Süddeutsche Zeitung

Slowenien:Es wächst

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Ljubljana hat sich zu einer grünen Kommune entwickelt, viele Bürger versuchen, so nachhaltig wie möglich zu leben. Das zahlt sich jetzt aus.

Von Franziska Türk

Draußen ist ein trüber Tag. Drinnen stehen Wiesenblumen auf den Tischen, und die Welt sieht gleich ganz anders aus. "Die sind aus dem Vorgarten unseres Chefkochs", erzählt Tita Destovnik und lacht. In der Gostilna dela, einem kleinen Restaurant in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana, werden regionale Produkte gekocht und serviert von jungen Menschen, die keinen Schulabschluss haben oder behindert sind. Tita Destovnik, eine junge Frau mit kastanienbraunem Pagenkopf, betreut verschiedene Projekte dieser Art. Das Restaurant hat gute Bewertungen, trotzdem kämpft es ums Überleben; staatliche Zuschüsse gibt es nicht. Aber Not macht erfinderisch: Die Lampen sind aus Zeitungspapier, das Geschirr stammt aus einem Second-Hand-Laden. Gefällt dem Gast die Tasse, aus der er gerade Kaffee getrunken hat, kann er sie günstig erwerben und mit nach Hause nehmen. So spart man Geld - und Ressourcen.

Ein Einzelfall ist die Gostilna dela mit ihrem Nachhaltigkeitsdenken nicht. Ljubljana tut viel für den Klimaschutz: Einheimische und Touristen können kostenfrei Fahrräder und Elektroshuttles nutzen, die ohnehin weitläufige autofreie Zone in der Innenstadt wird momentan ausgebaut, ein Plan zur Müllvermeidung entwickelt. Im kommenden Jahr darf Ljubljana den Titel "Green Capital of Europe" tragen, und der scheint bestens zu passen zu der Hauptstadt Sloweniens, jenes kleinen Landes zwischen Alpen und Adria, das zu mehr als der Hälfte von Wald bedeckt ist.

In Ljubljana zieht eine Bibliothek schon mal vorübergehend ins Freie, etwa in den Zvezda Park.

Am Fluss sitzt man zwischen Bäumen...

...gefeiert wird im alternativen Kulturzentrum Metelkova.

Ljubljanas Innenstadt mutet mediterran an. Am mit Trauerweiden gesäumten Ufer der Ljubljanica, jenem Fluss, der durch die Stadt fließt und dem sie ihren Namen verdankt, liegen Cafés und Restaurants. Auf dem Hauptplatz steht die Statue des slowenischen Nationalpoeten France Prešeren. Der blickt noch heute in Richtung eines Hauses mit gelber Fassade, in dem einst eine reiche Kaufmannstochter wohnte - Prešerens Muse und unerwiderte große Liebe. Lange versperrten Autos den Platz zu seinen Füßen, und Busse bretterten über die schmale Brücke, die über den Fluss führt. An ein öffentliches Leben war hier nicht zu denken - bis das Architektentrio Prostorož vor zehn Jahren mit der Umgestaltung der Plätze begann. Seither können sich die Einwohner Ljubljanas daran erfreuen, dass plötzlich Liegestühle auf ungenutzten Grünflächen auftauchen oder eine Bibliothek zeitweise ins Freie zieht.

Die ehemalige Kaserne haben Künstler besetzt - die Partys dort sind sehr beliebt

Es ist jedoch nicht nur dem kreativen Engagement der Einwohner zu verdanken, dass Ljubljana von der Europäischen Kommission zur Umwelthauptstadt Europas gewählt wurde, auch die Stadtverwaltung hat in den letzten Jahren ihren Teil beigetragen. Miran Gajšek, Leiter des Departments für Stadtplanung, steht hinter seinem mit Dokumenten übersäten Schreibtisch und zeigt auf eine Luftaufnahme Ljubljanas, die als Fototapete die ganze Wand bedeckt. Viele Grünflächen sind darauf zu sehen. Die Autos, sagt Gajšek, seien bereits weitgehend aus der Innenstadt verbannt worden, die Fußgängerzone wurde im Gegenzug vergrößert. Die Slovenska Cesta, einst die Hauptverkehrsader durch das Zentrum, darf künftig nur noch von Bussen befahren werden. Aber auch wenn sich viel getan hat und viele frisch restaurierte Häuserfassaden in der Sommersonne leuchten, hat sich Ljubljana nicht künstlich herausgeputzt. An jeder Straßenecke und in jedem Café gibt es kostenloses Wlan, auf blinkende Leuchtreklame aber wird verzichtet.

