Süddeutsche Zeitung

Sri Lanka:"Niemals mit Milch!"

Von Jungfrauen und goldenen Scheren: Wer die Plantagen im Süden von Sri Lanka besucht, erfährt Erstaunliches über den perfekten Tee.

Von Patricia Bröhm

Lautstark schlürft der Gastgeber einen Schluck Tee aus seiner Tasse, spült das Gebräu im Mund hin und her, schließt dabei die Augen, als meditiere er. Nach einer endlos lange erscheinenden Zeit schluckt er und verkündet sein Urteil: "Erfrischend, kraftvoll, ausgeprägte Tannine, ein leichtes Prickeln im Rachenraum - good show!" Wir nicken andächtig und denken insgeheim, okay, aber es ist doch nur Tee.

Zugegeben, ausgezeichneter Tee, angebaut auf dem Handunugoda Estate im Süden Sri Lankas. Hausherr Malinga Herman Gunaratne ist nicht nur einer der besten Kenner der srilankischen Teeszene, er ist auch ein begnadeter Geschichtenerzähler. Kaum haben die Besucher auf seiner Terrasse im Schatten mächtiger Palmen Platz genommen und sind aus einer großen weißen Porzellankanne mit Oolong-Tee versorgt worden, ist er nicht mehr zu bremsen. Seine Lieblingsgeschichte handelt vom "Virgin White Tea", einer absoluten Rarität, für die seine Plantage bekannt ist.

Mister Herman, wie ihn alle nennen, hörte zum ersten Mal davon, als ein britischer Teepflanzerkollege ihm erzählte, wie im alten China Jungfrauen mit goldenen Scheren die Triebe der jungen Teepflanzen abschnitten und in goldenen Schüsseln auffingen. Der daraus gewonnene "jungfräuliche" Tee war ausschließlich für den Kaiser bestimmt. Malinga Herman Gunaratne war fasziniert. Er hatte Jahrzehnte in der Teeindustrie Sri Lankas verbracht, aber noch nie hatte er von so etwas gehört: "Jungfrauen mit goldenen Scheren? Ich hielt das für verrückt."

Doch die alte Legende ließ ihn nicht mehr los. Ihm war klar: Es musste um die Reinheit der Aromen gehen: "Vor tausend Jahren verstanden die Chinesen mehr davon als wir heute." Die zarten Teetriebe sollten nicht mit Menschenhand in Berührung kommen, deren Schweiß ihren Geschmack beeinflussen könnte. Schüsseln und Scheren waren golden, nicht aus Statusdenken, sondern, weil es das einzige Metall ist, das nicht oxidiert. Er beschloss, den alten Mythos wiederzubeleben und einen weißen Tee, unberührt von Menschenhand, herzustellen.

Wie ein leuchtend grüner Teppich überziehen die Teesträucher von Handunugoda die Landschaft. Das Tea Estate liegt etwa eine halbe Fahrstunde von der Hafenstadt Galle entfernt im Süden Sri Lankas, wo heute rund 70 Prozent der Teeplantagen der Insel liegen. Auf Handunugoda findet keine Massenproduktion statt, man hat sich auf handverlesene Sorten spezialisiert, die Pflanzung ist bio-zertifiziert. Rund 40 verschiedene Tees werden produziert, von Sapphire Oolong über Lapsang Souchong bis zu grünen Tees. Der kostbare weiße Tee macht weniger als ein Prozent der Produktion aus. Um diese Spezialität zu ernten, tragen die Pflückerinnen Baumwollhandschuhe, Mundschutz und Hauben, die das Haar bedecken. "Es ist der einzige Tee weltweit, der nicht mit menschlicher Haut in Kontakt kommt", sagt Herman stolz. "Sein Aroma ist einzigartig, ein Hauch von weißen Blüten, von Trüffel und von Unterholz." Er winkt eine Arbeiterin heran, sie zeigt ihre Ausbeute in einer weißen Porzellanschale: etwa 150 Gramm pro Tag. Zum Vergleich: Beim schwarzem Tee kommen die Pflücker auf 18 Kilo Teeblätter täglich. Vom "Virgin White Tea" entstehen nur 120 Kilo pro Jahr, fast die gesamte Produktion geht nach Paris, zu Mariage Frères, einem der renommiertesten Teehäuser der Welt. 20 Gramm kosten dort 68 Euro, in Hermans eigenem Teeladen kommt das mit umgerechnet 30 Euro deutlich günstiger.

Teeplantagen wie die von Handunugoda prägen bis heute die Landschaft in weiten Teilen Sri Lankas, vor allem im zentralen Hochland und im Süden. Die grüne Insel im Indischen Ozean ist mit einer Jahresproduktion von mehr als 300 Millionen Kilogramm der viertgrößte Teelieferant der Welt. 3,5 Millionen Menschen arbeiten in der milliardenschweren Branche, die noch immer mehr Arbeitsplätze schafft als jeder andere Wirtschaftssektor des Landes. Die meisten der Pflücker sind Tamilen, ihre Vorfahren wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den britischen Kolonialherren aus Südindien geholt, um auf den Plantagen zu arbeiten, die man damals im großen Stil anlegte. Schon in den 1870er-Jahren füllten ganze Schiffsladungen mit Ceylon-Tee die Regale der Londoner Warenhäuser. Die Plantagenbesitzer, unter ihnen auch ein gewisser Thomas Lipton, verdienten ein Vermögen daran - buchstäblich auf dem Rücken der Pflücker. "Mit ihrem Blut und ihrem Schweiß haben die tamilischen Arbeiter dieses Land geprägt", sagt Mister Herman. Die Arbeit in den Teefeldern ist hart, die hüfthohen Büsche werden von Hand geerntet, alle sieben Tage müssen die jungen Blätter einer Pflanze gepflückt werden, bevor sie zu hart werden.

