5. Station: Bei den Pinguinen in Puerto Madryn:Die schwarz-weiße Gesellschaft

Beobachtungen beim Magellan-Clan: In Patagonien pflegen die Pinguine außerordentlich vorbildliche Umgangsformen.

Klaus Podak

In Patagonien, dem Land der Leute mit den großen Füßen, wie man das Missverständnis der namengebenden Entdecker übersetzen könnte, in Patagonien warteten gelassen die Pinguine auf uns. In Puerto Madryn, wo das Weltreiseschiff festmachte, fuhren wir zwei Stunden lang durch die Steppe . Schließlich, wieder am Meer, waren wir in Punta Tombo, der Stadt der Pinguine angekommen.

Gute Umgangsformen - die Magellan-Pinguine haben ihr eigenes Verständnis vom Verhältnis Mensch-Tier.

Gute Umgangsformen - die Magellan-Pinguine haben ihr eigenes Verständnis vom Verhältnis Mensch-Tier.

(Foto: Foto: cpatagonia)

Eine Million, hatte man uns gesagt, leben dort. Ein paar Tausend, vielleicht auch nur ein paar Hundert haben wir tatsächlich gesehen, konnten zu ihrer Siedlung gehen, die eine Pinguin-Großstadt ist, die größte Siedlung von Pinguinen jenseits der Antarktis. Obwohl die Antarktis gar nicht so weit weg war, brannte die Sonne. Den Pinguinen schien das überhaupt nichts auszumachen.

Die zivilisierten Pinguine

Es war eine Sorte Pinguine, die es angeblich nur dort gibt, Magellan-Pinguine genannt. Sie haben sich vom üblichen Pinguindasein ein wenig entfernt, haben sozusagen eine erste Stufe der Zivilisation erklommen und stehen nicht mehr nur in Massen rum, wie es diese Magellan-Pinguine aber auch gern tun. Sie bauen sich Höhlen. Kleine nur, deren Zugangslöcher meist unter den kargen Gewächsen Patagoniens verborgen sind. In die Höhlen verziehen sie sich vor Feinden, an diesem Tag auch vor der Sonne, nicht aber vor uns. Vor Menschen haben sie keine Angst. Man hatte uns vor Demonstrationen allzu heftiger Tierliebe gewarnt. Mancher Besucher, hörten wir, der ihnen in der Vergangenheit zu nahe getreten war, hatte wochenlang an den blutigen Folgen blitzschneller Schnabelhiebe zu laborieren gehabt. Also verhielten wir uns zurückhaltend, voller Respekt.

Die Pinguine honorierten das durch unbefangene Nichtbeachtung ihrer lästigen, weil Wege versperrenden Gäste. Clanweise trippelten sie nahe an uns vorüber, dem Wasser zu, oder von dort zurück, wohl wieder ihren Höhlen zu. Grüppchen blieben auch schon mal stehen, schienen zu tratschen oder Wichtiges zu bekakeln. Wir entdeckten sie auch in ihren Löchern, wo sie in bewegungsloser Ruhe ausharrten oder, wie von schweren Träumen geplagt, sich ruhelos wälzten. Kein Fotoapparat, keine Videokamera konnte sie beeindrucken oder gar schrecken. Beeindruckt waren allein wir, die ungebetenen, aber nicht unfreundlich geduldeten Voyeure. Wovon aber beeindruckt, das lässt sich nur schwer fassen. Die große Zahl ist es nicht gewesen. Eher die gesitteten Umgangsformen, der kluge Höhlenbau, das ungerührte Verhalten. Vorsichtig zogen wir uns schließlich zurück.

Zurück auf dem Weltreiseschiff teilten wir den Zurückgebliebenen unsere Verwunderung über das Leben der erstaunlichen Tiere mit. Die Rätsel, die uns die Begegnung aufgegeben hatte, konnten wir nicht auflösen. Schon bald ging es weiter. Die MS Deutschland tutete wie gewohnt und nahm Kurs auf die Falkland-Inseln, 1204 Kilometer entfernt.

