Staunen auf Sinai:Spuren im Stein

Wo Tagesausflügler eilig Geschichte abhaken, finden andere so viel mehr. Der Sinai ist eine faszinierende Halbinsel - ein neues Buch zeigt, wie man sie entdeckt: Es stellt die Glaubensorte und die archaische Landschaft in historische Zusammenhänge.

Stefan Fischer

Rein quantitativ betrachtet ist der Sinai ein Nebenschauplatz in der Bibel: Geschichten von dort erzählen nur das 2. Buch Mose und das 1. Buch der Könige. Aber es sind wesentliche Ereignisse, die in diesen Passagen geschildert werden, zentrale Fundamente des christlichen Glaubens. Wer sich heutzutage auf den Spuren der Bibel durch den Sinai bewegt, findet naturgemäß nicht viele Schauplätze, eben weil die Heilige Schrift nur wenige aufführt. Aber die Spuren sind deutlicher zu lesen als die meisten in Israel und Palästina - denn dort ist anders als im Zentralmassiv des Sinai über die Jahrtausende hinweg kein Stein auf dem anderen geblieben.

Israel Sinai Katharinenkloster

Das Katharinenkloster ist Ziel vieler Tagesausflügler.

(Foto: Angela Merker, picture-alliance / dpa)

"Und sie zogen aus in ein wüstes Land . . ." heißt der Band des Autors Ulfrid Kleinert und des Fotografen Rolf Kühn über eine solche Spurensuche auf der ägyptischen Halbinsel. Die beiden beziehen sich auf Moses, der das Volk der Israeliten aus dem Niltal in das wüste Land des Sinai und von dort weiter nach Kanaan geführt haben soll. Auch Kleinert und Kühn finden ein wüstes Land vor: Noch immer ist der Sinai eine karge, eine unwirtliche Landschaft; ein Randgebiet der menschlichen Zivilisation. Selbst wenn er längst einfacher zugänglich ist.

Entweihung eines heiligen Ortes

Das Katharinenkloster vor allem ist seit Jahrzehnten ein Tagesausflugsziel für Bustouristen, die am Roten Meer Urlaub machen. Allmorgendlich befördern Beduinen ganze Scharen von Besuchern auf Kamelen den Serpentinenweg hinauf auf den Mosesberg. Denn die Touristen möchten dort den Tagesanbruch erleben, wo der Prophet sich zurückgezogen haben soll zur Begegnung mit Gott, zum Empfang der Gebote.

Ulfrid Kleinert erinnert sich daran, wie er vor 30 Jahren mit einer kleinen Studentengruppe auf dem Mosesberg übernachtet hat und wie die Gruppe bei Sonnenaufgang mit Wein und Brot "die Entstehung der Welt miteinander gefeiert" hat. Inzwischen jedoch umlärmten Touristen diesen eng gewordenen Platz, eine Gottesdienststimmung sei somit unmöglich. Kleinert schreibt gar von einer Entweihung, hoffend, dass eine solche dem zweiten großen Gipfel des Sinai, dem Katharinenberg, erspart bleibe.

Es ist nicht das einfältige Lamento eines Reisenden, der sich von anderen gleichgesinnten Reisenden gestört fühlt. Kleinert reklamiert für sich vielmehr ein höheres Interesse. Das Katharinenkloster sowie die biblisch bedeutsamen Gipfel sind ihm nicht touristische Sehenswürdigkeiten, sondern Glaubensorte. Als solche stellen er und der Fotograf Rolf Kühn sie vor: Die Aufnahmen sind vordergründig ganz schlicht dokumentarisch, wobei Kühn Momente abpasst und Blickwinkel wählt, die Erhabenheit und Zeitlosigkeit ausdrücken.

Religiosität ganz ohne Pomp

Menschen tauchen nur selten und am Rande auf diesen Bildern auf. Die Fotografien zeigen die archaische Landschaft des Sinai und die wenigen, überwiegend simplen sakralen Bauwerke, die die Menschen in ihr hinterlassen haben. Zeichen einer Religiosität ganz ohne Pomp.

RNPS IMAGES OF THE YEAR 2009

Touristen betrachten den Sonnenaufgang auf dem Berg Moses.

(Foto: REUTERS)

In den Texten deutet Ulfrid Kleinert diese Spuren. Historisch ist an den Geschichten des Alten Testaments wenig verbürgt. Doch sind die biblischen Erzählungen von alters her mit realen Orten verknüpft: So gibt es nur wenige Wasserquellen auf dem Sinai. Wenn man annimmt, dass jeder biblischen Geschichte eine Urerfahrung zugrunde liegt, die sich aus realen Lebenssituationen ableitet, dann gibt es dazu auch reale Orte. Etwa Wasserstellen, an der Mann und Frau zusammenfanden (In der Bibel: Isaak und Rebecca) oder Flüchtende Rettung fanden (Jakob, Esau entkommend; auch er fand zudem seine Brunnen-Frau, Rahel).

Keine Reiseanleitung mit praktischen Hinweisen

Das Buch ist keine Reiseanleitung mit praktischen Hinweisen, vielmehr stellt es ein Hilfsmittel dar, das einem zu dekodieren ermöglicht, was man auf einer Sinai-Reise zu Gesicht bekommt. Und es ist deshalb ein Plädoyer dafür, nicht als eiliger Tagesausflügler ein im Reiseführer mit zwei, drei Sternen angepriesenes Ziel pflichtschuldig abzuhaken. Sondern sich Zeit zu nehmen, einen Landstrich und seine kulturgeschichtliche Relevanz zu ergründen; mit Menschen, die dort leben, ins Gespräch zu kommen.

Man muss gar nicht gläubig sein, um daran Gefallen zu finden. Kleinert und Kühn missionieren nicht; jedenfalls nicht für die Amtskirche und das Christentum als Religion. Wenn überhaupt, werben sie für das Alte Testament als Grundlage der abendländischen Kultur. Sie stellen den Sinai wieder in seinen historischen Zusammenhang, der im Bewusstsein vieler Rote-Meer-Urlauber verloren gegangen ist.

Ulfried Kleinert, Rolf Kühn: Und sie zogen aus in ein wüstes Land . . . Auf den Spuren der Bibel durch den Sinai. Primus Verlag, Darmstadt 2011. 144 Seiten, 24,90 Euro. zum SZ-Shop...

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