Auf den Spuren jener frühen kolonialen Teeindustrie reisen heute viele Besucher in die zentralen Highlands. Seit dem gewaltsamen Ende des Bürgerkriegs 2009 entwickelt sich der Tourismus in Sri Lanka wieder im größeren Stil, auch zahlreiche Tea Estates haben das lukrative Geschäft mit den Gästen aus Übersee entdeckt. Die schönste Art, ins Hochland zu fahren, ist mit dem Zug. In Kandy, der alten singhalesischen Königsstadt in den Bergen, wo man den Briten länger als irgendwo sonst im Land - bis 1815 - Widerstand leistete, steigen Besucher in einen der antiquierten roten Eisenbahnwaggons und lassen sich in eine andere Welt schaukeln. Die Fenster stehen offen, die Türen fehlen, am besten, man sucht sich einen Platz, wo man ein wenig Fahrtwind abbekommt. Doch die tropische Hitze lässt nach, je weiter der Zug sich in die leuchtend grünen Hügel hinaufschraubt, die dicht mit Teebüschen bewachsen sind.

Thomas Liptons erste Fabrik ist noch so gut wie im Originalzustand erhalten

Rund um die Städtchen Nuwara Eliya, Hatton und Ella bieten viele Plantagen Führungen an, auf manchen kann man sogar übernachten. Wer im Hilpankandura Estate in der Nähe des Städtchens Bandarawela eines der fünf mit tropischen Hölzern und floralen Tapeten modern eingerichteten Zimmer ergattert, kann beim Pflücken sogar selbst Hand anlegen und sich ein Bild davon machen, wie anstrengend und rückenunfreundlich diese Arbeit ist. Man wohnt in zwei restaurierten Planter's Bungalows aus den 1930er-Jahren, abends serviert der hauseigene Koch typisch srilankisches "Rice and Curry". Ganz in der Nähe liegt auch die 1890 von Thomas Lipton gegründete Teeplantage Dambatenne, wo sich von seinem bevorzugten Aussichtspunkt Lipton's Seat ein großartiger Blick über die smaragdgrüne Landschaft bietet. Liptons Teefabrik, mit der er den Grundstein für sein Imperium legte, ist heute noch bis auf ein paar kleine Modernisierungen im Originalzustand erhalten.

Tatsächlich wird Tee auf Sri Lanka heute noch so verarbeitet wie vor Generationen. Auch die Maschinen, die auf Herman Gunaratnes Handunugoda Estate im Einsatz sind, kann man als Antiquitäten bezeichnen, einige von ihnen sind 145 Jahre alt. Das Fabrikgebäude ist nicht viel mehr als ein Dach auf Stelzen, nach allen Seiten offen, damit die Luft durchziehen kann. Mit Hilfe von Holzkohlefeuer und einem konstant 70 Grad warmen Luftstrom werden die Blätter zunächst zum Welken gebracht. "In zwölf Stunden verlieren sie 50 Prozent Feuchtigkeit", erklärt der Vorarbeiter. "18 Kilo frische Blätter ergeben am Ende nur etwa fünf Kilo Tee." Nach dem Trocknen werden die Blätter angebrochen, um den Fermentierungsprozess zu starten, durch den sich der typische Teegeschmack entwickelt. Ähnlich wie beim Wein sind auch die Teepflanzen durch das sogenannte Terroir geprägt, den Ort, an dem sie wachsen. Besonders deutlich wird das beim "Rainforest Black Tea", den Mister Herman seinen Gästen nun zum Probieren einschenkt. Weil Handunugoda nur fünf Kilometer vom Ozean entfernt liegt, schmeckt man eine ganz feine Salzigkeit, weil die Plantage von Nadelbäumen umgeben ist, hat der Tee auch ein feines Kiefernaroma.

Zum Abschied soll Mister Herman noch die wichtigste Frage beantworten: Wie wird Tee denn nun richtig getrunken? Mit Milch, wie die Engländer? Oder pur wie auf Sri Lanka? "Niemals mit Milch", da ist Mister Herman kategorisch. Diese Unsitte stamme aus den Anfängen der britischen Teeproduktion auf der Insel, als die Tees noch recht harsch schmeckten. Er selbst trinkt etwa zehn Tassen täglich, am liebsten den besonders würzigen grünen Tee. "Wenn ich keinen Tee trinke, fühle ich mich nicht zu hundert Prozent fit."

Informationen

Anreise: Aus Deutschland gibt es derzeit keine Direktflüge nach Sri Lanka. Emirates fliegt über Dubai nach Colombo, Sri Lankan über London.

Übernachten: Eines der schönsten Hotels Sri Lankas ist das Amangalla, ein stilvoll restauriertes Kolonialgebäude in Galle. DZ ca. 600 Euro, www.aman.com; Übernachten auf einer Teeplantage und selbst mitpflücken: Ceylon Tea Bungalows, DZ ca. 150 Euro, www.ceylonteabungalows.com

Tee erleben: Gute Führungen bieten z. B. das Handunugoda Tea Estate, www.hermanteas.com oder die Dambatenne Tea Factory bei Haputale. Das Ceylon Tea Museum bei Kandy ist in einer ehemaligen Teefabrik, www.ceylonteamuseum.com

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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SZ vom 12.07.2018/edi
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