Spanien:Fett im Kornfeld

Fliegende Kraniche

Die Hälse gereckt, die Flügel weit gespannt: Wie von einem Choreografen inszeniert, segeln die Graukraniche in Ketten oder Keilformationen durch die Luft. Besonders gern kommen die Vögel in die Extremadura, wo sie im Winter genügend Nahrung finden.

(Foto: imago/Blickwinkel)

Im Winter sammeln sich mehr als 100 000 Graukraniche in der spanischen Region Extremadura. Sie picken Eicheln und manchmal tanzen sie auch, zur Freude der Touristen.

Von Beate Schümann

Lautstarke Rufe schallen durch die abendliche Stille in den Reisfeldern des Dorfes Navalvillar de Pela in Südspanien. "Krru, krru, krru, krru." Bis zum Horizont reichen die Reihen abgeernteter Reispflanzen im Sumpf. Kleine Wolken und das feurige Rot der Dämmerung spiegeln sich im Wasser. Kilometerweit sind die fanfarenartigen Töne zu hören, lange bevor der erste Kranich am Horizont auftaucht.

Auf diesen Moment haben die Vogelfreunde am Sammelplatz nahe dem Fluss Cubilar geduldig gewartet. Gebannt stehen sie mit Fernrohren und lichtstarken Objektiven im Naturpark Dehesa de Moheda Alta, um den Einflug der Graukraniche (lat. Grus grus) zu erleben. Wie von einem Choreografen inszeniert, segeln sie in Ketten oder Keilformationen durch die Lüfte, den Hals weit vorgestreckt. Majestätisch schwingen sie die Flügel, die breit gespannt sind wie bei Adlern. Erst kommen einzelne Tiere, dann Hunderte, Tausende.

Die Dehesa de Moheda Alta ist eines der winterlichen Rastzentren der Zugvögel in der Extremadura. Der Landstrich zwischen dem Guadiana-Fluss im Westen und Madrid im Osten ist so groß wie die Schweiz und eines der wichtigsten Naturreservate Europas. Eine Gegend, in der vieles extrem ist: die sengende Hitze im Sommer, die karge, nur im Winter grüne Erde, die Zahl der Steineichen und Kastanien - und neuerdings auch die Zahl der Kraniche. Zwischen Oktober und Februar weichen sie hierher aus, wenn Nordeuropa von Schnee und Frost bedeckt ist.

"Seit ein paar Jahren überwintern bei uns mehr Kraniche als irgendwo sonst auf der Welt", sagt Martin Kelsey. Der britische Ornithologe, der vor 15 Jahren in die artenreiche Extremadura zog, registriert eine rasant ansteigende Population des großen Schreitvogels. "Fast die ganze europäische Kranichwelt sammelt sich winters hier", erklärt der Experte. Wurden 1979 rund 5000 Exemplare gezählt, so Kelsey, wird die Zahl inzwischen auf 120 000 bis 140 000 geschätzt. Infolge des milder werdenden Klimas zögen viele Vögel gar nicht erst bis nach Afrika. Hauptsächlich führt Kelsey den Anstieg aber auf verbesserte Schutzmaßnahmen an den Brutplätzen und die veränderte Futtersituation im Winterquartier zurück. "Der Kranich hat eine hervorragende Anpassungsfähigkeit", sagt der Wissenschaftler.

Wie kaum ein anderer Vogel zieht der aschgraue Kranich mit der roten Haube aufgrund seiner Eleganz, Schönheit und des gewaltigen Sounds zunehmend Menschen in seinen Bann. Längst reisen ihm nicht mehr nur Vogelkundler nach. "Es kommen deutlich mehr Touristen", sagt Kelsey. Die Nachfrage an geführten Birdwatching-Touren sei deutlich gestiegen. Unter den Gästen seien viele Deutsche, die schon in der Heimat gern Kraniche beobachten und in Spanien die Saison verlängern wollen, in einer anderen Umgebung.

Geduld ist die größte Tugend des Hobbyornithologen, zumal bei Kranichen. Und nicht immer wird sie belohnt. Waren die Vögel gestern noch in Scharen bei Casar de Miajadas gesichtet worden, sucht man sie heute auf den Maisäckern vergeblich, weil die jetzt abgefressen sind. Stattdessen tauchen die Kraniche plötzlich im Morgennebel auf den Reisfeldern von Alcollarín auf. Nähert man sich den scheuen Tieren zu sehr, ziehen sie sich schnell zurück. Ihre Fluchtdistanz liegt bei 500 Metern. Die Wahrscheinlichkeit, die Grullas, wie sie auf Spanisch heißen, an den Schlafplätzen und tagsüber bei der Futtersuche anzutreffen, ist jedoch groß. Die Region bietet ihnen üppig Nahrung: Eicheln, Mais und Reis.

