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Städtereise-Serie "Bild einer Stadt":Wie tickt eigentlich ... Paris?

Lesezeit: 4 min

In der Stadt der Liebe verliebt man sich am besten in Paris selbst, das so schön ist wie auf Postkarten - sogar der Louvre, vorausgesetzt man erscheint zum richtigen Zeitpunkt.

Von Nadia Pantel

Eine Stadt zu bereisen, bedeutet nicht nur Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Sondern einen Blick in ihre Seele zu werfen - und dabei schöne Orte kennenzulernen, die auch Einheimische lieben. Wir haben unsere SZ-Kollegen in nahen und fernen Metropolen gebeten, "ihre" Stadt anhand eines Fragebogens zu präsentieren. Diesmal erklärt Nadia Pantel, warum man sich für Paris mindestens zwei Tage Zeit nehmen sollte und weshalb dabei ein Toiletten-Reiseführer nützlich sein könnte.

Was ist das Besondere an Paris?

Postkarten von Paris werden immer noch gerne in Schwarz-Weiß gekauft. Die Bögen der Brücken, die gotischen Wasserspeier, die karierten Bistrostühle: Ohne störende Farbe wirken die Formen dieser Stadt natürlich extra elegant. Nur leider sieht Paris auf diesen Postkarten oft so aus, als existiere die Stadt nur noch als Fantasie in einer Schneekugel voller Glitzerpartikel. Dabei gibt es die Brücken, die Gotik und die Bistros wirklich - in echt und dreckig und bunt. Vielleicht ist ein Paris-Besuch, der weniger als zwei Tage dauert, sinnlos. Einen Tag braucht man, um sich daran zu gewöhnen, dass hier wirklich alles so schön ist, wie es die Bildbände versprechen.

Und am zweiten Tag legt man dann langsam die Ehrfurcht ab, fährt in die nordöstlichen Stadtgebiete um die Bahnhöfe Gare du Nord und Gare de l'Est und versteht, was es eigentlich bedeutet, eine sogenannte Weltstadt zu sein. Hier leben Menschen aus Polen, China, Algerien, Mali (um nur ein paar zu nennen) und allen Provinzen Frankreichs. Auf den großen Boulevards werden Märkte aufgebaut, Kinderwagen hin- und hergeschoben und in den Straßencafés wird noch geraucht, als gäbe es keine abschreckenden Bilder auf den Zigarettenpackungen.

Und wie ticken die Einwohner?

Es ist nicht einfach, in Paris zu leben. Die Mieten sind viel zu hoch und die Wasserrohre viel zu alt, was dazu führen kann, dass man in einer sehr kleinen Wohnung mit Wasserschaden über dem Bett lebt. Und weil es deshalb niemand lang zu Hause aushält, sind die Metro, die Straßen und Parks überfüllt. Doch diese Ärgernisse werden Touristen gegenüber nicht eingestanden. Untereinander wird gejammert, nach außen darf aber kein Zweifel daran aufkommen, dass man in der weltweit einzigen Stadt lebt, in der es sich zu leben lohnt. Der Pariser verfügt also über ein sehr hohes Maß an Selbstkontrolle und Sendungsbewusstsein. Für Besucher hat das den schönen Nebeneffekt, dass alle unfassbar gut gekleidet sind. Es lohnt sich, mehrere Stunden einzuplanen, um nur im Straßencafé zu sitzen und Passanten zu bewundern.

Wie kommt man am besten mit ihnen in Kontakt - und wo?

