South Carolina:Auf der dunklen Seite

South Carolina USA Boone Hall Plantation Charleston Sklavenhaus

Räume der Erinnerung: eine Familie auf Besichtigungstour in einem der Sklavenhäuser auf der Boone Hall Plantation. Darin lebten einst bis zu 15 Menschen.

(Foto: Jörg Buschmann)

Vor 50 Jahren hat Martin Luther King in South Carolina an seiner berühmten Rede gearbeitet. An die Sklaverei wird dort heute noch erinnert - aus gutem Grund.

Von Harald Hordych

James Brown steht mit kirschrotem T-Shirt und kirschroter Kappe wie ein Leuchtturm auf der Veranda. Alle paar Minuten winkt er vorbeifahrenden Autos zu, immer winkt eine schwarze Hand zurück. Einmal schreit Brown: "Hey Bruder, wie läuft's denn?" - so laut, dass man es noch in Charleston hören müsste. In denkbar bester Stimmung brüllt der Fahrer durch das geöffnete Fenster zurück. Nur einmal winkt James Brown nicht. Stumm und regungslos starrt er auf die vorbeifahrende Limousine. Kein Hupen. Keine Hand zeigt sich im Fenster. Dann nickt James Brown.

"Sehen Sie, das war sie, die weiße Frau." Sein Gesicht sagt: Das war die Frau, die mich nicht grüßt.

Auf James Island in unmittelbarer Nähe von Charleston ist die Welt klar aufgeteilt. James Island ist schwarzes Land, Gullah-Land, und James Brown versteht nicht, warum Weiße hierher kommen, wenn sie mit den Afroamerikanern im Grunde ihres Herzens nichts zu tun haben wollen. Wie soll das gehen? Hier auf James Island - und auf den anderen Inseln, die das zerfaserte Küstenarchipel South Carolinas mit seinen Flussmündungen und Sümpfen prägen. Hier im Herzen der Gullah-Kultur, die sich so abgeschlossen entwickelt hat wie nirgendwo sonst schwarze Kultur in den Vereinigten Staaten.

James Brown zeigt auf die anderen bescheidenen, eingeschossigen Häuser und zählt mit lauter Stimme auf: Dort steht das Haus meines Bruders, dort das Haus meines Cousins, das da vorne ist das Haus meines Onkels, das daneben das meines Cousins, das dahinten das meines Bruders. Die Siedlung ist ein Familiendorf. Hundert Meter weiter beginnt das nächste.

Es gehört zu dieser Reise nach Charleston und South Carolina, dass vieles von zwiespältigen Gefühlen begleitet wird. Gerade wenn man die im 18. Jahrhundert reichste Stadt Amerikas und ihre Umgebung aus Sicht der afroamerikanischen Bevölkerung und der hier und in Georgia entstandenen Gullah-Kultur erlebt.

Gullah bezeichnet eine Sprache und Lebenskultur, welche die Sklaven auf den Reis- und Baumwollplantagen in der sumpfigen Küstenregion South Carolinas und Georgias weiter südlich entwickelt haben. Sie konnten das, weil sie im moskitoverseuchten Sumpfland weitgehend unter sich bleiben mussten. Die Weißen lebten die meiste Zeit des Jahres in ihren Stadthäusern am Meer, wo eine frische Brise die verhassten Stechmücken fortblies.

Verfluchtes Land für die Sklaven

Auf den Plantagen aber schufteten die aus Westafrika verschleppten Sklaven und entwickelten eine Sprache, die afrikanische und englische Elemente miteinander verwob. Dann kam der Bürgerkrieg. Die befreiten Sklaven erhielten das verfluchte Land, das sie bearbeitet hatten. Generation für Generation gab diesen Besitz weiter, mit der Sprache, der Kultur und den Bräuchen, die sie sich von Westafrika bewahrt hatten.

Am stärksten unter sich blieben die Gullah People auf den großen flachen Inseln, die der Küste vorgelagert sind, auch wenn diese heute fast alle sehr schnell und mühelos über Dämme oder Brücken mit dem Auto zu erreichen sind.

