Slowenien:Die ewige Rebe

Er hat Belagerungen, Feuer und die Reblaus überstanden - und trägt noch immer Früchte: Der älteste edle Weinstock der Welt wächst seit mehr als 400 Jahren in der slowenischen Stadt Maribor. Seine Ableger sind begehrt.

Von Daniel Sprenger

In der von Weinbergen umgebenen Stadt Maribor in Slowenien steht ein Weinmuseum - mit einem Weinstock vor dem Eingang: Das erscheint zunächst so folgerichtig wie belanglos. Doch die Rebe hier hat es ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft. Sie wächst im ältesten Stadtteil Lent am Fluss Drau vor einem restaurierten Haus, das früher einmal Teil der mittelalterlichen Stadtmauer war. Und sie wächst schon sehr lange. "Das ist die älteste edle Weinrebe der Welt", sagt Stadtwinzer Stane Kocutar und schließt den zum Schutz errichteten Gitterzaun rund um den Stamm auf. "Sie ist mehr als 400 Jahre alt und gehört zur Sorte Blauer Kölner."

Kocutar stapft durch den hohen Schnee, unter dem Maribor in diesem Jahr im März noch liegt, und klopft auf den Stamm der Rebe. Das verzwirbelte Holz klingt im vorderen Teil hohl. Dort sei es schon lange abgestorben, sagt Kocutar. Der Lebenssaft der Jahrhundert-Rebe fließt im etwas besser geschützten Stammbereich zur Hauswand hin und versorgt die am Spalier rund zwölf Meter breit rankende Pflanze. "Momentan schläft sie noch", sagt Kocutar.

Die "Stara Trta", wie die alte Rebe auf Slowenisch heißt, ist eine in dieser Weißwein-Region ziemlich seltene rote Traube. Der Weinstock dient dem Museum nicht als Zierde, sondern umgekehrt ist das Museum "Haus der Alten Rebe" 2007 einzig und allein ihm und seiner Geschichte gewidmet worden. Die Rebe wird als kulturelles und touristisches Aushängeschild der Region gesehen und entsprechend vermarktet. "Wir sind sehr stolz, dass die Rebe schon so lange da ist", sagt Museumsleiterin Tina Heinrih. "Die Mariborer haben eine enge Verbindung zu ihr." Die zeige sich etwa stets im Herbst, wenn nach der Weinlese Tausende Besucher das Festival der Alten Rebe mit Weinen und Kulinarischem aus ganz Slowenien feierten.

Slowenien: Alles andere als belanglose Arbeit: Der Stadtwinzer von Maribor, Stane Kocutar, kümmert sich um die älteste edle Weinrebe der Welt.

Alles andere als belanglose Arbeit: Der Stadtwinzer von Maribor, Stane Kocutar, kümmert sich um die älteste edle Weinrebe der Welt.

(Foto: Marko Pigac)

Aber nicht nur die Einheimischen sind dem Rekordwein verbunden: Beim jährlichen Festakt anlässlich des Rebschnitts bekommen interessierte Städte und Institutionen von Maribors Bürgermeister ein Edelreis der alten Rebe überreicht. So wachsen Nachfahren der Stara Trta unter anderem in Paris, im Vatikan, am Hradschin in Prag - und am Domberg in Freising. Dort hat Stadtwinzer Kocutar vor einem Jahr einen Ableger gesetzt.

Doch wie überzeugt man jene, die am hohen Alter der Rebe zweifeln? Museumschefin Heinrih zeigt auf ein Gemälde in der Ausstellung, die älteste Stadtansicht von Maribor aus dem Jahr 1657. "Da ist unsere Rebe schon drauf." In der Tat ist als winziges Detail eine grün rankende Weinpflanze am selben Haus zu sehen, das sich bis heute baulich nur wenig verändert hat. Kocutar vermutet, dass die Rebe Drau-Flößer auf ein Gasthaus aufmerksam machen sollte: "Der Name Lent für den Stadtteil heißt übersetzt so viel wie Landungsstelle."

Die auf dem Historienbild zu sehende Rebe könnte aber natürlich auch eine Vorgängerpflanze sein, deshalb untersuchten Weinexperten 1972 einen Mikro-Bohrkern aus dem Stamm mit dem Elektronenmikroskop. Die damals gezählten Jahresringe beliefen sich auf mindestens 350, eher aber sogar 400. Ganz genau könne man das nicht sagen, da der Stamm im Inneren etwas morsch sei. Und, sagt Kocutar: "Niemand hat bisher eine zertifizierte ältere Rebe präsentiert."

So wächst der nachweislich älteste Wein der Welt nicht etwa auf einem Weinberg in Sizilien oder in einem griechischen Kloster, sondern mitten in einer Großstadt - in der es im Winter zudem empfindlich kalt werden kann. Unter keinen Umständen will Kocutar die Rebe bei minus zehn Grad zu früh wecken. Deshalb hat er den eigentlich für den 2. März geplanten Rebschnitt um zwei Wochen verschoben. "Über dem zweiten Auge wird der Vorjahrestrieb abgeschnitten", sagt der Winzer. "Würde man das jetzt machen, drohte die Schnittstelle im Frost zu splittern."

