Stekenjokk im Nordwesten von Schweden:"Eierdiebe sehen aus wie ganz normale Leute"

Das Naturschutzgebiet Stekenjokk ist ein Paradies für Schnee-Eulen, Königsadler und Wiesenpieper. Doch die Ranger in Stekenjokk haben einen Feind: den Eierdieb. Immer wieder werden Eierschalen und Küken gestohlen.

Heidi van Elderen

Der Sommer hat sich in diesem Jahr mehr Zeit als sonst gelassen. Nur langsam ist die meterhohe Schneedecke geschmolzen, bis die Hochebene grün-braun vor einem liegt.

Grafik Schweden Stekenjokk

Das Naturschutzgebiet Stekenjokk liegt im Nordwesten Schwedens.

(Foto: SZ Grafik)

Diese spärlich bewachsenen Hügel sind das Revier von Håkan Berglund. Jede Anhöhe, jeden Busch kennt er hier. Nun deutet er gen Westen und sagt: "Da hinten sitzt ein Alpenschneehuhn noch auf dem Nest.

Gelb-braun gesprenkelt sind die Eier der werdenden Vogelmutter, jene Eier, die Menschen auspusten, um die leeren Schalen in ihre Schreibtischschublade zu legen. Und genau das will Håkan Berglund verhindern, der kräftige Mann mit dem von unzähligen Lachfalten und den eisigen nordischen Wintern gezeichneten Gesicht.

Königsadler, Mornellregenpfeifer, Wiesenpieper - sie alle gibt es hier im Naturschutzgebiet Stekenjokk im Nordwesten Schwedens. Es ist ein Paradies für seltene Vögel, ein Paradies, das auch Wilderer anlockt.

"An die 30. 000 Eier von 28 Arten haben die in den letzten Jahren hier geklaut. Wir wissen das so genau, weil die Schurken alle Fundorte dokumentiert haben. Und wir hatten so lange keine Ahnung", erzählt der Ranger. Erst ein Tipp von den Briten hatte die schwedische Polizei auf die Spur der Eierdiebe im eigenen Land geführt. Wobei es nicht allen Wilderern um die Eierschalen geht. Manche sind auch auf die Küken aus, vor allem die der Schnee-Eulen. "Seit den Harry-Potter-Filmen sind das beliebte Haustiere", sagt Håkan Berglund.

Es ist nicht leicht für ihn zu unterscheiden, wer von den Besuchern ein echter Naturliebhaber ist, wer also nur herkommt, um Lachsforellen zu angeln, Gipfel zu erklimmen oder Rentiere zu beobachten. Und wer Räuber. 460 Quadratkilometer des Naturschutzgebietes waren in diesem Frühsommer deshalb zum Schutz der Gelege erstmals gesperrt worden.

Da die Vögel wegen des späten Sommers ungewöhnlich spät mit dem Nestbau begannen, wurde das Zutrittsverbot einige Wochen verlängert. In dieser Zeit kontrollierten der Ranger und seine Kollegen das Gebiet täglich. Schon wer den asphaltierten Weg verließ, der zu der 500 Kilometer langen "Wildnisstraße" gehört und zu den spektakulärsten Panoramawegen des Landes zählt, machte sich verdächtig.

Kein Mensch, kein Polarfuchs

Håkan sucht die Ebene mit seinem Fernglas ab. Kein Mensch, kein Polarfuchs, nicht einmal ein Vogel ist zu sehen. Nur die dunklen Wolken am Himmel und darunter weite ungezähmte Landschaft. Plötzlich steckt Håkan Berglund die Finger in den Mund. Er hat einen Mann und ein Mädchen gesehen, die die Verbotsschilder missachten. Hakan pfeift - und die beiden bleiben sofort stehen. So einsichtig allerdings sind die wenigsten.

Stekenjokk im Nordwesten von Schweden: Das Naturschutzgebiet Stekenjokk ist ein Paradies für seltene Vögel, ein Paradies das auch Wilderer anlockt.

Das Naturschutzgebiet Stekenjokk ist ein Paradies für seltene Vögel, ein Paradies das auch Wilderer anlockt.

(Foto: Getty Images/Altrendo)

Durchschnittlich fünf Touristen am Tag holt Berglund aus dem gesperrten Gebiet. "Besonders die Deutschen sagen dann gerne: Aber wir sind doch keine Eierdiebe." Das würde Håkan nur zu gerne glauben, aber Ausnahmen macht er nicht. "Ich habe Fotos von den Eierdieben gesehen. Sie sehen aus wie ganz normale, nette Leute."

Die Eierdiebstähle im Stekenjokk-Gebiet haben nicht nur unzählige Vögel ihres Nachwuchses beraubt. Sie haben auch das Weltbild von Håkan Berglund erschüttert. Er ist hier aufgewachsen, in dieser mit einem Einwohner pro Quadratkilometer extrem dünn besiedelten Region, in der Haustüren nicht abgeschlossen werden und in der Verbrechen etwas ist, das woanders passiert.

"Ich habe immer mit Touristen über unsere wunderbare Natur gesprochen. Jetzt frage ich mich oft, ob ich dabei nicht auch einem der Eierdiebe Tipps gegeben habe. Eine schreckliche Vorstellung. Inzwischen werde ich schon misstrauisch, wenn ein Auto nur langsamer fährt." Als kurz darauf ein großer Geländewagen sein Tempo drosselt und schließlich anhält, lächelt Håkan aber. Dieses Auto kennt er.