Vergessen im nichtendenden Schiffstrubel

Wie viel man doch vergisst, in ganz kurzer Zeit. Du machst eine Weltreise von 137 Tagen auf einem schönen Schiff, das überschaubar ist, nicht zu groß, nicht zu klein. Es fahren auch nicht unüberschaubar viele Menschen mit. 520 Passagiere passen drauf. 260 Besatzungsleute sorgen für alles, kümmern sich um alles, vom sicheren Kurs bis zum Obstteller am Abend in der schon am Morgen frisch aufgeräumten Kabine. Entertainer, Lektoren, Sportmenschen ersinnen Beschäftigungen. Über Langeweilevertreibung braucht kein Weltreisender nachzudenken. Er könnte sowieso nicht alles schaffen. Artisten an Bord, Musiker, Sänger, Schauspieler, versüßen, wenn die Nacht herniedergesunken ist, die dunklen Stunden mit ihren Künsten. Von den ständigen Verlockungen des prächtigen Essens, vom nicht enden wollenden Betrieb in Bars und Restaurants nicht zu reden.

Immer wird irgendwo, irgendwas gefeiert auf einem der zehn Decks. In allen Kabinen wartet 24 Stunden lang das Spielfilm-Fernsehen. Der Passagier, das ist wohl klar, hat es nicht leicht bei so viel Leichtigkeit des Seins. Unerträglicher? Hochmütig wäre es, das so zu sehen. Unwahr außerdem. Dann und wann nascht jeder von allem. Dann und wann muss allerdings das Verzichten geübt werden, so schwer es auch fällt. Sonst könnte einem die Welt verschwinden auf dieser Weltreise. Um die Welt sollte es aber gehen.

Namenlose Fotografien

Das Vergessen. Du hast zehn Filme voll geknipst in wenigen Tagen. In jeder Stadt, wo das Schiff angelegt hat, gibt es Foto-Shops. Nach zwei Stunden werden dir 360 Fotos plus zehn kleine Plastikalben ausgehändigt. Reiche Beute. Auf Kabine eine erste, stolze Betrachtung. Da passiert es: Du weißt bei der Hälfte der Bilder nicht mehr, was genau da zu sehen ist, wo genau das war, wann genau. Schlicht vergessen. Nachfragen bei den Tischgenossen helfen nicht viel. Sie wissen es auch nicht, obwohl sie beinahe die gleichen Bilder haben. Kleiner Trost: Einiges ist doch klar. Oft das, was auf den Ansichtskarten zu sehen war, die wir mengenweise verschickt haben. Folgt der Schwur: Das geschieht dir nie wieder. Ab jetzt werden Listen angelegt.

Aber hält das Schreiben von Listen nicht vom Sehen ab? Versäumt man dabei vielleicht gerade das, was des Knipsens wert gewesen wäre? Im Kopf des Reisenden herrscht Ratlosigkeit. Auch Trotz meldet sich: überhaupt nicht mehr fotografieren! Wäre aber blöd. Vielleicht erinnerte man sich, wenn man das wirklich durchhielte, am Ende der viereinhalbmonatigen Rundfahrt an überhaupt nichts mehr richtig. Hätte auch nichts zum Vorzeigen zu Hause. Wie, fragt sich der Reisende, macht man eine Reise? So dass am Ende auch etwas bleibt von dem vielen Neuen, dem viel zu vielen. Du musst, denkst du, vorgehen wie bei dem schlaraffenlandmäßigen Angebot der täglichen Vergnügungen: Das Verzichten üben. Weniges festhalten. Dieses gut überlegt aussuchen. Man muss, das ist an diesem Nachmittag der Weisheit vorletzter Schluss, die Reise, die Erinnerung an die Welt und ihre Welten erfinden. Nicht ganz. Denn dann hätte man zu Hause bleiben können. Du musst die Reise und die Welt zusammenbauen aus dem Material, das dir Reise und Welt so reichlich zur Verfügung stellt.

An die sonderbare Pinguin-Gesellschaft werden wir uns wahrscheinlich alle immer noch erinnern, wenn wir im Mai wieder zurück sind an unseren Lebens- und Arbeitsplätzen. Vielleicht wissen wir dann sogar genauer, warum sie uns so beeindruckt haben, die kleinfüßigen Bewohner Patagoniens. Die Fotos aus Punta Tombo werden wir sicher richtig beschriften.

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