Das gefährde selbst eine so robuste Sorte wie den Blauen Kölner, über den es im Weinlexikon heißt: "Kulturansprüche gering. Widerstandsfähigkeit gegen Winterfröste gut." Anspruchslosigkeit gepaart mit Widerstandsfähigkeit - diese Kombination dürfte der Rebe dabei geholfen haben, so alt zu werden. Türkische Soldaten belagerten die Stadt, mehrmals brannte sie, Weltkriege und die Vernachlässigung danach, all das hat die Rebe überlebt. "Sie hatte viel Glück", so Museumsleiterin Heinrih. Und den richtigen Standort: Während im 19. Jahrhundert europaweit fast alle Weinstöcke von der Reblaus vernichtet wurden, profitierte die Rebe von ihrer Nähe zur Drau. "Die Reblaus mag trockenen Boden, um die Wurzeln der Weinpflanzen anzugreifen", erklärt Kocutar, "doch der Fluss ist zweimal im Jahr über die Ufer getreten. Überschwemmungen und ihre sehr tiefen Wurzeln haben die Rebe gerettet."

The Old Vine House, Maribor, Slowenien

Der drohende Abriss des Hauses in den 70er-Jahren hätte beinahe zum Ende der Rebe geführt. Zu dieser Zeit schuf man die Stelle des Stadtwinzerers, der den verwahrlosten Rebstock stark stutzte - mittlerweile gedeiht die Pflanze wieder prächtig.

(Foto: Ciril Ambrož)

Ende der 1970er-Jahre sind es dann Landwirtschaftsexperten, die verhindern, dass das damals baufällige Haus abgerissen und die Rebe gekappt wird. Die Position des Stadtwinzers wird geschaffen und Kocutars Vorgänger sah nur eine Chance für die völlig verwahrloste Rebe, die kaum noch Früchte trug. "Er hat sie radikal zurückgeschnitten", sagt Kocutar. "Das hat sie nur knapp überlebt."

Heute gedeiht die Rebe inmitten zweier vor rund 30 Jahren gepflanzter Tochterreben prächtig. Kocutar kommt nahezu täglich vorbei und schaut nach, ob es ihr gut geht. Im Sommer spiele er zudem jeden Samstag in den frühen Morgenstunden ein wenig "Friseur für die Rebe". Dann schneidet er überflüssige Triebe und Blätter vor den Trauben weg.

An einem Ableger der Ur-Kölnerin gibt es auch aus Köln Interesse. "Das würde ja auch gut passen", sagt Heinrih. Thomas Eichert, Kocutars Stadtwinzer-Kollege aus der Domstadt, hatte die Idee, die brachliegende letzte landwirtschaftliche Fläche in der Kölner Innenstadt mit einem kleinen Weinberg zu bestellen und in Maribor nach einem Sprössling gefragt. Doch erst mal musste Eichert seine Anfrage zurückstellen, da sich eine Lokalposse um den Weinberg an der Severinstorburg entwickelt hatte. Denn das Grünflächenamt pflanzte Bodendecker an der Stelle, obwohl die Bezirkspolitik die Errichtung des Weinbergs bereits einstimmig beschlossen hatte. "Die Verwaltung hat wohl geglaubt, dass sie damit das Projekt beerdigen könne, aber da täuscht sie sich", sagt Bezirksbürgermeister Andreas Hupke.

Eine Widerständigkeit, die an die Durchhaltekraft der alten Rebe erinnert, die auch mit mehr als 400 Jahren noch Früchte trägt. Aus den etwa 50 Kilogramm Trauben lassen sich 30 Liter Wein machen, sagt Kocutar. Geschmacklich ist der Tropfen nichts für Feinschmecker, er wird ausschließlich für protokollarische Zwecke genutzt und hohen Gästen geschenkt - in eigens designten Fläschchen. "Das Ziel ist kein Ernterekord, sondern dass es der Rebe gut geht", sagt Kocutar. Die Rebe solle ihn und die heutigen Bürger der Stadt Maribor schließlich lange überleben.

Reiseinformationen

Die Rebe: Das "Haus der Alten Rebe", Hiša Stare trte, liegt in Maribor, Vojašniška ulica 8. Das Museum hat täglich geöffnet von 9 bis 18 Uhr, von Mai bis September bis 20 Uhr, Eintritt frei. Hier finden übers Jahr Veranstaltungen statt, z.B. am 30. September die Weinlese, anschließend bis zum 11. November das Festival der Alten Rebe, www.staratrta.si

Ausgehen: Fudo, in der Partygasse Postna ulica gelegenes Restaurant-Café mit üppigem Frühstück. Baščaršija Ethno House, auch in der Postna ulica: bosnisches Restaurant mit der Spezialität Cevapcici im Brot. Hier gibt es für die, die nicht allzu viel Ruhe brauchen, auch Zimmer zu mieten. Im Salon of Applied Arts mischt sich Konzertbühne mit Café, Bar und Designladen. Gegenüber vom Rathaus am Glavni trg.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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