"Diese Erde taugt nicht für Ackerbau"

Einer alten Bauernweisheit zufolge muss der erste Kranich gefangen und gekocht werden, dann kommen nicht so viele nach. Der Satz stammt aus einer Zeit, als die Dehesas, die für die Extremadura typischen, ausgedehnten Eichenhaine, noch beweidet wurden. Eicheln waren das traditionelle Mastfutter für Schweine und Schafe, der Kranich war somit ein Fressfeind. "Das Landschaftsbild hat sich entscheidend verändert", sagt der Naturschützer Eduardo Mostazo Gracia aus Cáceres. Seit den 1960er-Jahren werden die Dehesas kaum noch bewirtschaftet. Außerdem wurden die umliegenden Flüsse Tajo und Guadiana aufgestaut, etwa im Gebiet von Siberia-Serena oder im Nationalpark Monfragüe. Seitdem finden Vögel hier geschützte Feuchtgebiete vor, und Bauern haben die Möglichkeit, Mais und Reis mit künstlicher Bewässerung anzubauen. "Der Verlust der Weideflächen war ein Glücksfall für Bauern und Kraniche", sagt Eduardo Mostazo, der im Verein Adenex organisiert ist. Er will aber die traditionelle Weidelandschaft in den Dehesas bewahren, weil sie viel mehr Arten aufweist als Mais- oder Reisfelder. Der 36-Jährige bietet Touristen Naturtouren durch diese spezielle Gegend an - zu Fuß oder per Fahrrad, auf Wunsch auch mit dem E-Bike.

Die Einheimischen motiviert er, zu herkömmlichen Produktionsmethoden zurückzukehren, ihre Produkte an Touristen zu verkaufen. "Die Bauern fangen an, die Bedeutung der Biodiversität zu verstehen", sagt der Mann, der sich zuerst als Naturvermittler versteht. Illusionen macht er sich aber nicht. "Die Lebensweise unserer Vorfahren war der beste Landschaftsschutz", sagt Mostazo. Dahin möchte er zurück. Soweit es irgendwie geht.

Das will auch Miguel Cabello Cardeñosa in Sancti-Spíritus. Der 35-Jährige lebt als Züchter von schwarzen Merinoschafen in dem 1000-Einwohner-Dorf, das in den Llanos zwischen Cáceres und Trujillo, einer steppenartigen Ebene, liegt. "Die Merinos gehören in die Llanos" sagt er. Deshalb will er dazu beitragen, die Tiere vor dem Aussterben zu bewahren. Schon sein Großvater habe Merinos gehabt. Das könne er nicht einfach aufgeben. Inzwischen zählt seine Herde 1500 Tiere, die auch dazu beitragen, dass die Landschaft nicht verödet. "Diese Erde taugt nicht für Ackerbau", sagt Cardeñosa. Doch die Schafe mit dem weichen Fell halten weiter die Llanos offen und schaffen gute Lebensbedingungen für Vögel wie die bedrohten Großtrappen.

Die Llanos de Cáceres y Sierra de Fuentes sind eine monotone Gegend, bewachsen mit Disteln, Gräsern, Klee, wildem Senf, Besenginster und Schopflavendel. Die alten, längst nicht mehr benutzten Wege der Transhumanz, der Wanderweidewirtschaft, werden derzeit für Wanderer und Radler ausgewiesen. An den Beobachtungsstationen können sie nicht nur die bis zu 18 Kilo schweren Großtrappen, sondern im Frühling auch Rötelfalken und Wiesenpieper sehen. Die Regionalregierung setzt inzwischen auf Vogelreservate als touristische Attraktion.

Kraniche lassen sich in den Llanos mangels Wasserflächen nur selten sehen. Auf dem Weg zum Wallfahrtsort Guadalupe in der Sierra de las Villuercas eröffnen sich jedoch unerwartet neue Beobachtungsplätze. Erst im Reisfeld, dann in einer Dehesa unter den Steineichen. Hier haben sich große Trupps gesammelt. Die Vögel sind sehr nah. Wenn jetzt ein Paar tanzen würde! Der Kranichtanz ist ein Naturschauspiel. Manchmal unterbrechen die Tiere die Nahrungssuche und laufen, den Kopf ausgestreckt, mit großen Schritten, stellen die langen Flügelfedern buschig zur sogenannten Schleppe auf, verbeugen sich, drehen Pirouetten oder vollführen Sprünge, alles untermalt von ihrem trompetenartigen Ruf.

Doch diese hier picken nur eifrig Eicheln auf. Wenn sie sich ein Fettpolster angefressen haben, nehmen sie im Februar wie auf Kommando wieder Kurs nach Norden, zu ihren Brutplätzen. An den Ufern der Vorpommerschen Boddenlandschaft warten die Schaulustigen dann, um die Rückkehrer zu begrüßen.

Reiseinformationen

Anreise: Ab München fliegen verschiedene Airlines mehrmals täglich nach Madrid, darunter Air Europa, Ryan Air, Lufthansa, hin und zurück ab etwa 100 Euro. Von Madrid am besten mit dem Mietwagen weiter, in ca. vier Stunden nach Badajoz.

Unterkunft: z. B. Palacio de Santa Martain in Trujillo, Hotel mit historischem Flair, DZ ab 73 Euro, www.eurostarshotels.de; Palacio de Oquendo, in Cáceres, DZ ab 100 Euro, www.nh-collection.com

Vogelbeobachtung: Infozentrum und Beobachtungsstation Dehesa de Moheda Alta bei Obando, im Winter von 10 bis 14 und 16 bis 18 Uhr, www.turismoextremadura.com; Martin & Claudia Kelsey in Trujillo, www.birdingextremadura.com; Eduardo Mozeta de Origen in Hervás, www.origennaturaleza.com

Weitere Auskünfte: www.spain.info

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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