sagt Branchenchef Pfaff. "Die mobile Urlaubsform steht für Freiheit und Unabhängigkeit."

Doch bei manchem steht sie auch für Frust und Unbill. In Internetforen und Leserbriefspalten diverser Fachmagazine beklagen Freunde der mobilen Urlaubsform ein deutliches Zuviel an Mobilität: nämlich dann, wenn ihr jeweiliger Wunschstellplatz überfüllt ist und sie gezwungen sind, sich anderswo einen Schlafplatz zu suchen. Vor allem freitags setze ein Ansturm auf viele Stellplätze ein, sagt Dirk Dunkelberg vom Deutschen Tourismusverband (DTV): "Wer sich nicht bis zur Mittagszeit einen Platz gesichert hat, geht leer aus."

Für Nicht-Camper kurz eine Begriffsklärung: Stellplätze sind in der Regel Wohn- und Reisemobilen vorbehalten. Sie liegen oft an Ortsrändern und haben meist, aber nicht immer, nur eine eingeschränkte Infrastruktur; manchmal sind nur Anschlüsse für Strom und Wasser vorhanden. Campingplätze dagegen sind meist voll ausgestattet, bieten Sanitärhäuser, oft auch Schwimmbad, Sauna oder Fitnessraum. Auf ihnen kommen auch Menschen mit Zelt oder Caravan-Anhänger unter.

Der Boom bei Wohnmobilen führt nun dazu, dass die bei Wohnmobilfahrern besonders beliebten Stellplätze in Stadtrandlagen äußerst gefragt sind. "Gerade für eine Kurzreise sind diese Plätze ideal", sagt Viktoria Groß vom Deutschen Camping-Club (DCC). Das haben auch Besitzer von Spaßbädern oder Weingütern erkannt: Sie bieten vermehrt Reisemobilstellplätze an.

Doch das reicht nicht aus, sagt Dunkelberg. Der DTV schätzt, dass die Zahl der bundesweit geschätzt etwa 3500 bis 3700 Stellplatzanlagen eigentlich verdoppelt werden müsste, um der Nachfrage gerecht zu werden. Vor Kurzem erst hatte der DTV Vertreter von Städte- und Gemeindeverbänden zu einem Treffen auf die Campingmesse in Essen geladen, um auf die Problematik hinzuweisen. Das Ganze sei vergleichbar mit den Fernbussen, machte Dunkelberg da deutlich: Deren Zahl sei seit der Liberalisierung des Marktes im Jahr 2013 auch deutlich gestiegen, die Infrastruktur aber kaum mitgewachsen. So hatte der ADAC im Januar gezeigt, dass Reisende etwa in Göttingen noch immer unter freiem Himmel warten müssen.

Um den Reisemobilisten ähnliche Engpässe zu ersparen, müssten vor allem die Städte und Gemeinde handeln, fordert der DTV. Der Verband lässt derzeit eine Broschüre mit Planungstipps für die Kommunen überarbeiten. Laut einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums von 2011 geben Wohnmobilisten im Schnitt 45 Euro pro Tag aus. Zudem nennen fast 90 Prozent Deutschland als ihr liebstes Reiseziel, danach folgen Frankreich und Italien.

35 135 Wohnmobile

wurden 2016 in Deutschland zugelassen - so viele wie noch nie zuvor. Der Zuwachs gegenüber dem Vorjahr lag bei knapp 24 Prozent und übertraf alle Erwartungen.

Zumal das Gedrängel um die Stellflächen noch heftiger werden dürfte. Laut einer Umfrage des Branchenverbands rechnen 80 Prozent der Hersteller in diesem Jahr mit weiter steigenden Absätzen, einige Unternehmen operieren schon am Rande ihrer Produktionskapazität. Dennoch will der CIVD mit mehreren TV-Spots die Nachfrage weiter anheizen. Manch ein Wohnmobilist stöhnt da auf: Auch weil die Hersteller den Hals nicht voll bekämen, gehe es auf den Stellplätzen nun so eng zu.

Der DCC hofft, dass auch die Betreiber von Campingplätzen reagieren. So zeichnet der Verband auf der Essener Messe eine Anlage im Allgäu aus, wo Reisemobilstellplätze vor der Zufahrtsschranke zum Campingareal eingerichtet wurde. Das biete Wohnmobilisten die nötige Flexibilität. Und mehr Stellplätze würden noch ein anderes Problem entschärfen: Denn laut DCC rüsteten zuletzt viele Supermärkte ihre Parkplätze mit Schranken oder Höhenbeschränkungen aus, weil sich dort Wohnmobilisten niederließen. "Camper sind ein geselliges Völkchen", sagt Groß. Sind die mal da, "ziehen sie weitere an".

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SZ vom 04.03.2017
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