In Charleston selbst ist von der Gullah-Kultur wenig zu spüren. Dass heute 1700 historische Gebäude - teilweise aus dem 17. Jahrhundert - erhalten sind, verdanken Stadt und Tourismusindustrie einer bitteren Pointe der Geschichte: Die Bewohner waren im Nachgang des Bürgerkriegs zu arm, um alte Häuser abzureißen und neue zu errichten. Im historischen Charleston, auch in den heute am besten restaurierten Vierteln, lebten damals mindestens so viele Schwarze wie Weiße.

Mit der Gullah-Tour unterwegs

South Carolina USA Beaufort Cubert House

Die Häuser der Herren (hier in Beaufort) ...

(Foto: Jörg Buschmann)

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Auszug der Afroamerikaner, fort in die nördlichen Stadtteile mit den schlichten Holzhäusern. Die Paläste der südlichen Bezirke mit ihren typischen schmalen Hausfronten und den langen Baukörpern, an denen sich die mehrstöckigen Veranden entlangziehen, kehrten renoviert in die Hände wohlhabender Weißer zurück. Oder wurden zu Museen umgewidmet. Im historischen Distrikt trifft man kaum auf Afroamerikaner. Wenn, dann arbeiten sie in den Küchen der schicken Restaurants. Oder sie verkaufen die aus Sweetgrass und Palmenblättern geflochtenen, zart und zugleich robust anmutenden Gullah-Körbe.

Das Charleston der roten Ziegelbauten, der wunderschönen weißen Holzverkleidungen, der leuchtenden Türgiebel, der grünen Schlagläden, der auch am sonnigsten Tag immer brennenden Gaslaternen, das Charleston der Palmen und Zypressen, der auch im Juli leuchtend blühenden Azaleen, der alten, versteckten Friedhöfe und noblen Gaststätten, dieses zauberhafte und elegante Charleston kann man auf einer der vielen von einem Fremdenführer angeleiteten Kutschfahrten kennenlernen - unter lauter Weißen. Da kann es immer noch passieren, dass das Wort "Sklaverei" nicht einmal fällt.

Oder man nimmt an einer Gullah-Tour teil. Eine Perspektivverschiebung. Eine, die es in sich hat.

Al Miller heißt der schwarze Entertainer am Lenkrad eines Busses, der während der Fahrt von der Gullah-Kultur erzählt und Songs aus der Oper "Porgy und Bess" zum Besten gibt. Das ist mutig - und es passt, denn die Gullah-Touren durch Charleston und nach Johns Island umfassen auch die Orte, wo jener Porgy, dessen Person Pate für die Oper von George Gershwin stand, gelebt hat und wo er begraben ist.

Mit Al Miller durch die Stadt zu fahren, heißt, seinen Blick an die Ränder des schönen Südstaatenbildes lenken zu lassen. 40 Prozent der nach Amerika entführten Afrikaner wurden im Hafen von Charleston angelandet, immer waren weniger Gefangene an Bord als zu Beginn der Reise an den Küsten Westafrikas. Bis 1865 - dem Jahr, in dem der Bürgerkrieg endete - beherbergte Charleston 40 offizielle Sklavenverkaufsräume. Der Sklavenhandel in der Öffentlichkeit war bereits vorher verboten worden, weil er das Bild einer Stadt mit Stil und Eleganz zu stören begonnen hatte. 57 Prozent der in South Carolina lebenden Menschen waren "enslaved blacks". Unter den 15 Plantagenbesitzern des Südens, die mehr als 500 Sklaven besaßen, lebten acht in South Carolina.

South Carolina USA St. Helena Island  Kappelle

... und die Kirchen ihrer Diener (auf St. Helena).