Eine Minute später läuft eine junge Frau die Böschung hinunter und umarmt ihn. Es ist Sonja Almroth, die Rangerin aus der angrenzenden Provinz Västerbotten. "Ich bin noch immer im Schockzustand", sagt sie. "Die meisten Bestände wurden nicht gefährdet, aber bei seltenen Vögeln wie dem Königsadler kann Eierdiebstahl sicher zum Aussterben beitragen." Doch die Behörden nähmen das Problem sehr ernst, versichert Berglund. "Wir hatten reichlich Unterstützung von Hundestaffeln und Polizeihubschraubern mit Wärmebildkameras, die einen Eierdieb auch unter einem Busch entdecken würden."

Richtig eilig hatten es die schwedischen Behörden aber nicht. Der erste Hinweis auf das Verbrechen im nordischen Naturschutzgebiet kam schon im Mai 2010 von der National Wildlife Crime Unit in Großbritannien. Dort habe man bei einem Eiersammler 2000 Eier entdeckt - aus Schottland, Südafrika, Australien und Skandinavien, berichtet Guy Shorrock, der bei der Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) arbeitet und die Untersuchungen leitete. Im Zuge der Ermittlungen fand man Vogeleier auch bei Sammlern in Schweden und Finnland.

"Die Eierdiebe haben ein länderübergreifendes Netzwerk", ist sich auch der Ermittler Seppo Mäkitalo sicher. Dabei gilt: Je seltener ein Ei ist, desto mehr bringt es in Sammlerkreisen. "Wir haben gehört, dass für das Ei eines Sterntauchers einmal rund 3000 Euro gezahlt wurden", sagt Håkan Berglund. Die schwedische Naturschutzbehörde schätzt, dass die gestohlenen Eier vom Stekenjokk mehrere hunderttausend Euro wert waren.

Unberührte Wildnis

Mittlerweile ist das Stekenjokk-Gebiet wieder zugänglich, eine unberührte Wildnis, in der man auf markierten Wanderwegen oder mit Karte und Kompass mehrstündige Spaziergänge machen oder auch tagelang unterwegs sein kann. Oft ohne einem anderen Menschen zu begegnen. Einige Pfade eignen sich zum Mountainbiken. In der Nähe liegt der türkis schimmernde Wasserfall Gaustafallet, an dem eine Szene von Ronja Räubertochter gedreht wurde.

Im benachbarten Naturschutzgebiet Bjurälven fließen unterirdische Bäche, die gelegentlich an die Oberfläche kommen. Südlich vom Stekenjokk, zwischen Stora Blåsjön und Ankarvattnet, kann man eine geführte Tour durch Schwedens längste Grotte, die Korallgrottan, machen. Zu den schönsten Erlebnissen im Stekenjokk-Gebiet gehört aber die Begegnung mit Wildtieren. Rentiere trifft man auf dem Hochplateau und in den spärlichen Fjällbirken-Wäldchen sehr häufig. Mit ein bisschen Glück kann man sogar die scheuen Braunbären oder die seltenen Polarfüchse sehen.

Dass auch Vögel und ihre Küken schützenswert sind, ist noch gar nicht so lange selbstverständlich. Das Sammeln von Eiern hat vor allem in Großbritannien eine lange Geschichte. Während der britischen Kolonialzeit war das Studieren von Vogeleiern noch ein angesehener Zweig der Ornithologie. Doch auch in Großbritannien ist es seit 1954 illegal, seit 2001 kann Eierdiebstahl sogar mit einer Haftstrafe geahndet werden.

"Seitdem ist das Verbrechen seltener geworden, aber es kommt weiter vor", sagt Guy Shorrock. Lange hatten die Vogelschützer geglaubt, dass Eiersammeln ein britisches Phänomen sei. "Aber es gibt immer mehr Beweise, dass Eierdiebe auch in Schweden und Deutschland seit Jahren aktiv sind. Nur eben unbemerkt." Viele Sammler seien von ihrer Leidenschaft besessen. Die meisten gingen selber auf Eiersuche. "Sie dokumentieren pedantisch, wann sie wo welche Eier entwendet haben." Allerdings werde mit den Eiern auch immer mehr getauscht und gehandelt, berichtet Shorrock.

Eines aber gibt dem Vogelschützer Anlass zur Hoffnung. Die meisten Eierdiebe, sagt Shorrock, seien Männer über 40. Offenbar fehlt der Nachwuchs. "Es wäre zu schön, wenn das Phänomen einfach ausstirbt."

Weitere Informationen:

Anreise: mit dem Flugzeug über Stockholm nach Östersund oder Vilhelmina, weiter mit dem Mietwagen. Das Naturschutzgebiet liegt von den Flughäfen ca. 300 beziehungsweise 150 Kilometer entfernt.

Übernachten: Hotel Klimpfjällsgården, www.klimpfjallsgarden.se; Ferienhäuser: Blåsjöns Fjällcamp, www.fjallcamp.se

Weitere Auskünfte: Tourismusbüro Gäddede, www.frostviken.se; www.lapplandturism.se; www.wildernessroad.eu; Vogelschutzorganisation: www.rspb.org.uk; Die beste Reisezeit ist Mitte August bis Mitte September; von Mitte Oktober bis Ende Mai ist die Straße über den Stekenjokk gesperrt, das Gebiet kann im Winterhalbjahr mit Schneemobilen, Hundeschlitten oder auf Skiern erkundet werden.

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