Städtereise in Dänemark:Aarhus ist die Witzchen los

Moesgaard Museum, Aarhus

Das Moesgaard-Museum zeigt Funde aus der Stein- und aus der Wikingerzeit. Das Dach ist begehbar.

(Foto: Moesgaard Museum)

Das dänische Aarhus, bislang im Schatten Kopenhagens, ist noch zwei Monate lang Kulturhauptstadt Europas. Zeit zu fragen: Was bleibt?

Von Silke Bigalke

Wenn in Aarhus ein Kind geboren wird, läutet es neben dem Büro von Trine Bang. Dann schlägt ein Pendel gegen die siebeneinhalb Meter hohe Glocke, die im Dokk 1 golden von der Decke hängt. Dokk 1 heißt die öffentliche Bibliothek in Aarhus, eröffnet 2015, als größte und modernste Skandinaviens.

Dort hat das Team sein Büro, das Aarhus als Europäische Kulturhauptstadt dieses Jahr über begleitet hat. Trine Bang ist für das Programm zuständig - und irgendwie auch dafür, dass Aarhus nach 2017 noch davon profitiert. Nicht einfach in einer Stadt, die im Grunde schon alles hat. Dokk 1 ist ein Beispiel dafür: ein riesiges Gebäude mit viel Raum und Licht, großen Treppenaufgängen, Treff- und Arbeitsplätzen, Spielecken, Ruheräumen, Bastelräumen, einem Stillraum. Der Bürgerservice ist hier untergebracht und ein Café, in dem man sein Handy reparieren lassen kann. Wenn im Uni-Krankenhaus ein Kind geboren wird, können die Eltern per Knopfdruck die Glocke läuten.

Einst Wikingersiedlung, dann Bischofssitz: Aarhus war schon immer ehrgeizig

Aarhus wächst. Heute leben etwa 330 000 Menschen in der Stadt, 4000 bis 5000 kommen jährlich dazu. An vielen Ecken wird gebaut, Wohnungen, Büros, eine neue Straßenbahn. Die Stadt, die zweitgrößte Dänemarks, möchte auch im Bereich Kultur wachsen, womöglich herauswachsen aus dem Schatten Kopenhagens.

Aarhus hat bewusst darauf verzichtet, als Kulturhauptstadt neue Museen oder andere Monumente zu bauen. Das dürfte nicht schwergefallen sein, denn allein in den vergangenen fünf Jahren haben das Dokk 1, das große Kulturzentrum Godsbanen und das neue Moesgaard-Museum eröffnet. "Wir versuchen, schlau über das nachzudenken, was wir schon haben", sagt Trine Bang, "darüber, wie wir es auf neue Art nutzen können."

Die drei größten Museen in Aarhus fallen ohnehin aus dem Rahmen - jedes auf seine Weise. Das Kunstmuseum Aros hat das berühmte Regenbogenpanorama des dänisch-isländischen Künstlers Ólafur Elíasson: Hinter buntem Glas blickt man über die Dächer der Stadt. Das neue Moesgaard-Museum, das vor drei Jahren eröffnet hat, zeigt Funde aus der Stein- und aus der Wikingerzeit. Auch dort kann man auf dem Dach herumlaufen, einer mit Gras bewachsenen Schräge, die sich als Freilichtbühne eignet. Im Sommer hat dort das Königlich Dänische Theater aus Kopenhagen gespielt. Es war das erste Gastspiel in Aarhus, nun hofft man, dass es regelmäßig kommt.

Regenbogenpanorama auf dem modernen Museum Aros, Aarhus

Ein Rundgang mit Blick auf die Dächer der Stadt: Das moderne Museum Aros mit dem berühmten Regenbogenpanorama des dänisch-isländischen Künstlers Ólafur Elíasson.

(Foto: Olafur Eliasson/Lars Aarø)

Das dritte Museum heißt "Den Gamle By", mitten in Aarhus spaziert man wie durch eine mittelalterliche Stadt. In dem Freilichtmuseum hat eine neue Dauerausstellung eröffnet, sie zeigt die Geschichte von Aarhus. Der Besucher fährt im Aufzug unter die Erde. Dort wird in einem Rundgang mit Bildern, Filmen und Spielen erklärt, wie die Stadt von der Wikingersiedlung zum Bischofssitz wurde, wie Industrialisierung und Krieg sie veränderten.

