St. Severin:"Ein Ort, der bleibt"

St. Severin: Die Kirche St. Severin überstand sogar so manche Sturmflut. Nun wird sie von einem sehr gefräßigen Feind geplagt.

Die Kirche St. Severin überstand sogar so manche Sturmflut. Nun wird sie von einem sehr gefräßigen Feind geplagt.

(Foto: imago)

Die Kirche in Keitum ist ein Wahrzeichen für die Insel. Seit 800 Jahren übersteht das Kirchenschiff jeden Sturm. Nun nagt ein Käfer am Dachstuhl.

Von Thomas Hahn

Wenn man sie vom Friedhof aus betrachtet, wirkt die Kirche St. Severin in Keitum gar nicht so groß. Ihr Backsteinturm ragt nicht viel höher auf als ein dreistöckiges Wohnhaus in der Stadt, und er schmiegt sich sanft ans weiße, gedrungene Kirchenschiff mit seinem Bleidach. Aber wenn man aus der Ferne über Sylt und auf Keitum schaut, dann wirkt St. Severin auf einmal wie ein Riese. Unübersehbar steht die Kirche auf dem Geestkernrücken und gibt Sylt-Besuchern eine Orientierung. Dorthin zu wandern ist eigentlich immer eine gute Idee, und auch Susanne Zingel, die Pastorin, sagt: "St. Severin ist eine Art Bezugspunkt auf der Insel."

Die Kirche hat einen schweren Stand in diesen weltlichen Zeiten. An ausgesuchten Orten allerdings kann man den Eindruck gewinnen, als habe die Kirche überhaupt nichts an Bedeutung eingebüßt. Keitum auf Sylt ist so ein Ort. Hier ist die Kirche der Star des Dorfs. Zum einen besticht das Gebäude, das einen Dachstuhl aus dem Jahr 1216 aufweist und damit der älteste Sakralbau in Schleswig-Holstein ist. Im Sommer kommen täglich ganze Busladungen mit Besuchern, um das uralte Gemäuer zu bestaunen, bis zu tausend Schaulustige am Tag. Touristen suchen auf dem Friedhof nach Prominentengräbern wie nach dem von Rudolf Augstein, dem Gründer des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Wanderer wählen die Kirche als Ziel ihres Ausflugs.

Aber auch als Institution der evangelischen Kirchengemeinde kann sich St. Severin nicht über Zuspruch beklagen. Die Gottesdienste sind gut besucht, vor allem im Sommer, wenn viele Urlauber auf Sylt sind. Viele Auswärtige, die eine familiäre Bindung zur Insel haben, feiern hier Feste wie Taufen und Hochzeiten. "Wir haben 200 Amtshandlungen im Jahr", sagt Susanne Zingel, "die Kirchspieldörfer hätten zusammen sehr viel weniger zu feiern."

Susanne Zingel kam 2005 aus Hamburg nach Keitum. Sie ist eine vergnügte, bürgernahe Frau, die in ihren Predigten auf eine selten kluge Art gesellschaftliche Wirklichkeiten mit geistlichem Denken erschließt. Und sie ist ziemlich begeistert von dem Gebäude, das sie als Pastorin betreuen darf. Sie sitzt nach einem Gottesdienst im Nebenraum hinter der Kanzel und schwärmt. St. Severin ist auch so etwas wie ein kleines epochenübergreifendes Kunstmuseum mit dem romanischen Taufstein, dem spätgotischen Schnitzaltar oder der Renaissance-Kanzel. "Die Kirche ist innen ziemlich vollgestellt, und trotzdem bekommt man das ursprüngliche Raumkonzept und den Klang mit", sagt Susanne Zingel, "irgendwie ist das Flair besonders gut, sodass die Menschen hier gerne ankommen." Und es stimmt, der enge Kirchenraum mit seinen graublauen Holzbänken und der niedrigen Empore strahlt eine Gemütlichkeit aus, in der man sehr schnell Ruhe und Andacht findet.

Die Kirche ist ein Symbol für Standfestigkeit im Wechsel der Gezeiten

Allerdings macht der Kirche ihr Alter zu schaffen. Als sie Anfang des 13. Jahrhunderts gebaut wurde, war Sylt noch keine Insel. Anders als andere Gotteshäuser versank St. Severin nicht mit der Zweiten Marcellusflut, die 1362 Nordfrieslands Küste zerriss und Sylt vom Festland trennte. Ihr Erhalt erfordert viel Aufwand, und dabei ist in früheren Zeiten nicht immer alles richtig gemacht worden. "Gucken Sie mal rum", sagt Susanne Zingel und zeigt auf das dunkle Tor, das in den Kirchenraum führt. "Das ist das älteste romanische Tor in Nordfriesland." Dann klopft sie an eine Wand der dahinterliegenden Sakristei. "Das ist Billigresopal, in den Achtzigerjahren reingesetzt. Man hat hier auch improvisiert und war oft nicht gut beraten."

Aber das Hauptproblem ist die Bausubstanz - und deren gefräßiger Feind: der Gescheckte Nagekäfer, ein Holzparasit, der die Balken des historischen Dachstuhls verzehrt. "Ein fieser Geselle", sagt Zingel. Bis 2018 war eigentlich eine aufwendige Innensanierung des Kirchenschiffs fällig. Dann entdeckten Experten Ende 2015 den Käfer, der auf dem warmen Kirchendachboden prächtig gedieh. Der Dachstuhl wurde zum dringenden Sanierungsfall.

300 000 Euro kostet die Maßnahme, es begann ein Geldsammeln gegen die Zeit. Dank Rücklagen, Förderkreis-Engagement und Mitteln aus dem Baufonds für Notmaßnahmen des Kirchenkreises Nordfriesland kamen 200 000 Euro zusammen, den Rest musste Ende Juli ein Spendennotruf einbringen. Es ist ein anstrengender Kampf um die Zukunft ihres Wahrzeichens für die Keitumer Kirchengemeinde. Und immer noch fehlen 30 000 Euro. Trotzdem beginnt dieser Tage die Sanierung. Die Angelegenheit verträgt keinen Aufschub. St. Severins sturmerprobtes Bleidach braucht einen tragenden Dachstuhl.

Es geht dabei nicht nur darum, eine Sehenswürdigkeit für Touristen zu erhalten. St. Severin ist ein Symbol für Standfestigkeit in einer Landschaft, in der Standfestigkeit nicht selbstverständlich ist. Seit 800 Jahren übersteht das Kirchenschiff aus Granit, rheinischem Tuff und Backstein jeden Sturm, das ist ein starkes Zeichen. "St. Severin ist ein Ort, der im Wechsel aller Gezeiten bleibt", sagt Susanne Zingel. Diese kleine, tapfere Kirche ist für sie eine Inspiration, ein Ort der Gelassenheit auf einer Insel, die keineswegs immer gelassen ist. Der Nagekäfer darf diesen kleinen Riesen nicht zu Fall bringen.

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