(Foto: Jörg Buschmann)

Solche Zahlen findet man im Sklavenmuseum, dem einzigen heute noch erhaltenen Verkaufsraum. Die darin präsentierten nüchternen Fakten wirken anders, wenn man in einem Bus voller Schwarzer hierher gefahren ist. Al Miller zieht seine Tour wie eine Predigt auf. Er stellt die ewigen Fragen: "Darf die Hautfarbe eines Menschen darüber entscheiden, welche Zukunft er hat?" - "Oh, no! Oh, no!" Als der Gullah-Bus Charleston hinter sich lässt und irgendwann an der McLeod-Plantage auf James Island vorbeifährt - unmerklich sind wir schon wieder auf einer der Inseln gelandet - sagt Al Miller beiläufig: "Diese Wiese hier vorne war der Friedhof der Sklaven." Mehr ist nicht nötig. Kein Stein, kein Zeichen erleichtert das Gedenken an die hier beigesetzten Toten. Später hält der Bus, und die Nachfahren der Sklaven - denn das sind die meisten, wenn sie überhaupt wissen, von wem sie in der dritten oder vierten Generation abstammen - blicken über eine viel befahrene Straße auf die kleinen, weiß gestrichenen Hütten, in denen die Sklaven wohnten.

Keiner sagt etwas, alle starren ernst und ratlos auf die Unterkünfte. So haben sie zuvor auf der Tour auch auf die prunkvollen viktorianischen Paläste wie das Aiken-Rhett-Haus in Charleston geschaut, verwundert und mit einem Anflug von Scham über die Rolle, die ihren Vorfahren zugewiesen worden ist. Obwohl die Arbeit ihrer Ahnen diese Pracht überhaupt erst ermöglicht hat! Ob das nicht eine Chance ist, Stolz zu empfinden auf die eigenen Vorfahren?

Ja, das sei schon richtig, sagt der stämmige Darron Horthorn, der für einen Sonntagsausflug aus Greer angereist ist. Dort arbeitet er im BMW-Werk. "Aber die Scham über die Sklaverei führt dazu, dass zu wenige Afroamerikaner sich mit ihrer Geschichte auseinandersetzen. Und weil sie nicht wissen, woher sie kommen, wissen sie nicht, wer sie sind. Und wer kein Gefühl für seine eigene Identität und seinen eigenen Wert hat, der kann auch keinen Respekt für andere Menschen entwickeln."

Sie haben auf den Reis- und Baumwoll-Plantagen geschuftet, die Herrensitze und die Sommervillen in Charleston gebaut, die Ziegel dafür gebrannt und in den Häusern das Essen gekocht, aufgetragen und den Dreck weggeräumt - der Gullah-Bus macht das wunderschöne Charleston nicht zu einer hässlichen Stadt, nur zu einer anderen. Zu einer Stadt der Schwarzen, nicht der Weißen, die hier lebten und hier wieder leben.

Scham für die schicke Villa

Leon Smith Guide im Freilichtmuseum Brattonsville

Leon Smith arbeitet als Guide im Freilichtmuseum von Brattonsville. Er trägt die Kleidung der Sklaven - ohne Taschen.

(Foto: Jörg Buschmann)

Die Hütten der Sklaven bilden in Charleston und an der Küste South Carolinas einen festen Programmpunkt jeder Besichtigung. Sie rücken die Verhältnisse zwischen Luxus und Mühsal, zwischen Genuss und Knechtschaft ins rechte Licht. 20 bis 25 Quadratmeter mögen diese Häuser groß sein. Sie fehlen nie, auch nicht auf der beeindruckendsten der noch erhaltenen Plantagen, der Boone Hall Plantation.

In einem der Häuschen sind zwei lebensgroße Puppen aufgestellt worden, die Mutter sitzt im Schaukelstuhl, ihr Sohn spielt auf dem Boden, eine amerikanische Idylle. Eine der Gullah-Körbe verkaufenden Frauen erzählt, dass eher zwei, mitunter sogar drei Familien auf dieser Fläche lebten, also zehn, zwölf, vielleicht 15 Menschen.