Man ahnt, dass Aarhus schon immer ehrgeizig war. Vor fast 120 Jahren haben seine Bewohner der königlichen Familie einen Palast geschenkt, der bis heute Sommerresidenz ist. Sie haben sich 1909 mit der großen dänischen Landesausstellung für Industrie und Kultur wirtschaftlich fast übernommen, aber langfristig den Status ihrer Stadt gefestigt. Sie haben in den Dreißigerjahren ihr berühmtes Rathaus gebaut, das damals gewagt modern war und bis heute ungewöhnlich ist.

Der Geschichtsrundgang endet mit einer Europakarte, auf der in allen Ländern nur die zweitgrößten Städte eingezeichnet sind. Mit ihr zeigt Aarhus stolz, dass es zum selben Klub gehört wie Barcelona, Hamburg und Birmingham.

Clever nutzen, was man hat - Aarhus hat das mit dem Motto "Let's Rethink" zusammengefasst, neu denken, umdenken. Die Leute haben eine Weile gebraucht, bis sie die Idee verstanden haben, gibt Trine Bang zu. Im Dänischen mussten sie dafür einen neuen Ausdruck schaffen. Inzwischen ist "Gentænk" ins Wörterbuch aufgenommen worden. Auch das wird bleiben.

Für die Teilnehmer bedeutete das Motto auch, dass sie internationale Partner suchen und neue Kontakte knüpfen sollten. Plötzlich waren Museen und Bühnen gezwungen, auch mal außerhalb Skandinaviens zu denken. Im Konzerthaus Musikhuset beispielsweise trat das Pariser Opernballett mit "Tree of Codes" auf. Ein großes, internationales Projekt, das sei "wirklich richtig neu" gewesen für das Konzerthaus, sagt Bang. Sie hofft, dass das Selbstbewusstsein für die Zukunft schafft und eine neue Atmosphäre in der Stadt.

Die Lücke zwischen Stadt und Land überbrücken

Wayne McGregor, der "Tree of Codes" choreografiert hat, ist länger in Aarhus geblieben. Mit sechs lokalen Choreografen hat er ein weiteres Stück eingeübt. An verschiedenen Orten draußen in der Stadt haben sechs Amateurgruppen, Menschen aus Aarhus, gleichzeitig getanzt. Ansehen konnte man das Stück nur von oben, vom Regenbogengang auf dem Museumsdach.

Überall im Programm gab es solche Querverbindungen zwischen der weiten Welt und dem Lokalen. Aarhus hat sich von Anfang an gemeinsam mit den anderen 18 Gemeinden der Region Mitteljütland als Kulturhauptstadt beworben, schon vorher hatten sie sich auf das Motto und ein gemeinsames Budget geeinigt. Alle gaben nach ihren Möglichkeiten etwas zum 60 Millionen Euro teuren Projekt dazu.

In einem Stück müssen alle Tänzer über 60 sein. Es soll zeigen, was altern bedeutet

In Mitteljütland gibt es Orte, aus denen die Menschen nur noch wegziehen wollen, wo Häuser leer stehen. Dörfer, die einmal als sterbende Orte gelten, geraten schnell in eine Abwärtsspirale, so wie einst Selde. 2013 hat der Ort 130 Kilometer nordwestlich von Aarhus versucht, sein Schicksal aufzuhalten. Mithilfe der Kunsthochschule in Aarhus suchte die Gemeinde nach Installationskünstlern mit Lust auf ungewöhnliche Projekte. Die Künstlerinnen Lene Noer und Birgitte Ejdrup Kristensen nahmen sich der Sache an. In Selde wollten sie ein leer stehendes Haus zum Künstlerhaus machen. Doch es war so baufällig, dass sie es am Ende nur abreißen konnten. An die Stelle haben sie ein weißes Fundament gegossen, einen Sockel fast wie eine Grabplatte. Das Fundament, das auch als Bühne genutzt werden kann, soll daran erinnern, wie sich das Landleben verändert.