Touristen sind zwar im Urlaub, ewig Zeit haben sie trotzdem nicht. Der Kontakt mit Einheimischen kann also nicht behutsam über Wochen am Tresen der Stamm-Brasserie aufgebaut werden. Daher empfiehlt es sich, von vornherein auf ungewöhnliche Lösungen zu setzen. Zum Beispiel auf das Buch "Où faire Pipi à Paris" von Cécile Briand. Dieser Toiletten-Stadtführer listet für jedes Arrondissement die Möglichkeiten auf, sich zu erleichtern. Um zu einem kostenlosen WC zu gelangen, schickt einen die Autorin in Behörden, auf Spielplätze, zu Bücherhallen. An genau die Orte also, an denen absoluter Alltag gelebt wird. Die Beschreibungen sind gut, aber nicht so gut, dass man nicht zusätzlich nach dem Weg fragen müsste. Und schon ist man im Gespräch.

Wohin gehen Einheimische ...?

  • zum Frühstücken: In Paris ein Croissant zu frühstücken, das ist nicht sehr originell, aber die richtige Entscheidung. Fast an jeder Straßenecke findet man eine Bäckerei, die sich nicht darauf beschränkt, vorgerührten Teig aufzubacken, sondern die tatsächlich ein Handwerksbetrieb ist. Wer sichergehen will, dass das Croissant nicht nur gut, sondern hervorragend ist, geht zum Beispiel zu Laurent Duchêne im 15. Arrondissement. Zu den Stammkunden von Duchêne gehört unter anderem Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris.
  • zum Mittagessen: Auch mittags kann man getrost zu den Bäckereien zurückkehren. Dort gibt es nämlich auch ein paar günstige und gute Tagesgerichte und Salate zum Mitnehmen. In Paris bei gutem Wetter ist nichts schöner als ein Picknick im Park. Zum Beispiel am Square du Temple im 3. Arrondissement. Der ist zwar nicht so hochherrschaftlich und imposant wie der Tuileriengarten oder der Jardin du Luxembourg, dafür darf man sich kurz so fühlen, als sei man in Paris zu Hause.
  • am Feierabend: Gleich am Pont Neuf, genau in der Mitte der Stadt, liegt die Place Dauphine. Im Frühjahr blühen hier die Kastanien und sobald es warm ist, nutzen Touristen und Anwohner den feinen Sand in der Mitte des Platzes zum abendlichen Boule-Spiel. Dieser Steh-Sport wird in Paris und ganz Frankreich ziemlich ernst genommen. An der Place Dauphine dürfen allerdings auch Leute Kugeln werfen, die das eigentlich gar nicht können. Und wenn man ständig daneben wirft, kann man dem Wein die Schuld geben, den man aus einer der Bars am Platze mitgenommen hat.
  • in der Nacht: Wie wäre es, nachts mal nicht an einen Ort zu gehen, an dem das wilde Leben tobt, sondern dorthin, wo mitten in dieser überschnellen Stadt endlich mal Ruhe einkehrt. Zum Beispiel in den Louvre. Tagsüber ist es in Europas größtem Museum so voll, dass man sich nur mit Mühe auf die Kunstwerke konzentrieren kann. Abends teilt man sich die Gemälde nur mit ein paar Studenten und anderen Eifrigen. Mittwochs und freitags hat der Louvre bis 21.45 Uhr geöffnet.

Was finden die Menschen in Paris gar nicht komisch?

Der einzelne Tourist kann in Paris gar nicht so viel falsch machen. 2017 haben mehr als 40 Millionen Menschen die Stadt besucht. Da kann man sich sicher sein, dass es immer Hunderttausende gibt, die sich noch blöder angestellt haben beim Trinkgeld geben, Stadtplan lesen oder Essen bestellen.

Und wofür werden sie den Urlauber aus Deutschland lieben?

Lieben? Jahrzehntelang wird einem vorgebetet, dass Paris die Stadt der Liebe sei. Und nun die Enttäuschung: Es ist wirklich sehr unwahrscheinlich, dass sich irgendjemand in Sie verlieben wird. Wenigstens nicht, nur weil Sie deutsch sind. Sollten Sie allerdings besonders schön, besonders witzig oder aus anderen Gründen besonders anziehend sein, ist natürlich alles möglich.

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