Snowkiten in der Schweiz:"Den Deadman lernst Du morgen!"

Mit einem Lenkdrachen im schweizerischen Wallis bergab und bergauf zischen, durch die Luft fliegen - das sieht gut aus. Wenn man es kann.

Ingo Hübner

Als ob ein wild gewordenes Rudel Huskies an der Leine wäre, reißt mich der Kite ohne jede Vorwarnung nach vorne und von den Füßen. Ich glaube, da bin ich zum ersten Mal abgehoben. Geflogen. Allerdings mit dem Gesicht voraus in den Schnee.

"Wenn du einen großen Kite auf 12 Uhr in die Powerzone bringst, kann er dich schon mal problemlos zehn Meter in die Luft heben", hatte mir Snowkite-Lehrer kurz zuvor mit einem amüsierten Gesichtsausdruck prophezeit.

Keine gute Übung für einen Anfänger, deswegen beschränke ich mich auf einen kleineren Kite. Aber auch der ist des öfteren verdammt schwer zu beherrschen. Vor allem mit dem ganzen Begriffswirrwarr dazu, das ich mir merken muss, um den Drachen richtig dirigieren zu können, wenn der Lehrer seinem Schüler die Anweisungen zuruft: "... zurück ins Windfenster ...", "... raus aus der Powerzone ...", "... auf 11 Uhr, auf 1 Uhr ...", "... Sinuskurven fliegen ..." Und so weiter.

Ja, das coole Snowkiten. Mit wahnsinniger Geschwindigkeit über Schneefelder brettern, sich ab und zu in die Lüfte schwingen, den Berg rauf und runter preschen, der Schwerkraft trotzen, so hatte ich mir das vorgestellt.

Die Realität sieht leicht anders aus. Konnte ich vorher überhaupt schon Skifahren oder Snowboarden? Wie schön klingt dazu noch der Spruch von Jens, einem anderen Kiter, an diesem Morgen in den Ohren, bevor er sich über das Schneefeld davongemacht hatte: "Denk dran, beim Kiten hast du immer zwei Möglichkeiten: auf dem Boden zu bleiben oder in die Luft zu gehen. Im Wasser jedenfalls macht das die Surfer ganz schön neidisch."

Für mich geht es am ersten Tag erst einmal darum, den Schirm ohne Board zu beherrschen, der Neid dürfte sich noch in Grenzen halten. Pascal gibt dem Schirm ein wenig Starthilfe, ich reiße die Leine zurück und der obere Teil des Kites bläht sich auf, Luft strömt in seine Windkammern. Dann steigt er direkt vor mir auf 12 Uhr, genau durch die Powerzone, in die Luft. Diesmal bin ich gewappnet, denke ich - und lande gleich darauf auf dem Rücken im Schnee, hilflos wie ein Käfer.

"Zieh die Bar zuerst kurz rechts zu dir ran und dann links. Dann geht der Kite in die Powerzone, fliegt eine Sinuskurve und du kannst dich mit seiner Zugkraft aufrichten", ruft Pascal. Gesagt, getan!

"Den Deadman lernst Du morgen!"

Die Bar ist übrigens die Lenkstange für den Kite und befindet sich jetzt ungefähr auf Brusthöhe vor mir. An ihr laufen die Lenkleinen des Drachens zusammen, die anderen sind in mein Haltegeschirr eingehakt. Das ist einem Klettergurt ähnlich, fühlt sich aber eher wie eine überdimensionierte Windel an.

Am Ende des ersten Übungstages sind Erfolgserlebnisse noch rar, da beschäftigt man sich lieber brav mit den geschichtlichen Wurzeln dieser Sportart: Das Snowkiten ist eine der jüngsten Extremsportarten und sozusagen die Synthese aus Gleitschirmfliegen, Windsurfen und Snowboarden. Wobei es natürlich auch mit Skiern funktioniert.

Direkter Vorläufer ist das Kitesurfen, das seit dem Jahr 1998 als ernsthafte Extremsportart gilt. In diesem Jahr gelang es den ersten Fahrern hart am Wind zu fahren. Aber schon in den Achtzigern gab es bereits mehr oder minder erfolgreiche Versuche, sich mit allen möglichen fahrbaren Untersätzen wie Kanus, Wasserskiern, Alpinskiern oder Rollerskates von einem lenkbaren Drachen ziehen zu lassen.

