Spanien:Krach auf den Kanaren

Crowded beach in Puerto de la Cruz, Tenerife

Traum unter Palmen? Der Andrang an vielen Stränden der Kanaren, hier Puerto de la Cruz auf Teneriffa, hat auch negative Folgen.

(Foto: Nano Calvo/VWPics/Redux/Laif)

Die Kanarischen Inseln sind als Urlaubsziel beliebt wie nie. Doch wie viel Tourismus verkraften sie?

Von Velten Arnold

Man sieht Jorge Marichal an, dass er zufrieden ist, kein Wunder: Die Liegen an den zwei Swimmingpools seines Hotels sind schon am Vormittag belegt, die Kurse im großen Fitnessraum gut besucht. "Gerne würde ich Ihnen eines unserer Zimmer zeigen, aber das geht leider nicht. Alles ist voll", sagt der Eigentümer des "Aparthotel Marylanza". 217 Zimmer hat die Anlage, sie liegt in Playa de las Américas im Süden Teneriffas. Und dort geht es zur Zeit zu wie noch nie.

Jorge Marichal, der auch Vorsitzender des Hotelverbandes von Teneriffa ist, erklärt das so: "Weil Länder wie die Türkei oder Ägypten derzeit von Touristen gemieden werden, brummt es bei uns." Das kanarische Tourismusministerium hatte bereits im Juli neun Millionen Touristen für das erste Halbjahr vermeldet, und alles deutet darauf hin, dass die Rekordmarke des Vorjahres - damals hatten die Kanaren 15 Millionen Besucher - in diesem Jahr überboten wird.

Einige Strände Teneriffas mussten wegen ungeklärter Abwässer gesperrt werden

Wie beliebt die Kanaren sind, sieht man auch an den Stränden Teneriffas, allen voran Los Cristianos und Playa de las Américas. Dicht an dicht drängen sich die Gäste, alle Liegen und Sonnenschirme sind schon am Vormittag vermietet. Im Siam Park, einem riesigen Wasserpark im Süden Teneriffas, stehe man schon mal eineinhalb Stunden vor einer der großen Rutschen an, berichten Jugendliche aus Deutschland. Das freut die Gäste natürlich nicht. Und auch einige Einheimische sehen den Tourismusboom mit gemischten Gefühlen. "Bisher hat sich der Tourismus auf ein paar Gebiete konzentriert, inzwischen wird die ganze Insel touristifiziert. Dabei ist unsere Infrastruktur schon jetzt überlastet", sagt etwa Fernando Sabaté, der für die linksalternative Partei Podemos im Inselparlament von Teneriffa sitzt.

Vor allem die Abwasserentsorgung ist ein Problem. Unmengen Wasser werden gar nicht oder nicht ausreichend geklärt ins Meer geleitet - Sabaté spricht von 57 Millionen Litern pro Tag allein auf Teneriffa. Die kanarische Regierung bestreitet diese Zahl, doch die zuständige Ministerin Nieves Lady Barreto musste im Parlament einräumen, dass rund zwei Drittel der Einleitungsstellen auf den Inseln nicht genehmigt sind.

Der kanarische Tourismusminister Isaac Castellano beteuert, dass die Wasserqualität des Meeres vor den Inseln trotz der Mängel nicht beeinträchtig sei. Allerdings mussten einige Badestrände im Sommer tageweise gesperrt werden. Erstmals protestierten an den Stränden Bürger gegen die Einleitungen, in Santa Cruz de Tenerife forderten im September 5000 Demonstranten ein sauberes Meer.

Umweltschützer fürchten Hotelklötze in der Landschaft

Auch ein Anfang September in Kraft getretenes Baugesetz, das Kritiker als neoliberal bezeichnen, wird von Umweltschützern wie Fernando Sabaté heftig kritisiert. "Der Bausektor und die Tourismusindustrie haben Druck gemacht, um Vorschriften zu verwässern und Kontrollen abzuschaffen", sagt der Abgeordnete. Die Verfechter eines nachhaltigen Tourismus' laufen ebenfalls seit Monaten Sturm gegen das Gesetz, allen voran Santiago Pérez, Gemeinderat in der Universitätsstadt La Laguna und Dozent für Verfassungsrecht an der dortigen Universität. Er kämpft seit Jahren gegen Korruption und Auswüchse der Bauwut auf den Kanarischen Inseln und sagt: "Das neue Gesetz ermöglicht es, auch in bisher geschützten Gebieten zu bauen, und dabei müssen weder die kanarischen noch die spanischen noch die europäischen Umweltauflagen erfüllt werden."

Die Cotmac, eine übergeordnete Behörde, die bisher vorab prüfte, ob ein Bauprojekt rechtmäßig ist, wurde de facto abgeschafft. "In Zukunft kann erst mal gebaut werden, und wenn irgendwann ein Gericht entscheidet, dass der Bau nicht rechtmäßig war, steht er schon in der Landschaft."

Auch Alfredo Díaz, Sprecher der Fundación César Manrique, einer Stiftung, deren verstorbener Gründer und Namensgeber gegen Massentourismus und Hotelklötze kämpfte, befürchtet einen Rückfall in die Siebzigerjahre: Damals waren in den touristischen Zentren unansehnliche Touristenburgen hochgezogen worden. Man baute schnell und viel, die Folgen waren Überangebot, niedrige Preise, schlechte Qualität. Nur die Bauunternehmer hätten davon profitiert, sagt Santiago Pérez. Ein Fehler, den man jetzt nicht wiederholen dürfe. Wie es auch anders geht, zeigte der Künstler und Architekt César Manrique selbst, dessen perfekt in die Landschaft eingefügte Bauwerke auf seiner Heimatinsel Lanzarote zu bewundern sind. So ist beispielsweise das Wohnhaus Manriques im Dorf Tahiche in die vulkanischen Blasen eines Lavastroms aus dem 18. Jahrhundert integriert.

