10. Station: Französisch Polynesien:Sekt in der Champagner-Bucht

Lang sind die Tage in der Südsee und dankbar ist der Weltreisende für die Kellner, die ein Strandfest arrangieren.

Klaus Podak

Wahrscheinlich über kein anderes Wasser-Weltgebiet ist mehr und Widersprüchlicheres geschrieben worden als über die Südsee. Das ging 1513 los, als der spanische Konquistador Vasco Núñez de Balboa nach Überquerung der Landenge von Panama einen neuen Ozean sah und ihm diesen Namen gab: Südsee. Er tat das nicht nur, weil er nach Süden blickte. Er glaubte, in dieser Meeresweite der sagenhaften, noch von keinem Europäer je gesehenen, von den Geografen aber seit tausend Jahren geforderten Landmasse auf die Spur gekommen zu sein, die als der unbekannte "Südkontinent", als "Terra australis incognita" die Phantasie der Gelehrten beschäftigte. Einen Südkontinent musste es aber geben, um die Erde - egal ob Scheibe oder Kugel - im Gleichgewicht zu halten. Die nördlichen Landmassen allein, so die Gelehrten, hätten die Erdwelt zum Umkippen gebracht.

Mit geschwellter Brust und in voller Montur servieren die Stewards den edlen Tropfen.

Mit geschwellter Brust und in voller Montur servieren die Stewards den edlen Tropfen.

(Foto: Foto: Podak)

Suche nach dem Südsee-Paradies

Balboa fand die Terra australis nicht, doch die Idee mit der Südsee war so verkehrt nicht. Mehr als zweihundert Jahre später fuhr der Franzose Bougainville durch die Wasser, besuchte Inseln und Insulaner und brachte die Geschichte von den "edlen Wilden" nach Europa - mit bis heute sinnverwirrend wirkenden Folgen. Friede, Freude, Liebe - die sogar in schärfster Form -, schienen doch möglich zu sein unter den aus dem Paradies vertriebenen Menschen. Biedere, fromme deutsche Poeten erwogen damals ernsthaft die Emigration ins heitere, immer schön warme, endlich wiedergefundene Paradies. Das suchen Touristen und Weltreisende heute noch in der Südsee. Doch Bougainville und seine Bordschreiber hatten sich geirrt.

Aber ich höre schon auf, in alten Geschichten zu kramen, so lustig und lehrreich sie auch sind. Ein paar kritische Leser haben mich getadelt. Ich soll nicht schreiben, was sie selbst in Büchern lesen können. Ich soll nicht so viel von dem notieren, was mir durch den Kopf geht beim Reisen. Ich soll mehr schreiben, was so los ist an Bord, soll erzählen von den Menschen, die eine Weltreise machen. Soll mehr von dem berichten, was so passiert an Land. Und nicht so viele Zahlen.

Eine Meerfahrt von dieser Dauer, mit vielen Seetagen, an denen Wetter und Wasser sich dem Reisenden als alles bestimmende Gewalten aufdrängen, ist ganz wesentlich eine Kopf und Gefühl ständig beeinflussende, ständig verändernde Reise. Der Schriftsteller Alain de Botton, dessen Buch "The Art of Travel" ("Die Kunst des Reisens") im vergangenen Jahr erschienen ist, meinte zu dieser Kunst in der International Herald Tribune: "Reisen scheint die Zeit zu sein, in der Leute ihre Gemütsverfassung ändern, weil sich ihre Umgebung ändert." Recht hat er. Reisen bildet um.

Wellen hinterm Wolkenvorhang

Während ich dies schreibe, im Kreuzfahrtschiff auf der Südsee - Laptop auf der winzigen Oberfläche des halbrunden, an der Kabinenwand festgemachten Schränkchens - sehe ich ab und zu durchs Fenster auf den feinen, dichten, warmen Tropenregen, der seit vier Stunden Wasser im Pazifik nachfüllt. Ungefähr dreihundert Meter weit kann man blaugraue Wellen sehen, alles dahinter verdeckt der hellgraue Regenvorhang: gekappte Unendlichkeit. Am Morgen war der Himmel voll weißgrauer Wolken, ließ aber eine feuchte Trockenheit zu.

