Statistik des Deutschen Alpenvereins:Immer mehr Bergsteiger überschätzen sich

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Aber reicht der Atem noch für den Heimweg? Immer häufiger überschätzen Menschen beim Bergsteigen ihre Kräfte. (Foto: Getty Images)

Die Zahl der tödlichen Unfälle beim Bergsteigen ist gesunken - dafür häufen sich laut Alpenverein Notfälle, weil Kletterer ihre Kräfte falsch einteilen.

Von Ferdinand Otto, München

Die Kräfte lassen nach, die Arme verkrampfen, die Muskeln in den Beinen beginnen zu zittern: So fängt der klassische Bergunfall an. Der Deutsche Alpenverein (DAV) hat in München seine Bergunfallstatistik für die vergangenen zwei Jahre vorgestellt. Dazu hat sich der DAV unter seinen Mitgliedern umgehört und festgestellt: Dafür, dass stetig mehr Menschen in den Alpen unterwegs sind, passieren prozentual weniger schwere Unfälle. Aber: Die Selbstüberschätzung der Bergfreunde nimmt offenbar zu.

So stiegen zwar die gemeldeten Unfälle unter den DAV-Mitgliedern in den Alpen von 784 in 2012 auf 876 im Jahr 2013 - was aber einerseits daran liege, dass "das Jahr 2012 ein besonderer Ausreißer nach unten war, der Trend insgesamt ist rückläufig", wie DAV-Sprecher Thomas Bucher sagt. Bei den tödlichen Unfällen stieg die Zahl von 28 Toten im Jahr 2012 auf 36 in 2013. Berücksichtigt man jedoch die gestiegene Anzahl der Bergfreunde und die Zeit, die sie in den Alpen verbringen, fällt der Anstieg geringer aus. Zum Vergleich: 1950, als der DAV zum ersten Mal die Zahlen erhob, verunglückten rund 0,03 Prozent der DAV-Mitglieder tödlich. Inzwischen schrumpfte diese Zahl auf etwa 0,004 Prozent.

Der DAV untersuchte für die Studie zwar nur die eigenen Mitglieder, bei mehr als einer Million - davon allein 125 000 in München - würden diese aber ein recht repräsentatives Bild auf die Alpen insgesamt werfen, so Pressesprecher Bucher.

Besonders beunruhigend ist für den DAV aber ein Trend: Immer mehr Unverletzte müssen die Bergrettung rufen, weil sie aus eigener Kraft nicht mehr weiter können- sei es aus psychischen Gründen oder schlicht aus Erschöpfung. Unter allen Bergsportarten scheinen sich besonders die Kletterer zu überschätzen. Sie seien oft überfordert von ihrer Route und überschätzten sich. Rücken die Retter an Klettersteigen zu Notfällen aus, dann sind die Opfer inzwischen häufiger unversehrt - vor drei Jahren mussten sie noch deutlich häufiger Verletzte bergen.

Das erlebt auch Andreas Dahlmeier von der Bergwacht Garmisch-Partenkirchen. In seinem Revier liegen die Münchner Hausberge, das Oberreintal und die Zugspitze - im Jahr rückten er und seine Kollegen im Schnitt zu rund 800 Einsätzen aus, fast ein Viertel davon per Hubschrauber. Sein neues Sorgenkind ist der Mauerläufer Klettersteig an der Alpspitze: Schon viermal hingen allein dieses Jahr Menschen in der Wand und mussten gerettet werden. Für ihn, sagt Dahlmeier, seien besonders die Fälle mit Unverletzten schwer einzuschätzen. "Die Menschen rufen bei mir im Tal an - und ich muss beurteilen, wie schlecht es ihnen wirklich geht, ob sie wirklich nicht weiter können und ob wir ausrücken müssen." Kaum eine andere Bergregion weltweit stehe unter so großem Touristendruck wie die Bayerischen Alpen.

Zum ersten Mal untersuchte der DAV in seiner Studie auch Kletterhallen: Besonders beim Bouldern, also dem Klettern ohne Seil, sei das Verletzungsrisiko hoch. Beim Seilklettern wiederum passierten besonders viele Unfälle beim Vorstieg. Der Kletterer hängt sich dabei unterwegs immer in neue Haken ein, er steigt über seine letzte Sicherung hinweg, um die nächste zu erreichen.

© SZ vom 06.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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