Die wahren Sinnbilder der Pracht sind auf dieser Reise nicht polierte Messingknäufe. In einem Freilichtmuseum in Brattonsville, wo Schwarze in zeitgenössischer Tracht als Sklaven auftreten, sind es die Details der Sklaverei. Einer der Darsteller telefoniert und steckt sein Handy anschließend in eine seiner Socken. Warum?

"Wohin sonst?", fragt der 30-Jährige zurück, der sich als John vorstellt. Der große Mann trägt trotz der Hitze dicke Baumwollsachen. Weder an seinen Hosen noch an seiner Weste sind Taschen angenäht. "Jemand, der nichts besitzen darf, braucht keine Taschen", erklärt er und erzählt von der Whistle Alley. So wurde der Weg genannt, der die ausgelagerte Küche mit dem Speisesaal im Herrenhaus verband. Damit die schwarzen Diener nicht der Versuchung erlagen, sich auf diesem Weg von der Köstlichkeit der Speisen persönlich zu überzeugen, mussten sie die ganze Zeit über pfeifen. Wer sich etwas einverleibt, kann nicht pfeifen.

Weil der Bürgerkrieg diesem Leben ohne Menschenrechte - Sklaven hatten den Status von Gegenständen - ein Ende gesetzt hat, gibt es das Penn Center auf St. Helena, einer der wichtigsten Orte der Gullah-Kultur. Hier entstand nach der Besetzung durch Unionssoldaten eine der ersten Schulen für Schwarze in den Südstaaten. Das Penn Center war der Versammlungsort der Bürgerrechtsbewegung. In einer Hütte am Rande des Zentrums lebte Martin Luther King vier Jahre lang und schrieb weite Teile seiner "I have a dream"-Rede. Denn hier konnte er vor Anschlägen sicher sein.

Victoria A. Smalls ist die Kulturdirektorin des Penn Centers. Sie ist auf der weitläufigen Insel aufgewachsen, die im 19. Jahrhundert nur aus Feldern bestand. Die Vorfahren ihres Vaters arbeiteten auf einer der vielen Fripp-Plantagen. Oliver Fripp, Lawrence Fripp, John Fripp, Tom Fripp - die Sklaven, die auf den Anwesen geboren wurden, erhielten die Namen der Plantage und einen Vornamen, der ihrem Besitzer gerade in den Sinn kam. Zum Beispiel den Namen des Monats, in dem sie geboren wurden.

Victoria Smalls sagt "wir", wenn sie von den Sklaven spricht. Sie sagt es bewusst - denn die Auswirkungen dieses großen Unrechts spüren die Schwarzen bis heute, erklärt sie, schlechte Bildung, kaum Aufstiegschancen. Victoria Smalls wohnt in Beaufort, dort, wo einst die Plantagenbesitzer in einem puppenstubenhaften Südstaaten-Tableau ihre weißen Villen unter den tausendarmigen Virginia-Eichen mit Blick auf den Hafen und St. Helena errichteten. Louisiana-Moos hängt wie immergrüne Spinnweben von den Ästen. Eine verzauberte Landschaft, wer möchte sich hier nicht niederlassen?

Victoria Smalls liebt diese Stadt. Aber seitdem sie hier wohnt, fühlt sie sich schuldig. "Ich schäme mich immer noch dafür, dass ich St. Helena verlassen habe und ausgerechnet nach Beaufort gezogen bin." Denn hier wohnten die Herren ihrer Vorfahren. Vor 150 Jahren.

Informationen

Anreise: Mit United Airlines von Frankfurt oder München über Washington oder New York nach Charleston, hin und zurück ab 750 Euro, www.united.com

Unterkunft: The Mills House Hotel Charleston, DZ mit Frühstück ab 130 Euro, www.millshouse.com

Führungen: Zweistündige Black History and Porgy and Bess Tour ca. 13,50 Euro, Tel.: 001/843/552 99 95, www.sitesandinsightstours.com

Gastronomie: Alluette's Cafe, Gullah Cuisine. 80 A Reid St., Charleston, www.alluettes.com

Weitere Auskünfte: South Carolina Tourism, southcarolina@es-tm.com, www.southcarolinausa.de

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