Der kanarische Tourismusminister Isaac Castellano weist jegliche Kritik an dem Ley del Suelo genannten Gesetz zurück. Es sei notwendig, um "bürokratischen Wirrwarr" abzubauen. "Nur drei Prozent der gesamten Fläche unserer Inseln werden für touristische Unterkünfte genutzt, 40 Prozent sind als Nationalpark, Naturpark oder in anderer Weise geschützt, und das wird auch so bleiben." Weil die Umweltschützer das aber nicht glauben, kämpfen sie auch nach der Verabschiedung des Gesetzes weiter. Gemeinderat Santiago Pérez wandte sich Anfang September an den Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments mit der Bitte um Hilfe. Er hatte Erfolg: Das Thema soll demnächst dort im Umweltausschuss behandelt werden.

Touristik-Experten raten den Kanaren ohnehin schon länger, ein Konzept zu entwickeln, das sie zukunftsfähig macht. "Dabei spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle", sagt Harald Zeiss, Professor für Tourismusmanagement und Betriebswirtschaft an der Hochschule Harz in Wernigerode und Leiter des Instituts für Nachhaltigen Tourismus. "Die Gäste wollen wissen: Wo kommt das Wasser her? Wie wird der Strom erzeugt? Was passiert mit meinem Abfall?" Damit das langfristig gelingt, bräuchte es Investitionen in die Infrastruktur.

Finanzieren ließe sich das durch eine Touristenabgabe von einem Euro pro Tag, ähnlich der, die Mallorca diesen Sommer eingeführt hat. Doch weder die örtlichen Tourismusverbände noch die kanarische Regierung wollen davon etwas wissen. Allerdings regte der Tourismusminister im Parlament an, eine grundsätzliche Debatte über das touristische Modell der Kanarischen Inseln zu eröffnen und sich nicht nur mit der Frage zu befassen, wie viele Gäste der Archipel aufnehmen kann.

"Wir verlieren unsere Rückzugsorte"

Die kleinste Kanareninsel, El Hierro, setzt schon jetzt auf Nachhaltigkeit. Ein Großteil des Stroms wird dort mit Wind- und Wasserkraft erzeugt, in den kommenden Monaten sollen auf der Insel sieben Ladestationen für Elektroautos installiert werden. Wer dem Andrang auf den großen Inseln ausweichen will, findet auf El Hierro garantiert ein ruhiges Plätzchen. Selbst im Hochsommer begegnen einem auf dem Weg zu den vom ewigen Wind bizarr verdrehten Wacholderbäumen, einem der Wahrzeichen El Hierros, kaum andere Touristen. Es gibt hier wenig Strände, aber wunderschön angelegte Naturschwimmbecken.

Auch auf La Gomera, der kleinen Nachbarinsel Teneriffas, ist der Touristenrummel weit weg, wenn man etwa durch den Nebelwald des Nationalparks Garajonay wandert. Dafür muss man allerdings eine aufwendigere Anreise in Kauf nehmen. Weder El Hierro noch La Gomera werden von Deutschland direkt angeflogen.

Der anhaltende Boom auf den Kanaren treibt die Preise für die Unterkünfte in die Höhe. Im Durchschnitt haben die Hoteliers im Vergleich zum Vorjahr laut Jorge Marichal acht Prozent aufgeschlagen, einige versuchen sogar, Preiserhöhungen von 15 Prozent durchzusetzen. Doch große Veranstalter wie zum Beispiel Tui haben langfristige Vereinbarungen mit ihren Hotelpartnern, weshalb die Preise für die Wintersaison bei dem größten deutschen Reiseunternehmen nur um 1,5 Prozent steigen.

Weil immer mehr Touristen in Wohnungen absteigen, fühlen sich Einheimische zu Hause fremd

Ganz wichtig ist Jorge Marichal, dem Vorsitzenden des Hotelverbandes von Teneriffa, dass auf den Kanarischen Inseln keine tourismusfeindliche Stimmung aufkommt - so wie es sie auf Mallorca oder in Barcelona gibt. "Uns ist klar, dass wir die Touristen verhätscheln müssen. 60 Prozent der Kanaren leben direkt oder indirekt vom Tourismus." Wenn die Stimmung kippen sollte, liege das an der zunehmenden Vermietung von Unterkünften in Wohngebieten über Internetplattformen wie Airbnb. Auf den Kanarischen Inseln gibt es ihm zufolge 30 000 derartige Ferienunterkünfte mit 120 000 Betten.

Natürlich ist ihm die Konkurrenz ein Dorn im Auge. Aber auch Fernando Sabaté beobachtet mit gemischten Gefühlen, dass sich Touristenzentren und Wohngegenden immer mehr mischen. "Wir verlieren unsere Rückzugsorte. Es ist ein bisschen so, als würde man nicht mehr auf seinem eigenen Territorium leben." Deshalb ist Jorge Marichal dafür, Wohngebiete und Touristenzonen auch in Zukunft zu trennen. Und weil er davon überzeugt ist, dass die Touristen weiter auf die Kanaren strömen, baut er demnächst in Los Cristianos ein weiteres Hotel der gehobenen Klasse. "Wenn die Qualität stimmt, kommen die Leute", sagt er und blickt zu der gut gefüllten Bar zwischen den beiden Swimmingpools. Dort sitzen seine Gäste, manche vor frisch gepresstem Orangensaft, andere schon beim ersten Mittagscocktail.

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