Wer hat die Wintersportferien erfunden? Die Schweizer! Genauer gesagt die St. Moritzer. Vor rund 150 Jahren läutete der Hotelier Johannes Badrutt im Engadin den Aufstieg von St. Moritz zum wohl berühmtesten Wintersportort der Welt ein. Ski fährt heute aber nur noch eine Minderheit. Teure Sportwagen, Kaviar- und Champagner-Gelage in Luxushotels, reiche Herren mit schönen Damen, sogar die Ski-Lehrerinnen fahren in Prada-Jacken. Im Winter erfüllt St. Moritz als Bühne der Eitelkeiten alle Klischees einer internationalen Jetset-Hochburg. Dann bezeichnet sich der Schweizer Nobelskiort selbst als "Top of the World", als Spitze der Welt. Das kann man überheblich finden oder aber zutreffend: Denn unabhängig von dem Schaulaufen der High Society ist der Ort im Oberengadin für viele vor allem eines der schönsten Wintersportgebiete weltweit.
Mächtige Bergmassive fassen das 57 Kilometer lange Hochtal auf der Südseite der Graubündner Alpen ein. Diese Kombination von Weite und spektakulären Gipfeln wie dem 4049 Meter hohen Piz Bernina sind so außergewöhnlich wie das trocken-kalte, aber sonnige Klima. Italien ist nur einen Katzensprung entfernt. Das beschert dem auf 1800 Metern Höhe gelegenen Kurbad durchschnittlich 322 Sonnentage im Jahr. Zum Glück, denn die Pisten auf den beiden 3000 Meter hohen Hausbergen Corviglia und Corvatsch liegen fast alle oberhalb der Baumgrenze. Schlechtes Wetter bedeutet Blindflug. Und der macht keine Freude, auch nicht auf den von modernsten Liften erschlossenen Pisten. Voll sind diese selten. "Nur 40 Prozent der Gäste in der Hauptsaison gehen überhaupt zum Skilaufen", erzählt Skilehrerin Susi Wiprächtiger. Das eingeschneite St. Moritz mit dem Skigebiet Corviglia im Hintergund
So hat man auf den enorm breiten Abfahrten auf der Corviglia viel Platz und Muße - vor allem auf der neuen "Chill Out"-Piste. Hier kann man besonders lässig dahingleiten und sich zwischendurch auf einer der Sessellift-Bänke ausruhen und das Panorama bewundern: Der Blick schweift über die Villen der Guccis, Agnellis und Heinekens hinüber ...
... zum schiefen Kirchturm von St. Moritz und zum zugefrorenen St. Moritzer See, auf dem das Pferderennen "White Turf" und das Winterpolo ausgetragen werden. Die Corviglia ist der Genießerberg von St. Moritz, hier tummelt sich auch der Jetset, der für ein Gläschen "Delamain Le Voyage Cognac" in einem der Luxushotels bis zu 4200 Schweizer Franken (umgerechnet rund 3200 Euro) zahlt. Die finanzkräftigen Gäste sind vor allem bei Reto Mathis zu finden, der in der Bergstation der Gondelbahn auf 2468 Metern das höchstgelegene Feinschmeckerrestaurant Europas betreibt. Verglichen mit der eher sanften Corviglia ist der 3451 Meter hohe Corvatsch gegenüber der anspruchsvollere und spektakulärere Berg.
Auch der Blick in den sogenannten "Festsaal der Alpen" ist atemberaubend: Piz Bernina, Piz Palü, Monte Rosa und Matterhorn. Ebenso beeindruckend ist die vier Kilometer lange Hahnenseeabfahrt. Sie endet hinter dem Kempinski Grand Hotel des Bains neben der Mauritius-Quelle, nach der St. Moritz benannt ist. In dem Luxus-Hotel kocht der Deutsche Mattias Roock. Der jüngste in der Riege der Engadiner Star-Köche hat für seine drei Feinschmecker-Restaurants insgesamt 43-Gault Millau-Punkte eingeheimst. Zuoz ist eines der Dörfer, die man am schönsten über die Loipen durch das sanft gewellte Oberengadin erreicht. Über 200 Kilometer ziehen sie sich durch eines der schönsten Langlauf-Gebiete der Welt. Erschöpfte Langläufer steigen einfach ... Aufstieg auf den Piz Palü
... am nächsten Bahnhof in die Rhätische Bahn. Sie bedient mit ihrem zum Unesco-Weltkulturerbe ernannten Bernina-Express die mit 55 Tunneln und 196 Brücken spektakulärste Eisenbahnstrecke Europas. Die roten Züge fahren durch die Dörfer, Wälder, Wiesen und Schluchten des Engadin. Bereits 1903 eröffnete die Rhätische Bahn die Albula-Strecke bis St. Moritz und gab dem jungen Wintertourismus damit einen enormen Schub.
Der Hotelier Johannes Badrutt hatte ihn 1864 "erfunden". Damals wettete er mit seinen englischen Sommergästen, dass es im Winter in St. Moritz noch viel schöner sei. Sollten sie nicht zufrieden sein, erstatte er ihnen die Reisekosten. Noch skeptisch, reisten die Engländer zu Weihnachten an. Sie blieben bis Ostern und berichteten in der Heimat überschwänglich vom Engadiner Wintermärchen. Danach gab es kein Halten mehr: Winter für Winter folgten mehr reiche Briten den Pionieren. Heute lassen auch Touristen anderer Nationalitäten ihr Geld in den Luxusgeschäften von St. Moritz - und überlassen den Wintersportlern meist die Pisten.