Ein bizarres Gelände liegt im Norden der Stadt: das alternative Kulturzentrum Metelkova. Es beherbergt Kunstateliers, Galerien und Clubs. Bis zur Unabhängigkeit Sloweniens im Jahr 1991 wurden die Gebäude als Militärkaserne genutzt. Heute ist davon nichts mehr zu erkennen: Alles ist bunt bemalt, mit Plakaten oder Mosaiksteinen beklebt oder mit Graffiti und Kunstinstallationen geschmückt. Metelkova ist eine Stadt in der Stadt, das Gelände ist seit 24 Jahren besetzt. Schon öfter hat die Stadtverwaltung versucht, die Künstler, die in die ehemaligen Militärgebäude eingezogen sind, zu vertreiben und die Häuser abzureißen. Ohne Erfolg. Regelmäßig finden hier Partys statt, die illegal sind, und vielleicht gerade deshalb so beliebt. Ein Anziehungspunkt ist auch das Kulturzentrum Tobačna, das in einer ehemaligen Tabakfabrik untergekommen ist. Im Sommer kamen 10 000 Fans elektronischer Musik hierher aufs "Flow Festival"; gegessen wurde mit Öko-Besteck aus schnell verrottendem Material.

Einen Ort, an dem Freiberufler ressourcensparend arbeiten können, hat Luka Piškorič geschaffen. 2012 hat der Manager mit zwei Freunden das Poligon Creative Center gegründet, einen sogenannten Coworking-Space. "Es gibt hier keine Infrastruktur für junge kreative Leute; die Stadtverwaltung ist wirklich langsam darin zu erkennen, dass wir so etwas brauchen", sagt Piškorič. In dem Kreativ-Zentrum gibt es nun eine "Bibliothek der Dinge". Hier kann man seinen Besitz mit anderen teilen und sich selbst Dinge ausleihen, die einem gerade fehlen - eine Bohrmaschine oder Skischuhe etwa. "Die ökonomische Krise macht die Menschen kreativ", sagt Piškorič. Und Iva Gruden, die kulinarische Touren zu Restaurants mit regionalen Produkten anbietet, fügt hinzu: "Im Sozialismus war für alles gesorgt, die Leute mussten nicht kreativ sein. Jetzt müssen sie es."

Selbst auf dem kleinsten Balkon wird Gemüse angebaut. Die Stadt ist voller Hobby-Gärtner

Schon einmal hat Ljubljana bewiesen, dass ein Tiefpunkt gleichzeitig der Beginn von etwas Neuem sein kann. Im April 1895 hatte hier die Erde gebebt, ein Großteil der Häuser wurde beschädigt. Erst der Wiederaufbau, maßgeblich geprägt durch Architekten wie Jože Plečnik und Maks Fabiani, gab den Fassaden der Stadt ihr heutiges Jugendstil-Gesicht. Und das wird immer grüner, nicht nur auf den öffentlichen Flächen, sondern auch im privaten Raum. Darja Fišer, Dozentin am Institut für Übersetzung, fing vor drei Jahren an, Gemüse auf ihrem kleinen Balkon anzubauen. Das Grünzeug gedieh, Fišer teilte ihre Ernte mit Freunden, diese brachten zum Dank andere Pflanzen mit. Zu den Tausch-Events, zu denen über Facebook eingeladen wird, kamen bald 50 Menschen: Familien mit Kindern, Jugendliche und Rentner. Menschen, die ihr Wissen übers Gärtnern gerne weitergeben wollten - und solche, die sich das anhörten. Mittlerweile werden in 13 slowenischen Städten regelmäßig Samen, Setzlinge, Gartentipps und Kochrezepte getauscht. Schüler und Studenten haben hinter dem Wohnheim oder auf dem Dach ihrer Schule Gemeinschaftsgärten angelegt. Seit zwei Jahren gibt es in Ljubljana sogar ein dreiwöchiges alternatives Gärtnerfestival.

Wirklich überraschend ist die Leidenschaft für das Grün im eigenen Garten aber nicht, "das ist eine sehr slowenische Sache", sagt Fišer. Das Land ist ländlich geprägt, fast jeder hatte in seiner Kindheit selbstangebautes Obst und Gemüse auf dem Teller. In den Neunzigerjahren, als nach der Wende plötzlich überall große Einkaufszentren entstanden, sei das Gärtnern etwas zurückgegangen. "Aber ganz aufgehört hat es nie." Mittlerweile, so vermutet sie, erkennen die Menschen die Nachteile der Supermärkte. Dafür, dass die Tausch-Initiative von so vielen aufgegriffen wurde, hat sie eine einfache Erklärung: "Wenn du das tust, was die Leute zu genau diesem Zeitpunkt brauchen, dann bist du erfolgreich." Tomaten und Kräuter vom heimischen Balkon haben die Bewohner Ljubljanas offensichtlich gebraucht.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2015
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