Man kann dorthin auch aus dem Val d'Aran hinaufwandern - einem Tal, das in ganz Spanien berühmt ist. Der höhere Teil davon, Naut Aran, soll die Gemeinde mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen Kataloniens sein. Der Grund: Hier liegt das Skigebiet von Baqueira, in dem der spanische Hoch- und Geldadel seine Winterferien verbringt. Wegen der Nordstaulage ist die Schneesicherheit groß, es soll hier den besten Pulverschnee der Pyrenäen geben. Im Sommer allerdings ist abgesehen von Juli und August nicht so viel los. Ob das auch an dem Nebel liegt, der oft im Tal hängt, während es auf der Südseite hinter den Bergen schon sonnig ist? Eher nicht. Die hübschen alten Dörfer mit ihren Steinhäusern und schiefergedeckten Dächern hat man nach französischem Vorbild zu wahren Ferienwohnungs-Burgen aufgeblasen, die die meiste Zeit des Jahres leer stehen.
Amaia Echazarra hat lange gut vom Winterzirkus gelebt. Sie betrieb zuerst einen Kindergarten für den Gästenachwuchs und führte dann eine legendäre Nachtbar namens "El Mun", katalanisch für "der Mond". Prinz Felipe sei hier öfters zu Gast gewesen, "als er noch Junggeselle war", sagt die umtriebige mehrfache Großmutter. Die Bar gibt es immer noch in Arties. Echazarra hat sie aber verkauft, um sich mehr der Kunst zu widmen. In ihrem stilvoll umgebauten alten Bauernhaus stehen überall Kunstwerke, ein großer Tannenbaum aus alten Skiern, Ölbilder und filigrane Lampen aus Pappmaschee. "Bis in die Sechzigerjahre war das hier das ärmste Tal Kataloniens", sagt sie. Von hier seien die Begabten immer ausgewandert, Soldaten und Konquistadoren hätte das Tal gestellt, etwa Gaspar de Portola, den Entdecker der Bucht von San Francisco. Heute lebt in Arties die Bergsteigerin Edurne Pasaban, die alle 14 Achttausender bestiegen hat.
Im Aigüestortes-Nationalpark gibt es jede Menge Knapp-Dreitausender, und von vielen Stellen im Park sieht man auch den Pico Aneto, mit 3400 Metern der höchste Berg der Pyrenäen, etwa 30 Kilometer Luftlinie entfernt. Doch während der im Sommer und im Winter ziemlich überlaufen ist, hat man auf den meisten Gipfeln im Park seine Ruhe. Am Portarró-Pass, immerhin an der Hauptroute für die West-Ost-Durchquerung gelegen, trifft man selbst an einem schönen Sonntag nur ein halbes Dutzend andere Wanderer. Dafür segeln um den Gipfel über dem Pass mehrere Gänsegeier und schließlich sogar ein seltener Bartgeier - eines der Symboltiere der Pyrenäen, in denen man ihn im Unterschied zu den Alpen nie ausgerottet hat. "Quebrantahueso" heißt das Tier auf Spanisch, das bedeutet Knochenbrecher und nimmt Bezug darauf, dass die riesigen Vögel große Knochen gezielt auf Steinplatten fallen lassen, um die Splitter zu fressen.
Der rund 2400 Meter hohe Portarró-Pass bildet den Übergang zum Val de Boí. In diesem noch relativ ursprünglichen Gebirgstal stehen mehrere romanische Kirchen, die vor allem wegen ihrer Fresken zum Unesco-Weltkulturerbe gehören. Nur schade, dass die Fresken der besterhaltenen Kirche, Sant Climent im Ort Taüll, im Museum in Barcelona sind, während man sie in der Kirche selbst mit einer aufwendigen, leider nur zu bestimmten Zeiten gezeigten Lichtinstallation an die kahlen Wände projiziert.
Roc Sagristà García hält sich da ohnehin lieber an die Kunstwerke auf seiner Haut. Nachdem das viergängige Abendessen auf seiner Amitges-Hütte serviert und abgeräumt ist, genehmigt er sich erst mal einen Schnaps. Sein Vater Valentí, der die Hütte schon seit 30 Jahren führt, sitzt daneben und erzählt von den Anfangszeiten der Hütte, die ursprünglich eine Baracke für die Bauarbeiter des Staudamms war. "Noch vor 20 Jahren kamen nur wirkliche Alpinisten hierher", so Valentí, "die waren froh, wenn sie ein Dach über dem Kopf hatten. Heute kommen viele Gäste aus der Großstadt. Sie wollen Wlan und vegetarischen Proviant." Beides gibt es bei Valentí und Roc, dazu noch Szene-Dosenbier aus Barcelona, inklusive einer mechanischen Vorrichtung im Gastraum, um die Dosen geräuschvoll platt zu machen.
Um wieder etwas mehr Alpinisten herzulocken, veranstalten sie im September ein Kletterfestival. Trotz des hervorragenden Granits seien die Felsen hier meist leer, sagt Roc. "Vielen Kletterern ist einfach der zweistündige Aufstieg zu lang."
Anreise: Vom Flughafen Barcelona sind es etwa 3,5 Stunden mit dem Auto bis Espot oder Boí. In beiden Orten sind die offiziellen Eingänge in den Nationalpark Aigüestortes.
Unterkunft: Aparthotel Augusta bei Taüll, kleine Ferienwohnung mit Kochnische inkl. Frühstück ab 85 Euro, www.boitaullresort.com; Amitges-Hütte: ÜN im Matratzenlager mit Halbpension 45 Euro, www.amitges.com
Nationalpark: www.aiguestortes.info (Hüttenübersicht, nur Spanisch);
Weitere Auskünfte: Vall de Boí: www.vallboi.cat; Val d'Aran: www.visitvaldaran.com; www.katalonien-tourismus.de