Stellenabbau in Servicezentren der Bahn:Bitte warten. Und warten. Und warten.

Von wegen zehn Minuten: In Großstädten müssten die Menschen in Reisezentren der Deutschen Bahn bis zu eine Stunde lang anstehen, um am Schalter beraten zu werden. Das kritisieren Verbraucherschützer und warnen: Der Jobabbau in den Reisezentren der Deutschen Bahn gehe zulasten der Kunden.

Daniela Kuhr

Die Absicht der Deutschen Bahn, fast jede dritte Stelle in ihren Reisezentren zu streichen, stößt auf scharfe Kritik. "Statt den Service abzubauen, müsste er vielmehr dringend ausgebaut werden", sagte Holger Krawinkel, Bahnexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, der Süddeutschen Zeitung. "Schon jetzt gibt es zum Teil endlose Warteschlangen vor den Schaltern. Gerade für ältere Menschen, die sich mit Automaten und Internet oft schwertun, werden Bahnreisen damit künftig noch umständlicher."

Auch der Fahrgastverband Pro Bahn zeigte keinerlei Verständnis für die Pläne der Bahn. Konzernchef Rüdiger Grube müsse das Vorhaben sofort stoppen und "endlich den Kunden in den Mittelpunkt stellen", sagte Verbandssprecher Matthias Oomen. Er kritisierte, dass bereits jetzt an vielen Bahnhöfen nur noch Automaten stünden, die zahlreiche Menschen nicht bedienen könnten.

In Großstädten betrage die Wartezeit an Schaltern bis zu einer Stunde. Auf dem Land sei man häufig ebenso lange unterwegs, bis man überhaupt noch ein Reisezentrum mit Beratung erreiche. In vielen Fällen, etwa bei komplizierten Bahnreisen ins Ausland, sei eine gute persönliche Beratung aber unverzichtbar.

Derzeit betreibt die Bahn bundesweit 400 Reisezentren, in denen etwa 2350 Reiseberater arbeiten. Am Freitagabend hatte der Konzern bekannt gegeben, dass er in den kommenden fünf Jahren 700 dieser Stellen streichen will. Grund dafür sei, dass immer mehr Reisende ihre Fahrkarten im Internet oder an Automaten kaufen.

Nach Angaben der Bahn liefen 2005 noch 46 Prozent der Ticketumsätze über die Reisezentren. Inzwischen seien es nur noch 22 Prozent. Bis 2016 erwartet der Konzern einen weiteren Rückgang auf 17 Prozent. Vor diesem Hintergrund will die Bahn 350 Mitarbeiter in andere Stellen des Konzerns versetzen. Etwa die gleiche Zahl werde altersbedingt oder durch normale Fluktuation ausscheiden.

"Brutaler Kahlschlag"

"Durch diese interne Anpassung reagieren wir auf das geänderte Nachfrageverhalten und sichern damit die Zukunftsfähigkeit unserer Reisezentren", sagte Ulrich Homburg, der im Vorstand der Bahn für den Personenverkehr zuständig ist. Auf die Kunden werde sich die Neuordnung "nicht auswirken", betonte er. Auch solle kein Reisezentrum geschlossen werden.

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG sprach dennoch von einem "brutalen Kahlschlag, der hier stattfinden soll". Die Kürzungen seien "unverständlich, unüberlegt und unausgegoren", sagte EVG-Vorstand Reiner Bieck. Zwar habe der Verkauf von Tickets über Internet und Automaten zugenommen. "Aber die Beratung findet eben in den Reisezentren, am Schalter, statt." Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Umsätze in den Verkaufsstellen zurückgingen.

Viele Kunden informieren sich in den Reisezentren über die besten Verbindungen, um das Ticket dann, in manchen Fällen kostengünstiger, am Automaten oder über das Internet zu buchen." Diesem Beratungswunsch müsse die Bahn jedoch nachkommen.

Bieck verlangte ein "schlüssiges Konzept". EVG, Betriebsräte und der Vertrieb der Bahn würden derzeit über ein Zukunftskonzept für den Vertrieb beraten. Was jetzt auf dem Tisch liege, sei jedoch der "übliche kalte Kaffee".

Der Gewerkschafter erinnerte an die Aussagen von Grube aus dem Mai vergangenen Jahres. Damals habe der Bahnchef gesagt, es werde keinen Personalabbau im Vertrieb und in den Reisezentren geben, solche Vorhaben seien von ihm nicht gebilligt. Außerdem sollten Service und Reisequalität stetig verbessert werden, hatte Grube versprochen. "Das wäre jetzt das Gegenteil von dem, was damals erklärt wurde", sagte Bieck.

Auch der Bahnbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Burkert, forderte Grube auf, die Entscheidung rückgängig zu machen. Die Reise- und Kundenberater würden dringend gebraucht, sagte Burkert. "Gerade die Pendler und ältere Menschen sind auf die mit Personen besetzten Reisezentren der Bahn an den Bahnhöfen angewiesen."

Personenverkehrs-Vorstand Homburg wies die Kritik zurück. Persönliche Beratung, Service und Verkauf vor Ort blieben auch in Zeiten von Internet und Mobiltelefon für die Kunden wichtig, sagte er. "Deshalb wollen wir den Kundenservice in den Reisezentren weiter ausbauen." So sei von Ende des Jahres an dort auch die Erstattung von Online-Tickets möglich.

Zudem werde der Konzern sieben Millionen Euro in die Modernisierung der Reisezentren stecken, etwa für neue Sitzgelegenheiten oder anderes Mobiliar. Laut Bahn sind die Kunden mit den Reisezentren derzeit sehr zufrieden. Im ersten Halbjahr 2011 hätten mehr als 90 Prozent der Kunden den Kauf im Reisezentrum mit "gut" oder "sehr gut" beurteilt. Mehr als 85 Prozent der Kunden sollen 2010 innerhalb von zehn Minuten beraten worden sein.

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