Die MS Deutschland hatte sich sachte zwischen Inselchen, motu genannt, und kleinen Atollen hindurchgeschlängelt und ankerte ein paar Stunden in einer Bucht, deren Namen keine Seekarte kennt: Champagner Bay. Wir fuhren rüber zu einem schmalen Strand, anfangs enttäuscht, weil dieser Strand vom Schiff aus so mickrig und kurz aussah vor der Urwaldkulisse hinter ihm. Aber seine wahre Länge und seine Pracht hatte nur ein weiteres, ihm vorgelagertes motu verborgen. Freudige Erregung kam langsam auf bei den Anlandenden. Insulaner hatten unter den Palmen ihre Klapptische aufgestellt und versuchten, zu von Kindern dargebotenen frommen heimischen Gesängen, ihre irgendwo im ostasiatischen Raum billig erstandenen Waren zu stolzen Preisen loszuschlagen. Wenig erfolgreich, leider. Auch die Ananas-Scheiben für einen Dollar das Stück fanden keine Freunde. Doch all das tat der guten Stimmung keinen Abbruch - auf beiden Seiten. Wohlig stürzte sich das Volk der Passagiere in die klare Flut der Champagner-Bucht.

Ein Tablett voller Sekt im Weltmeer

Dann aber, unter einem immer weiter sich verdüsternden Himmel, schlug die Stunde des Kreuzfahrt-Managements. Der tiefere Sinn der überraschenden, im Programm überhaupt nicht vorgesehenen Ortswahl enthüllte sich. Ein Sondertenderboot vom Schiff landete an. Heraus sprangen Stewards und Stewardessen, balancierten Sekttabletts mit gefüllten Kelchen, eilten, rechts und links ihre Gaben austeilend, den Sandstrand entlang. Den Höhepunkt erreichte das Fest als die kecksten der Stewards und Stewardessen in voller Kluft mit vollen Tabletts bis zur Brust ins Wasser stiegen und nass austeilten, was noch übrig war, eine ziemliche Menge. Doch sogar das war noch zu überbieten. Eine der Sektträgerinnen fiel um, Sekt und Tablett landeten im Weltmeer: grenzenloses Vergnügen, für die Lieben daheim vollständig fotografiert und mit Hilfe allgegenwärtiger Camcorder dokumentiert. Schmunzelnd, irgendwie verständnisvoll sahen die Eingeborenen zu.

Später auf dem Schiff fasste Obersteward Battermann den geglückten Vormittag knapp zusammen: "Kam gut an." Sekt im Wasser der Champagner-Bucht - das ist kaum noch zu toppen. Als Kapitän Jungblut beim Ankerlichten über Bordlautsprecher auf die sich nun doch unausweichlich nähernde Regenwand hinwies, da konnte auch das den bislang sonnenverwöhnten Kreuzfahrern den Tag nicht mehr versalzen. Später gab es sowieso noch den Kapitänscocktail im Kaisersaal. Und dort ist auch gleich Gala: Die neu an Bord gekommenen Künstler stellen sich vor, mit Proben ihrer Talente. Danach Tanzmusik.

Es regnet immer noch. Sanft, aber beharrlich. Das Schiff hat längst wieder Kurs zum nächsten Hafen aufgenommen. Das Tagesprogramm meldet: "Vor uns liegen 576 Seemeilen, das sind ca. 1067 Kilometer." Morgen ist also Seetag. Es wird weiter regnen. Sechs Spielfilme verheißt das Bord-Fernsehprogramm. Vielleicht sehe ich mir "Tea with Mussolini" an. Kenne ich noch nicht. Oder ein Buch lesen? Über die Südsee? Eines aber sicher: den Regen ankucken, lange. Mal sehen, was der mit einem anstellt auf dem Weltmeer.

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