"Das brachte viel Presse, das Image des Ortes hat sich gewandelt", sagt Lene Noer. Es gab sogar Zuzug - von anderen Künstlern. Inzwischen haben mehr Orte um Hilfe gebeten. Mit dem Projekt "Grasslands" haben sie nun Wiederbelebungsprojekte in vier Dörfern gestartet. In Junget bauen sie einen neuen Dorfplatz aus den Backsteinen abgerissener Häuser, mit Sandkasten, Feuerplatz, Bänke, alles kreisrund. In Åsted malen sie alte Bilder aus den Archiven des Ortes ab - an die Mauern der Häuser im Dorf. In Thorum pflanzen sie auf einem verlassenen Sportplatz einen Wald, mit Eichen und Basaltsteinen. "Kunst kann die Lücke zwischen ländlichen Orten und Stadt überbrücken", sagt Lene Noer. 2018 planen sie Routen für Fahrradtouren durch die Region, sie wollen Räder verleihen und den Radlern ein Picknick mit auf den Weg geben.

"Wenn es keine Veränderung gibt, war es kein Erfolg", sagt Nønne Mai Svalholm über das Kulturstadt-Jahr. "Was danach kommt, ist das Wichtigste an der Sache."

Nønne Mai Svalholm ist Choreografin. Sie stammt aus Aarhus und sitzt dort im Innenhof des Kulturzentrums Godsbanen, Kaffeepause unter freiem Himmel. Godsbanen ist ein weiteres Riesenprojekt, ein alter Güterbahnhof, spektakulär umgebaut. Wo die Gleise früher endeten, gibt es zwei große Hallen, in denen einst Züge be- und entladen wurden. Für das Kulturzentrum sind sie durch ein Gebäude miteinander verbunden worden, mit einem schrägen Dach, auf das man hinaufklettern kann wie auf eine Skisprungrampe. Drinnen sitzen die Filmschule, die Kulturverwaltung der Stadt, Kunstschaffende wie Nønne Mai Svalholm, und anfangs auch die Planungsgruppe für die Kulturhauptstadt.

Die Choreografin hat bei Wayne McGregors Stück mitgewirkt, das man nur vom Regenbogenpanorama aus sehen konnte. Ihre Tanzgruppe bestand aus Senioren. Seit zwei Jahren arbeitet Nønne Mai Svalholm an professionellen Bühnenstücken für alte Menschen. Ihre Tänzer müssen älter als 60 Jahre sein und Amateure. Ein erstes Stück hat sie 2016 aufgeführt, im Dezember feiert das zweite Premiere, ein drittes kommt 2018. Nønne Mai Svalholm will austesten, was es wirklich heißt, alt zu sein. Dafür treibt sie ihre Tänzer auch schon mal an deren körperliche Grenzen.

Es gebe in Dänemark Geschichten über die Menschen aus Aarhus, sagt sie, darüber, dass sie dumm und ein wenig langsam wären. Vielleicht gehe das zweitgrößten Städten einfach so, sagt Nønne Mai Svalholm. Doch jetzt habe sie schon seit mehr als einem Jahr keinen dieser Aarhus-Witzchen mehr gehört. Teil des Wandels? "Dass sich die Einstellung der Menschen verändert, das ist groß."

Reiseinformationen

Anreise: zum Beispiel mit SAS über Kopenhagen, hin und zurück ab 200 Euro, www.flysas.com

Museen: Den Gamle By, www.dengamleby.dk, Eintritt je nach Saison etwa 10 bis 18 Euro, Kinder frei. Moesgaard-Museum, www.moesgaardmuseum.dk, Eintritt ca. 16 Euro, Aros-Kunstmuseum, Eintritt ca. 17 Euro, http://de.aros.dk

Weitere Auskünfte: Das Kulturzentrum Godsbanen, (http://godsbanen.dk) steht zum großen Teil für Besucher offen, es gibt dort ein Restaurant und ein Café. Informationen über die öffentliche Bibliothek Dokk1: https://dokk1.dk; die Grasslands-Projekte: http://grasslands.dk, www.aarhus2017.dk, www.visitaarhus.de, www.visitdenmark.de

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