Das Ende der Experimentierphase kam erst 1990 mit der Entwicklung des Kite-Buggy. Nachdem einige Leute mit diesem Gefährt die Strände unsicher machten, schauten sich die Surfer diese Technik ab. Denn die Umsetzung von Zugkraft in Geschwindigkeit funktioniert auf dem Wasser genauso.

Ein Sport für Frühaufsteher

Snowkiten ist nicht nur extrem, sondern auch noch ein Sport für Frühaufsteher, am Morgen ist der Wind am besten. So stehen wir, bereits voll angeschirrt, um 8.30 Uhr wieder auf dem Schneefeld. In den Rücken bläst ein spürbar beständiger Wind vom Berg herab, genau so wie Pascal es tags zuvor angekündigt hat.

Entscheidender Unterschied zu gestern: An meinen Füßen ist ein Snowboard befestigt. "Bist du bereit?" Pascal steht wieder vorne beim Kite. Meine Hand hebt sich zum Zeichen, Pascal bringt den Kite in den Wind. Ein Ruck und zack: verkantet. Kurzer Flug, Gesicht abermals im Schnee.

Zweiter Versuch, zuerst etwas nach vorne fahren und dann erst nach rechts gegen den Wind lenken, lautet Pascals einfach klingender Rat. Die eigenen Gedanken richten sich jetzt ganz fest auf diese coolen Überflieger, die den Wind und den Schnee scheinbar mühelos gleichzeitig beherrschen. Und los!

"Den Deadman lernst Du morgen!"

Das Snowboard knirscht behäbig durch den Schnee, kurzer Zug rechts an der Bar, der Kite gehorcht und bewegt sich schräg abwärts von zwölf auf zwei Uhr in die Powerzone hinein. Das Snowboard nimmt Fahrt auf. Ich stehe noch, ein Wunder. "Jetzt gegen den Wind aufkreuzen und die Position des Kites halten", brüllt Pascal aus zunehmender Entfernung hinterher.

Alles klar, ich lehne mich zurück, das Snowboard wird immer schneller, der Wind pfeift um die Ohren. Schön die kleinen Sinuskurven fliegen, während die Zugkraft durch die zunehmende Geschwindigkeit noch verstärkt wird. Tempo schaukelt sich mit Tempo gegenseitig hoch, endlich.

Erst mal in Fahrt, brettert es sich viel leichter als angenommen über das Schneefeld. Das fühlt sich schon ein bisschen wie Fliegen an. Ein kräftiger Zug links und der Kite wechselt seine Richtung und zieht mich zurück. Hunderte Meter auf und ab, vor, zurück. Ein Gefühl von Freiheit schleicht sich heran, wie muss das erst sein, wenn die Fahrt bergauf geht oder man über natürliche Schanzen springt und für einen Augenblick fliegt?

"Du kannst etwa 200 Meter weit springen und Geschwindigkeiten von mehr als 80 Stundenkilometern in der Ebene erreichen", sagt Pascal, als ich zurück bin und den ersten Triumph, in der Sonne sitzend, genieße. Während er das sagt, kommt von hinten aus der Windrichtung ein anderer Kiter sprichwörtlich den Berg heruntergeflogen. Über einem Felsvorsprung hebt er ab, und hat erst wieder auf dem Schneefeld Kontakt mit dem Boden. Das erinnert ein wenig an Spider-Man.

Kaum ist die Assoziation ins Bewusstsein vorgerückt, zieht er auch schon seine Bahnen ganz in der Nähe, springt waghalsige Figuren wie Kopf nach unten, Snowboard in die Höhe. "Das ist Lale, ein Bekannter", fügt Pascal knapp an. Was macht er da? Pascal grinst breit: "Das war der Deadman, den lernst du morgen!"

Information: Anreise: Die SWISS fliegt täglich von Berlin nach Zürich von dort weiter mit der Bahn nach Brig. Internet: www.swiss.com und www.sbb.ch

Snowkite-Kurs: Die Snowkite-Schule befindet sich auf dem Simplonpass, etwa 20 Autominuten von Brig entfernt, ein zweitägiger Kurs kostet je nach Teilnehmerzahl ab 165 Euro, Tel. +41 (0)78-628-59-73, E-Mail: info@snowkiting.ch, Internet: www.snowkiting.ch

Übernachten: Hotel Good Night Inn in Glis/Brig, Tel. +41-(0)27-921-21-00, Internet: www.brig-wallis.ch. Wer vor dem Kurs einige Tage Ski fahren will, ist in Saas Fee gut aufgehoben: Hotel Beau-Site, Saas-Fee, Tel. +41-(0)27-958-15-60, Internet. www.beausite.org

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